Das Eishockeyturnier gehörte zuletzt regelmäßig zu den Höhepunkten der Olympischen Winterspiele. Das lag auch an den Stars der nordamerikanischen Profiliga NHL, die dort dem Puck nachjagten. Für Pyeongchang hat die NHL abgesagt – das eröffnet Außenseitern wie der deutschen Mannschaft ganz neue Chancen.
Chad Kolarik ist ganz sicher kein schlechter Eishockeyspieler. Er ist sogar ein ziemlich guter: Mit 25 Toren war er im vergangenen Jahr in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) der drittbeste Torschütze, und auch in der laufenden Saison hat er schon wieder 20 Mal getroffen.
Trotzdem hätte sich der Stürmer der Adler Mannheim wohl nie erträumt, dass er einmal an den Olympischen Spielen teilnehmen würde. Selbst nachdem er im Herbst 2017 bereits beim Deutschland-Cup das amerikanische Nationaltrikot getragen hatte, was man durchaus als Fingerzeig werten durfte, war Kolarik immer noch baff, als er den entscheidenden Anruf des kürzlich verstorbenen US-Teammanagers Jim Johannson bekam. „Es war surreal“, sagte Kolarik im Interview mit „Sportschau.de“. „Den ersten Anruf habe ich sogar verpasst. Erst bei meinem Rückruf habe ich die freudige Nachricht dann erhalten. Ich bin zusammengesackt und habe auch die eine oder andere Träne verdrückt.“
Mit den beiden Torhütern David Leggio (Red Bull München/USA) und Justin Peters (Kölner Haie/Kanada) haben zwei weitere DEL-Spieler, die aus Nordamerika stammen, den Sprung zu den Spielen nach Pyeongchang geschafft. Mit dem Amerikaner James Wisniewski von den Kassel Huskies (USA) ist sogar ein Zweitligaspieler dabei, der früher jedoch viele Jahre lang in der National Hockey League (NHL) gespielt hat, der besten Eishockeyliga der Welt.
„Die eine oder andere Träne verdrückt“
Normalerweise rekrutieren sich die Teams von Kanada und den USA ausschließlich aus NHL-Spielern. Auch bei vielen anderen Nationen machten sie bislang den Großteil des Kaders aus. Doch die nordamerikanische Profiliga wird in diesem Jahr keine Spieler zu Olympia entsenden. Die Teameigner waren trotz erheblicher finanzieller Zugeständnisse seitens des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und des Eishockey-Weltverbands IIHF nicht bereit, den Spielbetrieb für den Zeitraum der Winterspiele zu unterbrechen. Damit finden die Olympischen Spiele erstmals seit 1998 wieder ohne die besten Eishockeyspieler der Welt statt. Eine der größten Attraktionen der Veranstaltung fällt dieses Mal aus. Hintergrund ist, dass die NHL-Teams nicht bereit waren, die Reise-, Unterbringungs- und Versicherungskosten für ihre Spieler zu tragen. Die Kosten dafür werden auf rund 20 Millionen US-Dollar geschätzt. Bislang hatte das IOC die Kosten übernommen, doch diese Regelung gilt für 2018 nicht mehr.
In Wirklichkeit geht es aber wohl noch um etwas anderes. Offenbar sieht die NHL in Südkorea nicht den lukrativen Markt, für den es sich lohnt, die Saison zu unterbrechen.
Ganz anders sieht es nämlich mit den nächsten Winterspielen 2022 in Peking aus – dort würde die National Hockey League gerne wieder dabei sein, um den wichtigen chinesischen Markt zu erobern. Der stellvertretende Liga-Boss Bill Daly deutete jedenfalls bereits an, in China gäbe es möglicherweise „Gelegenheiten, die es in Südkorea nicht gibt“. Bereits in dieser Saison hatten NHL-Clubs mehrere Vorbereitungsspiele in China ausgetragen. Doch die NHL kann nach ihrer Absage für Pyeongchang für 2022 auch nicht einfach so tun, als wäre alles wieder gut. Noch ist offen, ob sie nach dem jüngsten Streit von der olympischen Familie wieder mit offenen Armen empfangen wird. IIHF-Präsident René Fasel deutete bereits an: „Wenn sie nicht nach Korea gehen, wird es sehr schwer für sie, nach Peking zu kommen.“ Auch Taylor Hall, Stürmer der New Jersey Devils und einer der großen Stars des Sports, meinte: „Ich denke nicht, dass es möglich sein sollte, sich nur die Winterspiele aussuchen zu können, die man gerne hätte.“
Überhaupt waren die NHL-Spieler mehrheitlich gegen den Olympiaboykott. „Seit ich ein Kind war und seit ich in der NHL spiele, waren immer NHL-Spieler bei Olympia. Wir mussten uns nie in meiner Karriere zwischen unseren Teams und unserem Land entscheiden“, sagte der russische Stürmerstar Alexander Ovechkin von den Washington Capitals. „NHL-Spieler bei Olympia sind gut für das Eishockey und gut für Olympia.“ Schwedens Nationaltorhüter Henrik Lundqvist, der für die New York Rangers spielt, twitterte ebenfalls: „Enttäuschende Nachricht. Eine tolle Gelegenheit, das Spiel auf der größten Bühne zu präsentieren, ist vertan.“ Auch die deutsche Mannschaft ist betroffen. Bundestrainer Marco Sturm muss beim Turnier unter anderem auf Leon Draisaitl (Edmonton Oilers), Tom Kühnhackl (Pittsburgh Penguins), Tobias Rieder (Arizona Coyotes), Dennis Seidenberg und die Torhüter Thomas Greiss (beide New York Islanders) und Philipp Grubauer (Washington Capitals) verzichten.
Trotzdem könnte Deutschland von der Absage der NHL profitieren. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass das Turnier in diesem Jahr ausgeglichener sein wird als in den Vorjahren. Gerade die beiden Teams aus Nordamerika, die nun auf Profis aus Europa oder aus unterklassigen Ligen setzen müssen, sind nicht mehr automatisch in der Favoritenrolle. Ohne NHL-Spieler hat Kanada zuletzt 1952 olympisches Gold geholt, die USA 1980 beim legendären „Miracle on Ice“. Beim Deutschland-Cup im November wurden die Amerikaner ohne einen einzigen Sieg Letzter. Das eröffnet Chancen für andere Mannschaften: Vor allem Russland, das auf Spieler aus der heimischen KHL zurückgreifen kann, aber auch Schweden und Finnland gelten jetzt als Favoriten. Doch auch einige Außenseiter haben so große Medaillenchancen wie noch nie, darunter vielleicht auch Deutschland.
Das DEB-Team trifft in der Vorrunde zunächst auf Schweden, Finnland und Norwegen. Danach werden die zwölf Teams aus allen drei Gruppen gemäß ihrer Ergebnisse auf die Positionen eins bis zwölf einer Setzliste eingeteilt. Die ersten vier stehen automatisch im Viertelfinale, die anderen acht Teams spielen eine Viertelfinal-Qualifikation (Fünfter gegen Zwölfter, Sechster gegen Elfter, und so weiter).
Je nachdem, wie weit die deutsche Mannschaft kommt, wird das Turnier hierzulande womöglich sogar intensiver verfolgt werden, als mit NHL-Beteiligung. Erfolg zieht schließlich immer. In Nordamerika haben die Sender dagegen ihr Programm umgestellt. Anstelle von Eishockey wird nun deutlich mehr Curling gezeigt. Diese Sportart ist damit einer der großen Gewinner des NHL-Verzichts. Genau wie Chad Kolarik und Co.