In wenigen Tagen geht der 1. FC Union Berlin mit sieben Punkten Rückstand auf einen direkten Aufstiegsrang auf Verfolgungsjagd. Ob die gelingt, wird auch davon abhängen, ob Trainer und Team die Winterpause genutzt haben, um Defizite aus der Hinrunde zu eliminieren.
Seien wir realistisch: Versuchen wir das Unmögliche. Dieses Zitat der Revolutionslegende Che Guevara wird der eher nüchterne André Hofschneider seinem Kickerpersonal wohl kaum als Motivation mit auf den Weg zur Rückrunde der 2. Fußball-Bundesliga gegeben haben. Der vor gut einem Monat installierte Trainer des 1. FC Union Berlin schildert die Chancen für einen Aufstieg am Ende der Saison mit dürren Worten: „Ich glaube, man ist nach fünf Siegen nicht automatisch aufgestiegen und man ist nach drei Niederlagen nicht aus dem Rennen.“ Fakt indes ist: Union hat mit Platz sechs in der Tabelle das Zwischenziel auf keinen Fall erfüllt. Aber nicht allein die Platzierung, vor allem die Stagnation in der spielerischen Entwicklung war wohl der wesentliche Grund für die Entlassung von Hofschneiders Vorgänger Jens Keller nach dem 16. Spieltag.
Zwischenziel auf keinen Fall erfüllt
Vor dem Trainer – intern wird das alte Unioner Urgestein Hofi genannt – steht vor allem die Umstellung der Mannschaft auf ein variableres, schwieriger ausrechenbares Spiel als bisher. Allein mit einem Fingerschnipsen ist das nicht zu erreichen. Die Stagnation und der langsame Rückschritt in der Mannschaft begannen gegen Ende der letzten Saison. Spätestens ab April 2017 war Unions Spielweise von den Gegnern entschlüsselt. Am Ende wurden wichtige Punkte im Kampf um den Aufstieg verloren.
Das von Keller praktizierte Pressing ist prinzipiell ja nicht falsch. Aber: „Wenn ich ständig auf Balleroberung aus bin, bedeutet das doch, dass die andere Mannschaft den Ball besitzt“, argumentiert Hofschneider. Dabei gehe es doch eher darum, dem Gegner das eigene Spiel zu diktieren. Das erfordert eigenen Ballbesitz, eine sichere Verteidigung sowie gutes Passspiel nach vorn. Vor allem nach Führungen zeigte sich die Schwäche der Mannschaft, diese zu halten. Allein 17 Punkte gingen in der bisherigen Saison so verloren. Das lag laut Datenanalysen aber nicht an Konditionsmängeln, sondern an Problemen im Spiel mit dem Ball.
Im Sommer wurden einige neue Spieler wie Akaki Gogia, Marcel Hartel und Grischa Prömel engagiert. Alle drei sind in der Lage, auf Systemumstellungen zu reagieren. Aber dazu kam es nicht. Im Endeffekt wurde durch ihren Einsatz lediglich die Zahl der sogenannten Bankdrücker erhöht. Union hatte wohl die bestbesetzte Bank der Liga: Mit Steven Skrzybski, Stephan Fürstner, Damir Kreilach oder Dennis Daube hatten dort vier der wichtigsten Stützen der Vorsaison plötzlich einen Stammplatz. Sie kamen meist nur zu Kurzeinsätzen, was der Stimmung selten förderlich ist.
Bei vielen Spielern hatten Beobachter den Eindruck, dass sie sich entweder kaum oder gar zurückentwickelten. Das war ziemlich deutlich an Felix Kroos zu beobachten, der auf der Sechserposition im defensiven Mittelfeld augenscheinlich nicht gut aufgehoben ist. Dort kann er seine Stärken – den überraschenden Pass in Schnittstellen oder seine Schussqualität – kaum einsetzen. Selbst Sebastian Polter, ein Beispiel für einen Vollblutstürmer und Kämpfer, kam trotz seiner zehn Tore nicht an sein Limit. Einzig Christopher Trimmel, der rechte Außenverteidiger, hat 2017 einen echten Qualitätssprung hingelegt.
Und so ist es letztlich nicht verwunderlich, dass von der Vereinsführung Konsequenzen gezogen wurden. Clubpräsident Dirk Zingler: „Wenn ich ehrlich bin, überrascht mich die Überraschung der Beteiligten. Die Überraschung der Menschen draußen und im Stadion, die überrascht mich nicht … Es hat regelmäßige interne und kritische Analysen gegeben. Da ging es auch um Selbstreflexion und Kritikfähigkeit und darum, ob Trainer oder Spieler die Dinge so sehen wie der Verein oder die Zuschauer oder ob man glaubt, dass eigentlich alles in Ordnung ist … Es ist auch eine Frage von Werten innerhalb des Vereins, dass wir grundsätzlich keine schmutzige Wäsche waschen und Personalentscheidungen immer intern behandeln.“
André Hofschneider hat nun den Auftrag, aus dieser Mannschaft ein eingeschworenes Team mit klarer Hierarchie zu bilden, das den Willen hat, jedes Spiel zu gewinnen. „Dieses Gefühl und diese Überzeugung müssen wir in der Vereinsführung jedoch haben. Versuche, das Bestmögliche aus dem Kader herauszuholen. Nichts Unmögliches“, gibt der Präsident seinem Angestellten mit.
„Mich überrascht die Überraschung“
Als erstes im neuen Jahr ging der Trainer die Frage der Hierarchie an. Er stellte den Mannschaftsrat um. Kapitän bleibt Felix Kross. Michael Parensen und Damir Kreilach sind raus. Neu hinzu kamen Christopher Trimmel, Kristian Pedersen und Sebastian Polter. Vizekapitän bleibt Steven Skrzybski.
Zugänge und Abgänge dürften sich bis zum Ende der Wechselfrist in Grenzen halten. Vorerst wurde mit dem 21-jährigen Lars Dietz ein Verteidiger von Borussia Dortmund engagiert. Der 1,90 Meter große siebenfache U20-Nationalspieler soll variabel als rechter Verteidiger, aber auch auf den zentralen hinteren Positionen einsetzbar sein. Vielleicht sogar im defensiven Mittelfeld. Dietz dürfte indes eher eine Investition in die Zukunft sein. „Er ist ein Eins-zu-eins-Ausgleich“, erklärte Sportgeschäftsführer Lutz Munack. Denn Rechtsverteidiger Atsuto Uchida, einst von Schalke gekommen, reiste zurück in seine Heimat zum Kashima Antlers F.C. in Tokio. Uchida war schon im Ruhrpottverein eine Art Pflegefall und in Köpenick ebenfalls mehr verletzt als einsatzbereit. Als Abgangskandidat zählt auch Christoph Schösswendter. Der lange Innenverteidiger zeigte bei seinen wenigen Einsätzen nie die Qualität für eine Spitzenmannschaft in der Zweiten Liga.
Die Mannschaft hat die vergangenen zwei Wochen im Trainingslager an der spanischen Orangenblütenküste bei Valencia hoffentlich genutzt. Hofschneider ließ seine Balltreter schon den Sonnenaufgang am Strand genießen. Ob das nur Genuss war, dürfte zu bezweifeln sein. „Nur mit großen Zielen können wir auch große Fortschritte erreichen. Es kommt darauf an, dass wir die Philosophie des Trainers schnell verinnerlichen“, sagte Steven Skrzybski gegenüber dem „Berliner Kurier“. „Wir als Mannschaft haben die Fähigkeiten, das mit Leben zu füllen. Hofi bringt die Vorstellungen, die er hat, gut rüber. Ich finde, dass wir das als Mannschaft gut annehmen und umsetzen.“
Darauf wird es schon am 23. Januar ankommen, wenn Union beim Überraschungsteam der Hinrunde, dem Aufsteiger und Tabellenzweiten Holstein Kiel, antritt.