Brigitte Schmid wurde 2012 Opfer eines Romance Scammers – eines Betrügers, der über Dating-Plattformen mit Lügen und einer falschen Identität gutgläubige Frauen finanziell ausnimmt. Die Münchnerin spricht über ihre Erfahrungen.
Frau Schmid, Sie wurden vor ein paar Jahren Opfer eines Romance Scammers. Was genau ist passiert?
Den Scammer habe ich Ende Oktober 2012 auf der Datingseite „Friendscout24.de“ kennengelernt. Er hat vorgegeben, ein kanadischer Soldat zu sein, der für die US-Armee in Afghanistan stationiert ist. Phillip Morgan nannte er sich. Wir haben uns einige Tage auf Skype unterhalten – nur schriftlich und ohne Webcam. Bei diesen Unterhaltungen ging es die erste Zeit nicht um Geld, sondern nur darum, dass er seinen Dienst bei der US-Armee Anfang Dezember 2012 beenden würde und anschließend zu mir nach Deutschland kommen wollte. Jeden Tag kamen E-Mails, in denen er mir ständig mitteilte, wie sehr er mich liebt, dass ich die Liebe seines Lebens sei. Er schickte mir fast täglich Liebesgedichte und so weiter. Nach etwa einer Woche erzählte er mir dann seine Geschichte. Er hätte viel Geld – über eine Million Dollar –, das er mir mittels eines Diplomaten schicken wollte. Zuerst wollte ich das Geld nicht, hatte Angst und Albträume deswegen. Zu dieser Zeit war ich schon hoffnungslos in die Fotos des Mannes verliebt und der Meinung, mit diesem Mann zu chatten. Ich habe mich dann doch überreden lassen, das Geld für ihn anzunehmen. Phillip Morgan wollte einen chinesischen Diplomaten mit dem Geld nach München schicken. Er schickte mir den Diplomatenausweis eines chinesischen Mannes, der dann ein paar Tage später von Kabul losfliegen wollte, mit Umweg über Ghana.
Als der vermeintliche Diplomat in Ghana war, hat er mich angerufen und mir mitgeteilt, dass die ghanaischen Behörden ein „Anti-Terrorist-Certificate“ benötigen, ansonsten könnten sie ihn nicht ausreisen lassen. Kosten: 5.000 Euro. Die sollte ich schicken, da die Banken in Ghana nicht vertrauenswürdig wären, die Kreditkarte nicht funktionieren würde und er auch sonst keine Möglichkeiten hätte, an Geld zu kommen. Und Phillip Morgan konnte aus Afghanistan natürlich kein Geld schicken. Das ging fast den ganzen November so, bis ich mich habe überreden lassen, 4.000 Euro zu schicken. Danach hat mir der chinesische Diplomat mitgeteilt, dass der Innenminister dieses Certificate nur unterschreiben will, wenn er dafür 2.000 Euro bekommt. Diese 2.000 Euro habe ich dann per Western Union geschickt. Anschließend habe ich per E-Mail das vom Minister of Interior unterzeichnete Anti-Terrorist-Certificate erhalten und der Diplomat teilte mir mit, dass er am nächsten Tag nach Deutschland fliegen würde. Am nächsten Tag rief der Diplomat mich dann an, um mir mitzuteilen, dass dieses Certificate nicht mehr länger gültig wäre und man ein neues ausstellen müsste. Kosten: 7.000 Euro. Da war für mich Schluss. Ich wollte und konnte kein Geld mehr schicken und habe angefangen, zu recherchieren.
Wollten Sie nie einen Beweis, dass es sich tatsächlich um den Mann auf den Fotos handelt?
Ich habe ihn immer wieder gefragt, ob er eine Webcam hätte, damit wir uns sehen können. Oder ob er mich anrufen könnte, damit ich wenigstens seine Stimme hören könnte. Seine Ausreden waren immer groß. Meist meinte er, dass es aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt sei – er könne dies von seiner Basis aus nicht machen beziehungsweise wäre sein Computer schon älter und das funktioniere nicht. Wenn ich öfter nachgefragt habe, fragte er, ob ich ihm nicht vertrauen würde.
Wie schwerwiegend war diese Erfahrung für Sie?
Ich habe insgesamt 6.000 Euro an den Scammer geschickt. Diese Erfahrung war mit die schlimmste meines Lebens. So hintergangen und belogen zu werden, war einfach furchtbar. Der Verlust des Geldes war zwar auch schlimm, aber schlimmer noch war der emotionale Schaden. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich in dieser Zeit geweint habe, nervliche Zusammenbrüche erlebt habe und so weiter. So habe ich zum Beispiel innerhalb von sechs Wochen acht Kilo abgenommen, weil ich nichts mehr essen konnte. Insgesamt habe ich etwa ein Jahr gebraucht, bis ich den Schmerz überwunden hatte.
Haben Sie den Betrüger angezeigt?
Das bringt nichts. Er sitzt in Ghana, und die deutsche Polizei kann gegen die Scammer in Ghana rechtlich nicht vorgehen. Das müsste schon die ghanaische Polizei machen, aber das tut sie nicht. Wer schlachtet schon die Gans, die goldene Eier legt? Und diese Scammer bringen schließlich Devisen ins Land.
Wie haben Sie erfahren, wer er wirklich ist?
Ich wurde misstrauisch und habe angefangen zu recherchieren. Zuerst habe ich das Bild des vermeintlichen Diplomaten gefunden. Das war ein chinesischer Flüchtling. Später habe ich die Facebook-Seite der US-Armee durchgeschaut, und da stand eine Warnung, dass Bilder von amerikanischen Soldaten gestohlen werden und sich Scammer als diese Personen ausgeben. Ein Link zur Webseite www.romancescam.com war dabei. Den habe ich angeklickt. Auf dieser Seite fand ich Hunderte von Geschichten, die alle hätten meine sein können. Da war mir schlagartig klar, dass ich auch auf so einen Scammer hereingefallen war.
Nach etwa fünf Monaten hat er sich wieder bei mir gemeldet, und da habe ich ihn damit konfrontiert, dass ich weiß, dass er ein Scammer aus Ghana ist. Er zeigte sich mir anschließend per Webcam, sagte mir seinen wirklichen Namen und sein wirkliches Alter (33). Er hat natürlich versucht, mich wieder zu scammen und Geld von mir zu erbetteln, aber da habe ich nicht mehr mitgespielt.
Was sind die typischen Maschen von Romance Scammern?
Meist sind ältere Personen 45 plus die Opfer der Scammer. Die Scammer suchen sich Fotos einer Person und bauen eine Geschichte um diese Person auf. Diese Geschichte erzählen sie ihren Chat-Partnern. Handelt es sich um Privatpersonen, sind sie oft als Händler von Edelsteinen tätig oder Im- und Export von Autos, arbeiten auf Ölplattformen oder sind mit Schiffen unterwegs. Als Soldaten sind sie oft in Krisengebieten stationiert, wie in Afghanistan oder im Irak. Also immer weit weg, damit man sich nicht spontan treffen kann.
Die Scammer versuchen, ihre Opfer zu isolieren, man soll sich beispielsweise sofort von der Dating-Seite abmelden, da man ja nun seine große Liebe gefunden hat und nicht weiter suchen muss, Verwandte/Kinder werden schlecht gemacht, wenn sie misstrauisch sind. In jeder freien Minute chattet man mit seinem „Partner“, damit man für nichts anderes mehr Zeit hat. Man bekommt morgens, mittags, abends Liebesgedichte, und es wird einem täglich mitgeteilt, wie sehr man doch geliebt wird.
Männer werden auch Opfer von Scammern. Da sind die Geschichten etwas anders. Häufig wollen die angeblichen Frauen zu ihrer „großen Liebe“ nach Europa oder in die USA reisen, aber haben natürlich kein Geld dafür – Geld, das dann die Männer schicken sollen.
Meist passiert etwas, weshalb Geld geschickt werden soll. Jemand wird krank (oft die angeblichen Kinder) oder die angebliche große Liebe sitzt irgendwo fest.
Auffallend ist auch, dass in den Chats nie von Sex gesprochen wird, immer nur von der großen Liebe. Bei den meisten „realen“ Männern kommt spätestens beim dritten Chat die Frage nach Sex. Das sind zumindest meine Erfahrungen.
Da die meisten Scammer nicht immer sehr gut englisch sprechen, sollte man sehr genau auf Schreibfehler achten – zumindest, wenn sie sich als US-Bürger oder Engländer ausgeben. So wird auch sehr oft geschrieben „Am from Canada“; „Am 45 years old“ und nicht, wie es ein native speaker machen würde: „I am/I‘m from Canada“ oder „I am/I‘m 45 years old“. Manchmal geben sie sich auch als Franzosen, Spanier oder sonstige Europäer aus, haben aber dann natürlich ein Problem, wenn man mit dem angeblichen Spanier in Spanisch spricht. Sie reagieren dann nicht, wenn man mit ihnen in ihrer angeblichen Muttersprache spricht, sondern schreiben einfach auf Englisch weiter. Die angeblichen „Franzosen“ sitzen meist an der Elfenbeinküste. Die sprechen natürlich Französisch, aber auch nicht 100 Prozent perfekt, machen sehr oft Grammatikfehler und bringen die Du- und Sie-Form oft durcheinander. Ich bin nach diesem Erlebnis einige Zeit auf Scammerjagd gegangen und habe mir Informationen von diesen Scammern geholt, wo sie sitzen, E-Mail-Adresse, Telefonnummer, Fotos und so weiter, um sie dann auf www.romancescam.com zu posten. Da ich insgesamt fünf Sprachen spreche, unter anderem perfekt Französisch, sind mir die Fehler dann natürlich aufgefallen.
Können Sie sich heute Ihre Gutgläubigkeit von damals erklären?
Ich frage mich immer wieder, warum ich damals auf diesen Scammer hereingefallen bin. Ich kann mir es bis heute nicht erklären, und die Scham wird mich bis zu meinem letzten Tag begleiten. Die einzige Antwort, die ich habe, ist wahrscheinlich die, dass mir der Mann auf den Bildern so gefallen hat. Die Geschichte, die der Scammer um diesen Mann aufgebaut hat, das Leben, das er mit mir führen wollte, hat er mir in den schönsten Farben geschildert, und dies hat wohl mein rationales Denken ausgeschaltet.
Was würden Sie anderen raten, die im Netz auf den vermeintlichen Traumpartner stoßen?
Skeptisch bleiben, sofort auf Bildersuche bei Google oder Tineye gehen und schauen, ob man etwas über den vermeintlichen Traumpartner findet. Sehr genau auf die Sprache achten. Versuchen, sich nicht emotional hineinziehen zu lassen. Auf Abstand gehen, wenn man nach zwei Tagen schon als die große Liebe bezeichnet wird. Auf www.romancescam.com schauen, wenn einem seltsame Geschichten erzählt werden. Wenn man mit einem Scammer in Kontakt ist, wird man dort sicher fündig. Auf der Homepage sind ehrenamtliche Leute aus aller Herren Länder tätig, die einem bei der Recherche helfen.
Mit welcher Absicht haben Sie Ihr Buch „Betrügerische Liebe“ geschrieben?
Ich habe während dieser Zeit täglich in mein Tagebuch geschrieben, um dieses traumatische Erlebnis zu verarbeiten. Ich habe einfach geschrieben und geschrieben, konnte nicht aufhören. Ich wurde 2013 einmal von „Wiso“ interviewt und gefilmt, und die Dame hat mir gesagt, ich solle doch ein Buch darüber schreiben. Da ist mir dann aufgefallen, dass ich dies ja schon mache, mein Tagebuch.
Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Buch erhalten?
Einige Freunde und Bekannte haben dieses Buch gelesen. Ich habe Auszüge aus dem Buch auch damals ins Englische übersetzt und auf romancescam.com gepostet. Die Reaktionen waren durchweg positiv, niemand hat mich verurteilt und als dumm eingestuft. Alle hatten Mitleid mit mir, haben aber gleichzeitig auch meine Kraft bewundert und mir gewünscht, dass ich meinen Traumpartner finde.
Haben Ihnen auch Frauen geschrieben, die Ähnliches erlebt haben?
Ich hatte mit mehreren Frauen Kontakt, denen Ähnliches passiert war. Ich stehe heute noch mit einer Frau in Kontakt, die in Dubai lebt und die sehr viel Geld an einen Scammer verloren hat. Ich bin seit Kurzem auch in Kontakt mit einer Frau, die in Stuttgart wohnt. Wir wollen uns im Februar treffen, um zu überlegen, was man gegen diese Scammer machen kann, wie man das Problem öffentlich machen kann. Ich hatte mich auch einmal mit einem Mann getroffen, der 12.000 Euro nach Ghana geschickt hatte.
Hat das Erlebnis Ihren Umgang mit dem Internet verändert?
Eigentlich nicht. Ich bin vielleicht etwas skeptischer als vorher, passe noch besser auf, surfe nur auf Seiten, die ich als sicher einstufe. Aber das habe ich auch schon vorher gemacht. Und Scammer haben jetzt natürlich keine Chance mehr bei mir. Ich erkenne sie alle.
Wie geht es Ihnen heute?
Sehr gut. Ich bin aber nicht mehr die gleiche Person wie vorher. Ich bin stärker, selbstbewusster geworden, habe Dinge angefangen, die ich mir ohne dieses Erlebnis nicht zugetraut hätte – wie dieses Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, und im November war ich bei „Stern TV“ live auf Sendung. Mit einer Freundin zusammen habe ich eine Tanzschule gegründet und eine Tanzausbildung gemacht.
Gibt es einen neuen Mann in Ihrem Leben?
Ja. Er lebt hier in München ...