Die deutsch-koreanische Journalistin und Künstlerin Moon Suk erzählt, was wir in Pyeongchang erwarten können. Ein Interview über südkoreanische Gastfreundschaft, Last-Minute-Tickets und den Beitrag Olympias zum Weltfrieden.
Südkorea und Winterspiele – passt das? Es ist ja nicht gerade das Land, das einem als erstes einfällt, wenn man an Wintersport denkt.
Also wir haben auch Berge, auch wenn sie vielleicht etwas niedriger ausfallen als in den Alpen. Dort lassen sich sämtliche Wintersportdisziplinen problemlos bestreiten. In der Region Gangwon-do im Osten des Landes, in der auch Pyeongchang liegt, fällt mehr Schnee als in manchen Gegenden von Deutschland – oft sind es bis zu 20 Zentimeter an einem Tag. Die Winter dort sind extrem kalt, Temperaturen von minus 20 Grad sind keine Seltenheit. Es ist eine trockene Kälte, nicht dieses nasskalte Wetter, das wir hierzulande häufig bekommen. Meistens scheint sogar die Sonne. Der koreanische Winter ist wunderschön.
Aber ist Südkorea eine klassische Wintersportnation?
Noch nicht. Das liegt aber wie gesagt nicht daran, dass es dort keinen Schnee oder keine Berge gibt, sondern hat eher mit der Geschichte des Landes zu tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Südkorea ein armes Land. Der koreanische Wohlstand ist erst in den vergangenen 20, 30 Jahren entstanden. Bis Anfang der 90er-Jahre hatten Koreaner höchstens ein paar Tage Urlaub im Jahr – gerade Winterurlaub war absoluter Luxus. Inzwischen haben die Menschen mehr Freizeit. Entsprechend wächst auch das Interesse für den Wintersport.
Können die Olympischen Winterspiele im eigenen Land diese Entwicklung noch verstärken?
Davon gehe ich aus. Olympia wird dem Wintersport in Südkorea einen großen Schub verleihen. Da entsteht ein ganz neuer Markt. Das war schon während der beiden gescheiterten Olympiabewerbungen zu spüren.
Pyeongchang hatte sich schon für die Ausrichtung der Winterspiele 2010 und 2014 beworben, zog aber gegen Vancouver beziehungsweise Sotschi den Kürzeren. War der Zuschlag für 2018 für die Südkoreaner auch eine Frage der Ehre?
Pyeongchang 2018 ist seit über 15 Jahren eine nationale Priorität der südkoreanischen Regierung gewesen. Koreaner sind sehr zäh. Genau wie unsere Nationalblume, der Hibiskus – wenn man ihn zerreibt, entsteht eine zähe, klebrige Masse. Wenn sich Südkoreaner etwas in den Kopf gesetzt haben, dann ziehen sie das auch durch und lassen sich dabei von nichts aufhalten – egal, wie lange es dauert. Wenn wir etwas wirklich wollen, dann schaffen wir das auch.
1988 war Südkorea in Seoul schon einmal Gastgeber der Olympischen Sommerspiele. Damals bewirkten die Spiele, dass sich der Staat nach außen öffnete; sie beschleunigten die Ablösung des autoritären Regimes und führten zu einer Demokratisierung des Landes. Welches Erbe wird Pyeongchang 2018 bringen?
Die Spiele können zu einer Entspannung in der Region und damit zum Weltfrieden beitragen. Olympia war der Anlass, dass sich die Regierungen aus Nord- und Südkorea nach zwei Jahren Stillstand wieder aufeinander zubewegt haben. Im Januar gab es erstmals Gespräche über die Teilnahme nordkoreanischer Athleten und die Bildung eines gemeinsamen Fraueneishockey-Teams. Es wäre der erste gemeinsame sportliche Auftritt beider Länder bei Olympia. Zudem wollen beide Länder bei der Eröffnungsfeier gemeinsam einmarschieren und dabei eine Flagge tragen, die für die Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten wirbt. Ohne die Winterspiele in Pyeongchang wäre das nicht passiert. Ich hatte im Vorfeld schon ein wenig Sorge, dass Nordkorea nicht teilnehmen wird, was die Spannungen weiter verschärft hätte. Aber Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un fährt selbst gern Ski und hat in Nordkorea sogar extra ein Skigebiet eingerichtet. Außerdem weiß er genau, dass er seine Ziele im direkten Dialog mit Südkorea eher erreichen kann als gegenüber US-Präsident Donald Trump.
Einige Athleten, darunter das deutsche Alpin-Ass Felix Neureuther, der jetzt aufgrund seiner Verletzung aber sowieso nicht in Pyeongchang starten wird, hatten im Vorfeld die Vergabe der Spiele in die Krisenregion kritisiert und sogar einen Boykott erwogen. Wie sind diese Äußerungen bei den Südkoreanern aufgenommen worden?
Mit Unverständnis. Die Menschen in Südkorea haben sich längst an die Situation mit Nordkorea gewöhnt – kaum jemand dort glaubt wirklich, dass etwas passieren wird. Für viele geht sogar von Donald Trump die größere Gefahr aus als von Kim Jong-un. Und während der Olympischen Spiele wird es erst recht keine Auseinandersetzung geben. So dumm ist Kim Jong-un auch nicht. Er weiß genau, dass er damit die ganze Welt gegen sich aufbringen würde.
Sie sagten, dass das Interesse für den Wintersport in Südkorea stetig wächst. Der Ticketverkauf verlief bislang allerdings eher schleppend. Wie erklären Sie sich das?
Südkorea liegt für die meisten Wintersportfans aus Europa und Nordamerika ziemlich weit entfernt. Es ist auch immer noch kein wirklich touristisches Land, wo man sowieso hinfährt. Für eine Reise nach Südkorea muss man die Zeit und den Willen aufbringen, etwas Neues kennenzulernen. Diese Bereitschaft fehlt im Westen häufig. Aber ich kann eines versprechen: Die Gäste, die den langen Weg nach Pyeongchang kommen, werden sich dort sehr wohl fühlen. Gastfreundschaft liegt den Koreanern im Blut.
Auch in Südkorea selbst wurden allerdings deutlich weniger Eintrittskarten verkauft als erhofft.
Südkoreaner sind oft sehr spät dran, wenn es darum geht, Tickets zu kaufen. Sie erledigen das meist auf den letzten Drücker. Ich weiß das von mir selbst: Ende Januar bin ich nach Pyeongchang geflogen, aber bis zwei Wochen vorher hatte ich noch keine Flugtickets. Die Vorverkaufszahlen bedeuten also nicht viel, die Sportstätten können immer noch voll werden.
Allerdings befürchte ich tatsächlich, dass sich die Südkoreaner vor allem für die Sportarten interessieren werden, in denen ihre Landsleute vorne mitmischen – also Eisschnelllauf, Eiskunstlauf und vor allem Shorttrack. Bei anderen Disziplinen könnten dagegen viele Plätze leer bleiben.
Zwei Wochen nach den Olympischen Spielen finden in Pyeongchang auch die Winter-Paralympics statt, die zuletzt immer große Feste gewesen waren. Welchen Stellenwert hat der Behindertensport in Südkorea?
Die Akzeptanz von Behinderten ist in der südkoreanischen Gesellschaft noch ausbaufähig. Gerade die ältere Generation denkt zum Großteil noch sehr konservativ. Ich hoffe, dass die Paralympics dabei helfen, die Einstellung einiger Koreaner in dieser Sache zu verändern. Mein größter Wunsch wäre, dass die Paralympics irgendwann komplett in die Olympischen Spiele integriert werden.