Am Saisonende wird Diskuswerfer Robert Harting seine Karriere beenden. Beim ISTAF Indoor in Berlin startet der dreimalige Weltmeister am 26. Januar in sein letztes Jahr im Ring. Zum Abschied von „seinem" Meeting, das er einst mit aus der Taufe hob, hat sich der 33-Jährige viel vorgenommen.
Im Theater würde man wohl von einer Dernière sprechen: der letzten Darbietung einer Inszenierung an einem Spielort. Für Diskuswerfer Robert Harting ist sein diesjähriger Auftritt beim ISTAF Indoor aber gleichzeitig der Anfang vom Ende. Es ist das erste von vielen letzten Malen in dieser Saison, an dessen Ende der 33-Jährige im September seine ruhmreiche Karriere beenden wird. Im Training scherzt er bereits seit Längerem: Das sei jetzt der letzte 13. November, an dem er mit seinen Kollegen zusammen trainiert, der letzte 14. November, der letzte 15. November, und so weiter. Doch so richtig greifbar war sein nahender Rücktritt für ihn bislang nicht. „Ich glaube, wirklich emotional wird es erst später", sagte Harting im Herbst.
Die ersten Tränen könnten nun beim ISTAF Indoor fließen. Schließlich war diese Veranstaltung für Harting immer schon eine spezielle Angelegenheit gewesen. Er war es, der dieses innovative Leichtathletik-Event in der Berliner Mercedes-Benz-Arena vor fünf Jahren gemeinsam mit Meetingdirektor Martin Seeber aus der Taufe hob. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir im Sommer 2013 gemeinsam in der völlig leeren Arena standen. Robert hatte einen Diskus mitgebracht – und wir haben erst einmal getestet, ob die Berliner Arena hoch und lang genug ist für den Diskuswurf. Viele haben uns damals für verrückt erklärt", erzählt Seeber. Harting selbst sagt über seinen Erfolg beim ISTAF Indoor im Jahr 2016, als er sein Comeback nach langer Verletzungspause mit einem Sieg krönen konnte: „Dieses Erlebnis wird für immer in meinem Herzen bleiben."
Man darf deshalb davon ausgehen, dass das diesjährige ISTAF Indoor auch im Werk des Hamburger Filmemachers Guido Weihermüller eine wichtige Rolle spielen wird, der den Leichtathleten auf seiner Abschiedstournee auf Schritt und Tritt mit der Kamera begleitet. „Sechsviertel" heißt das Filmprojekt über Hartings letztes Jahr als Sportler – weil eine Diskusbewegung genau anderthalb Drehungen lang ist, also sechs Viertel. In der „Bild"-Zeitung erklärte Harting: „Es soll aber kein üblicher Sportfilm werden. Die Idee ist, die Welt hinter dem Glitzerregen zu zeigen. Eine Welt, in der ein Sportler wieder vermenschlicht wird, den Moment, wenn‘s zu Ende geht, wenn man seine sozialen Strukturen verliert."
Filmprojekt „Sechsviertel"
Genug zu erzählen gäbe es über Robert Harting schon jetzt. Seit einem Jahrzehnt ist er das Gesicht der deutschen Leichtathletik, für manch einen vielleicht sogar des deutschen Sports insgesamt – auch weil er immer offen seine Meinung gesagt hat. Harting sparte in den vergangenen Jahren nicht mit Kritik an IOC-Präsident Thomas Bach und dem Umgang mit Doping, brachte aber auch konstruktive Vorschläge ein, wie das Fördersystem in Deutschland verbessert werden könnte. Drei Mal – 2009, 2011 und 2013 – wurde er Weltmeister, zwei Mal (2012, 2014) Europameister, 2012 krönte er seine Karriere dann mit dem Olympiasieg in London (Großbritannien). Dafür wurde er von 2012 bis 2014 drei Mal in Folge als Sportler des Jahres ausgezeichnet.
Und trotzdem zählt er seinen Sieg beim ISTAF Indoor 2016 bis heute zu seinen größten Erfolgen. 19 Monate nach seinem Kreuzbandriss, der beinahe das Karriereende bedeutet hätte, feierte er damals in seiner Heimatstadt eine glanzvolle Rückkehr. „Sich aus solch einer Situation zurückzukämpfen, hat für mich einen viel größeren Mehrwert, als immer bloß zu gewinnen", sagt er. Denn aus Niederlagen lerne man viel mehr als aus Siegen.
Sein Comeback und die Art und Weise, wie er mit Rückschlägen umgegangen ist, haben Robert Harting bereits viel Respekt eingebracht. Jetzt will der Diskuswerfer ein letztes Mal ins Rampenlicht. Bei den Europameisterschaften im August in Berlin möchte Harting noch einmal eine Medaille gewinnen. „Das ist die klare Marschroute. Ich trainiere nicht für Platz vier bis sechs", sagt er. Bislang habe er mit jedem seiner Trainer – anfangs noch Werner Goldmann, später dann Torsten Lönnefors – eine Medaille geholt, deshalb wolle er das jetzt auch mit seinem neuen Coach Marko Badura schaffen, der ihn und seine Frau Julia Harting seit Herbst 2016 betreut. „Das wäre schon geil, dann könnte ich mich zuhause feiern lassen", so Harting. Er ist sich allerdings bewusst, dass die Medaillenmission „superschwer" werden wird, schließlich präsentierte sich die kontinentale Konkurrenz zuletzt bärenstark. Der Weltmeister Andrius Gudzius (Litauen) stammt ebenso aus Europa wie der letztjährige Weltjahresbeste Daniel Ståhl aus Schweden, der die Scheibe 2017 bis auf 71,29 Meter fliegen ließ – 60 Zentimeter über Hartings Bestleistung aus dessen besten Zeiten. „Die Jungs haben einfach so viel Power", meint er.
Bislang läuft auch für Robert Harting alles nach Plan. „Ich fühle mich gut und bin nahezu schmerzfrei, das ist ein schönes Gefühl. Seit Langem bin ich nicht mehr so fit in eine Saison gegangen. Jetzt will ich noch einmal alles geben und die letzten Zellen meines Körpers herauskitzeln. Der Kessel brennt", sagte Harting Ende November bei einem Pressetermin zum ISTAF Indoor. Dort will er schon einmal gucken, „wie der Bizeps der Konkurrenz aussieht", um daraus Rückschlüsse für den Sommer zu ziehen. Dabei steht für ihn nicht die Weite im Vordergrund: Vielmehr zähle die Körpersprache der Athleten, ihr Auftreten und die technische Entwicklung seit dem letzten Aufeinandertreffen. Aber natürlich will sich Robert Harting auch mit einer ordentlichen Leistung von „seinem" Meeting verabschieden. „Die Zuschauer sitzen beim ISTAF Indoor so nah dran, das ist gleich ein ganz anderer Performancedruck", sagt er.
„Trainiere nicht für Platz vier"
Die räumliche Nähe zwischen Publikum und den Akteuren ist jedoch nicht der einzige Grund, weshalb sich das ISTAF Indoor von anderen Leichtathletikveranstaltungen abhebt. Auch bei der fünften Auflage setzen die Organisatoren wieder auf die bewährte Kombination aus Sport und Show. Bei der Inszenierung der Athleten werden alle technischen und räumlichen Möglichkeiten der Arena genutzt: Pyrotechnik, Musik, Licht- und Feuereffekte. Im Zieleinlauf der Sprints und bei besonderen Leistungen in den Wurf- und Sprungdisziplinen kommen Feuerfontänen zum Einsatz. In der Umbaupause vor dem Diskuswerfen wird es zudem erneut ein 20-minütiges Livekonzert geben, dieses Mal von Sänger Nico Santos, bekannt unter anderem durch seinen EM-Song „Wir sind groß" zusammen mit Mark Forster im Sommer 2016.
Das Konzept kommt gut an: In den vergangenen Jahren kamen jeweils rund 12.500 Zuschauer in die Halle – mehr als bei jedem anderen Hallenmeeting auf der Welt. „Das einzigartige Format des ISTAF Indoor mit den Show-Elementen und der Nähe zu den fantastischen Zuschauern pusht die Athleten zu absoluten Top-Leistungen. Die Fans können sich wieder auf einen tollen Abend freuen", sagt Meetingchef Martin Seeber. Zahlreiche Weltklassesportler werden am Start sein und sich in sieben Disziplinen (60 Meter Männer/Frauen, 60 Meter Hürden Männer/Frauen, Stabhochsprung Männer, Weitsprung Frauen, Diskuswurf Männer) mit den besten einheimischen Sportlern messen. Mit dabei sind neben Robert Harting auch sein Bruder, Diskus-Olympiasieger Christoph Harting, im Stabhochsprung die beiden Sechs-Meter-Springer Piotr Lisek (Polen) und Renaud Lavillenie (Frankreich), die Weitspringerinnen Alexandra Wester und Sosthene Moguenara sowie die versammelte deutsche Sprintelite um Gina Lückenkemper, Lisa Mayer und Rebekka Haase, die unter anderem auf Vizeweltmeisterin Marie Josée Ta Lou (Elfenbeinküste) treffen.
Kombination aus Sport und Show
„Die Leichtathletik hat richtig viel zu bieten", meint Martin Seeber. „Wir müssen sie nur fit für die Zukunft machen – noch kompakter, spannender und nachvollziehbarer für die Zuschauer." Und als wenn Diskuswerfen in der Halle noch nicht verrückt genug wäre, hätte Robert Harting für die Zukunft noch einen anderen Vorschlag. Im Herbst brachte er die Idee eines „ISTAF Tropicana" im Badeparadies „Tropical Islands" ins Spiel – mit Sprints im Sand und Kugelstoßen unter Palmen. „Wir haben schon mal drüber gesprochen. Robert hat ja viele spinnerte Ideen, einige lassen sich nicht umsetzen, andere schon. Ja, vielleicht kann man sich das für 2019 überlegen", meinte Seeber zu diesem Einfall. Harting würde sich sicher freuen, auch wenn er selbst dann nicht mehr dabei sein könnte. Oder um es in der Sprache der Theaterleute zu sagen: Eine Zugabe wird es für ihn nach seiner Abschiedsvorstellung ganz sicher nicht geben.