Einst gehörte sie einem Kaugummikönig: Santa Catalina Island, die felsige Pazifikinsel vor der Küste Kaliforniens, liegt nur 35 Kilometer von Los Angeles weg und scheint dennoch eine Welt entfernt. Hier bewegt man sich zu Fuß, per Fahrrad oder Golfcart, denn Autos sind nur bedingt zugelassen.
Der Flug im Helikopter von Long Beach nach Avalon auf Catalina Island verläuft recht wackelig. Etwas flau im Magen schaue ich nach unten, wo sich die Wellen meterhoch auftürmen. Hätten wir den Flug nicht doch lieber verschieben sollen? Bereits zweimal war er aufgrund des Wetters abgesagt worden, aber heute hatte sich der Pilot bereit erklärt, zu fliegen. „Falls uns der Wind runterholt, haltet euch im Wasser einfach an den Kufen fest, bis Hilfe kommt“, meint er lachend. In dem Moment sacken wir kräftig ab, und ich sehe uns schon im Kampf mit den Wellen. Mein Magen fährt Achterbahn. Als wir landen, steige ich mit wackeligen Knien aus. Noch nie war mir ein 20-minütiger Flug so lange vorgekommen.
„Wo kein Regen und kein Hagel fällt, wo niemals Schnee den Boden berührt und niemals lauter Wind bläst“, schrieb der viktorianische Dichter Tennyson in einem mythischen Gedicht, dort soll Avalon liegen, das verwunschene Tal, das Paradies auf Erden. Ein heiliger Ort, an dem man alle Sorgen vergessen kann. Natürlich war in Tennysons Gedicht nicht die Rede von Avalon auf Catalina, aber die Beschreibung trifft zu.
Avalon, das nach dem gleichnamigen Ort in der Artussage benannt wurde, ist Hauptstadt und Zentrum der nur 35 Kilometer langen und 13 Kilometer breiten Insel. Was uns zuerst ins Auge fällt, sind die weißen Häuser mit roten Ziegeldächern, wie man sie aus der Mittelmeerregion kennt. Im Jachthafen liegen unzählige Segelboote, Katamarane und Jachten in der geschützten Bucht und spiegeln sich im blauen Wasser. Auf der Crescent Avenue entlang der Bucht mit ihren zahlreichen Straßencafés, Restaurants und kleinen Boutiquen unter Palmen und farbenprächtigen Blumen haben wir endgültig das Gefühl, uns irgendwo am Mittelmeer zu befinden. Stundenlang könnten wir im Straßencafé sitzen, den strahlenden Sonnenschein, den sanften Wind und die klare Luft genießen und dem Dolce Far’Niente frönen.
Die 3.500 Bewohner der Insel, die von den indianischen Ureinwohnern „Berge im Meer“ genannt wurde, nehmen das Leben leicht. Kein Stress, keine Hektik und Autos – diese sind, bis auf Elektrovehikel, verboten. Eine Ausnahme bilden lediglich Feuerwehr- und Polizeiautos sowie Krankenwagen. „Der bewohnte Teil der Insel ist jedoch so klein, dass man ihn ohnehin in kurzer Zeit zu Fuß schafft“, erklärt uns die Kellnerin im Café. Das passt, denken wir, denn wir haben nur ein paar Stunden auf der Insel.
Der Portugiese Juan Rodriguez Cabrillo entdeckte die Insel 1542. Später diente sie Pelzhändlern aus Russland, Sklavenhändlern und Piraten als Stützpunkt. William Wrigley, der Kaugummikönig aus Chicago, kaufte die gesamte Insel 1919 und baute sich auf dem Mount Ada (benannt nach seiner Frau Ada), dem sonnigsten Platz der Insel, sein persönliches Schloss mit 22 Räumen und sieben Badezimmern. In der riesigen Villa befindet sich heute das Hotel „The Inn on Mount Ada“.
Da Wrigley seinerzeit Touristen auf die Insel locken wollte, beauftragte er diverse Baumeister damit, dem Ort einen mediterranen Touch zu geben. So entstanden Villen im spanischen Kolonialstil mit roten Ziegeln. Außerdem ließ er ein Casino bauen, dessen markanter Rundbau noch heute das Wahrzeichen von Avalon ist.
Ende der 20er-Jahre entdeckten Filmproduzenten, Schauspieler, Schriftsteller und reiche Kalifornier die Insel und ließen sich Villen an den steilen Berghängen von Avalon bauen.
Den Erben Wrigleys ist es zu verdanken, dass die einmalige Flora und Fauna unter Naturschutz gestellt wurde und von der 1972 gegründeten Catalina Island Conservancy, einer gemeinnützigen Landschaftsschutzorganisation, gehegt und gepflegt wird.
Der Golf von Santa Catalina mit seinem klaren Wasser, dem Fischreichtum, der vielfältigen und farbenfrohen Unterwasserflora und der mannigfaltigen Vegetation vor der buchtenreichen Küste ist von Mai bis September ein wahres Paradies für Taucher.
„Im Winter kann man Wale beobachten, die auf dem Weg von Alaska nach Mexiko an der Insel vorbeiziehen und mit ihren Wasserfontänen für ein spektakuläres Schauspiel sorgen“, erzählt uns eine Inselbewohnerin, die mit ihrem Labrador an einem einsamen Strand unterwegs ist. Außer dem Geschrei der Möwen und dem Rauschen des Meeres gibt es keine Geräusche. Über uns zieht ein Adler seine Kreise. Ist Catalina tatsächlich das letzte Geheimnis Kaliforniens?