Claudia Pechstein lässt nicht locker. Mit fast 46 Jahren kämpft die Eisschnellläuferin um eine Olympia-Medaille, auch den juristischen Kampf gibt sie nicht verloren.
Es ist ein Sportpolitikum, und man hätte es dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nicht verdenken können, wenn er sich mit einem taktischen Kniff aus der ungemütlichen Lage befreit hätte. Wenn der DOSB also mit dem Hinweis auf das 3.000-Meter- Rennen einen Tag nach der Eröffnungsfeier die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein nicht zu den fünf Fahnenträger-Kandidaten nominiert hätte.
Doch zum einen ist es nur Pechsteins Nebenstrecke, und zum anderen sieht der DOSB die Berlinerin, die bei ihren siebten (!) Winterspielen in Pyeongchang 46 Jahre alt wird, als vollkommen rehabilitiert an. So sehr, dass er auch manchen Unmut in der internationalen Sportgemeinde in Kauf nimmt. Über den Fahnenträger der deutschen Olympia-Mannschaft stimmten bis zum 5. Februar die Öffentlichkeit und die Olympiastarter ab, beide Seiten werden mit 50 Prozent gewichtet.
„Ihr kriegt mich nicht klein“
Pechstein zu den offiziellen Kandidaten zu nominieren, war eine Entscheidung mit höchst politischer und emotionaler Kraft. Alfons Hörmann weiß das natürlich, aber er hat sich trotzdem im Vorfeld für die Athletin stark gemacht. Der DOSB-Präsident ist ein ausgesprochener Pechstein-Fan. Ihre Leistungen seien „schlichtweg unglaublich“, er bewundert das „Holz, aus dem sie geschnitzt ist“. In der Tat: Pechstein ist eine Kämpferin durch und durch. Auf und neben dem Eis.
„Ich halte noch viel länger durch, ihr Existenzvernichter kriegt mich nicht klein!“ Das sagte Pechstein kürzlich im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“. Diese Kampfansage gilt vor allem der Internationalen Eisschnelllauf-Union (ISU), die sie vor acht Jahren ohne Doping-Beweis, dafür auf der Grundlage erhöhter Blutwerte sperrte. Die hatte Pechstein später mit einer vererbten Blutanomalie erklärt, die von Experten diagnostiziert wurde. Diese „Unrechtssperre“, wie Pechstein sie nennt, stachelt sie an: „Die ISU gibt mir die größte Motivation. Nichts ist schöner, als auf dem Podium zu stehen und von der ISU honoriert werden zu müssen.“ Deshalb scheinen auch ihre siebten Olympischen Spiele (Rekord für eine Wintersportlerin) kein Zeitpunkt für den Abschied zu sein. So lange ihr Schadenersatzprozess gegen die ISU juristisch nicht beendet ist, will Pechstein auf dem Eis ihre Runden drehen. Der Streit vor den Gerichten geht nun schon über viele Jahre und zerrt an den Nerven. Es geht um einen Schadenersatz in Höhe von 4,4 Millionen Euro.
Umstritten sind die Art und Weise, wie Pechstein diesen Kampf gegen den Weltverband, teilweise aber auch gegen andere Kritiker und Medien führt. Immer an ihrer Seite: Lebensgefährte Matthias Große. Pechstein nennt den Berliner Unternehmer ihren „Bodyguard“ – und so tritt er mitunter auch auf. Es gab in der Vergangenheit Beschwerden von Journalisten, Funktionären und sogar Mitgliedern des Sportausschusses des Bundestages, die sich von Große eingeschüchtert oder sogar bedroht fühlten. Nun ist Große offiziell vom DOSB für Olympia akkreditiert worden, als Mentalcoach und persönlicher Betreuer seiner Lebensgefährtin. So wie schon vier Jahre zuvor im russischen Sotschi, als Pechstein auf Platz vier nur knapp an ihrer zehnten Medaille vorbeigelaufen war.
Großes Akkreditierung stößt nicht überall auf Verständnis. „Ich weiß nichts von Unmut“, sagt Pechstein, und sie betont noch mal, wie wichtig ihr Freund für ihre Leistungen auf dem Eis ist: „Ohne ihn und seine Fähigkeiten, mich zu motivieren, hätte ich meine Schlittschuhe schon längst in die Ecke gefeuert.“
Ärger um Pechsteins Partner
Das wäre für die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) sportlich betrachtet eine Katastrophe. Pechstein ist – trotz ihrer 45 Jahre – hierzulande die beste Eisschnellläuferin. Während ihre einstigen Rivalinnen Gunda Niemann-Stirnemann oder Anni Friesinger-Postma schon längst ihre Karrieren beendet haben, zeigt Pechstein der meist deutlich jüngeren Konkurrenz noch immer die Hacken. Auch in Pyeongchang geht Pechstein als Medaillenkandidatin an den Start, am 16. Februar steht ihre Paradestrecke 5.000 Meter auf dem Programm.
Ihr Trainer Peter Mueller hat mit Pechstein alles auf dieses Rennen ausgerichtet. Die fünfmalige Olympiasiegerin soll auch zu Rennende konstant schnelle Runden laufen können. Dass sie dazu in der Lage ist, bewies sie vor allem bei ihrem 5.000-Meter-Triumph am 20. November des vergangenen Jahres in Stavanger. Es war Pechsteins 33. Weltcupsieg – knapp 20 Jahre nach ihrem ersten Streich. „Ich habe hier Eisschnelllauf-Geschichte geschrieben“, sagte Pechstein damals: „In diesem Alter wird wohl nie wieder einer Athletin ein Weltcupsieg gelingen.“ Robert Bartko, DESG-Sportdirektor, ist von ihrer Leistung angetan: „Claudia Pechstein ist ein Vorbild von ihrer Willensstärke und Leidenschaft her, sie ist eine große Sportlerin.“ Diese Wertschätzung hätte die streitbare und umstrittene Athletin gerne auch in der Öffentlichkeit. „Leider werden sportliche Erfolge hierzulande nicht so gewürdigt wie anderswo“, sagte sie im „Welt“-Interview: „International sind Olympiasieger oft absolute Heros. Aber in Deutschland fühlst du dich manchmal eben einfach nur als Steuernummer.“
Dass Pechstein national seit Jahren die unangefochtene Nummer eins ist, ist ein Armutszeugnis für das deutsche Frauen-Team im Eisschnelllaufen. „Außer Claudia ist bei den Frauen niemand in der Lage, individuell um Medaillen zu kämpfen“, sagt Bundestrainer Jan van Veen. Bei den Männern sieht es auch nur unwesentlich besser aus. In den Einzeldisziplinen dürfen sich Sprinter Nico Ihle und Langstreckenläufer Patrick Beckert Chancen auf olympisches Edelmetall ausrechnen.
Ihle, dessen Medaillentraum vor vier Jahren in Sotschi auf Platz vier über 1.000 Meter auf bittere Art platzte, könnte dabei von den Sanktionen gegen Russlands Athleten profitieren. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) lässt mit Weltrekordler Pawel Kulischnikow, Denis Juskow und den Weltjahresbesten Ruslan Muraschow gleich drei Weltklasse-Sprinter nicht unter neutraler Flagge starten. Kulischnikow und Juskow waren bei der EM vor wenigen Wochen vor dem Dritten Ihle gelandet, bei Olympia sind sie gesperrt. „Ich bin froh, dass jetzt Athleten an den Start gehen, die mit fairen Mitteln kämpfen“, sagt der Chemnitzer: „Wie glaubwürdig sind Athleten, die schon einmal gesperrt waren?“ Vielleicht kann das deutsche Team aus der Abwesenheit der meisten Russen den ein oder anderen Platz nach vorne rücken, doch das strukturelle und personelle Problem bleibt. „Für die Sportart ist es sehr, sehr schade, dass wir nicht aus mehr Potenzial schöpfen können“, sagt Pechstein. Wehe, wenn sie, Ihle, Beckert und die Frauen in der Teamverfolgung komplett die Medaillenränge verpassen. Edelmetall sind nach wie vor die einzige Währung, die zählt.