Justin Reddig entwirft traumhafte Roben – auch für viele Prominente. Im Interview spricht der Berliner Designer über sein Leben als Modeschöpfer, den Arbeitsalltag, ganz besondere Stücke und die aktuelle Kollektion.
Herr Reddig, Sie haben kein klassisches Design-Studium absolviert. Wie haben Sie sich all Ihre Kenntnisse – etwa bezüglich Entwurf und Schnitt – angeeignet?
Das stimmt, eigentlich wollte ich Architekt werden, aber dann hat mich doch eher die Modebranche gepackt. Weder ich noch meine Geschäftspartnerin, Mila Greifenberg, haben eine entsprechende Ausbildung im Bereich Mode-Design gemacht. Wir haben jedoch eines gemeinsam: Wir sind beide handwerklich sehr begabt und haben ein dreidimensionales Denkverständnis. Das bedeutet, wir können uns gut vorstellen wie sich bestimmte Materialen verhalten, wenn man sie auf bestimmte Art und Weise drapiert oder schneidet. Wir haben uns einfach da herangewagt, und mit der Zeit wurde es immer besser. Inzwischen werden die Schnittmuster für uns angefertigt, denn dafür haben wir keine Zeit mehr. Ich mache „nur noch“ die Skizze und die technische Zeichnung und Mila kümmert sich dann um die technische Beschreibung, eine Art Blaupause für ein zu entstehendes Produkt. Hier muss alles bis zur Angabe der Stichlänge der einzelnen Nähte vorgegeben werden. Es ist in gewisser Weise auch Architektur.
Wie genau sahen Ihre Anfänge als Designer aus?
Ich lernte Mila Greifenberg kennen, als sie noch in der Kosmetikbranche tätig war. Schnell merkten wir, dass wir beide die gleiche Aspiration hatten und fingen an, unsere ersten Teile zu schneidern. Wir machten uns in ihrem damaligen Laden auf dem Fußboden breit und sind einfach drauf losgegangen. Irgendwann haben wir uns dazu entschieden, das Ganze professioneller zu betreiben und gründeten das Label „Justin Reddig“. Die darauffolgenden Jahre widmeten wir uns der Aufbereitung eines Netzwerks von Webereien über Lieferanten bis hin zu Fabrikanten. Wir lernten sehr viele Firmen kennen und sind irgendwann in China gelandet, wo wir für einen großen chinesischen Konzern als Design Directors gearbeitet haben. In der Zeit sind wir oft zwischen Berlin und Shanghai gependelt. Inzwischen konzentrieren wir uns aber nur auf unser Unternehmen und reisen innerhalb Europas, meistens sogar innerhalb Deutschlands, da wir unsere Produkte größtenteils hierzulande produzieren lassen.
Können Sie sich noch an die ersten Stücke erinnern, die Sie geschneidert haben?
Ja, sehr gut sogar, weil wir es in unserem Archiv halten. Es ist ein Abendkleid im Empire-Stil mit schwarzem Satinbustier und einem Unterteil aus handbesticktem Tüll. Dieses Kleid hat für uns einen enorm großen emotionalen Wert und ist daher unverkäuflich.
Wie ist die Arbeitsverteilung zwischen Ihnen und Mila Greifenberg?
Das hat sich mit der Zeit sehr gewandelt. Jetzt wo es in der Firma komplexer zugeht, kümmere ich mich hauptsächlich um die Entwürfe und das Tagesgeschäft. Mila hat den Überblick über die Produktion und den Stoffeinkauf. Dazu muss ich aber sagen, dass unsere Kollektionen aus gemeinsamer Arbeit entstehen, denn ihren Rat als Designerin und Frau schätze ich besonders.
Wie sieht Ihr Tagesablauf als Designer aus?
Weniger glamourös, als man vielleicht vermuten würde. Die Modebranche ist wie jede andere auch ein knallhartes Geschäft und unterm Strich zählt die Wirtschaftlichkeit. Neben Telefonaten und E-Mails beantworten, plane ich Verkaufstouren, Events und entwickle neue Ideen. Das Entwerfen einer Kollektion passiert nebenbei und kommt dann noch oben drauf. Das überschneidet sich meistens nicht mit den Erwartungen vieler Außenstehender, es ist jedoch sehr wichtig, sich mit dem wirtschaftlichen Teil des Geschäfts auseinanderzusetzen, da man dadurch zum Beispiel auch die Produkte gezielter auf die Wünsche der Kunden ausrichten kann.
Sie kreieren auch Einzelstücke für Stars. Wie läuft das Entwerfen eines Kleides ab?
Das kommt darauf an, ob es eine Abendrobe oder einfach nur Tagesgarderobe ist. Denn oftmals tragen sie meine Kleidung im privaten Alltag. Im Falle einer Sonderanfertigung, etwa einer Abendrobe, entwickeln wir häufig zusammen einen Entwurf. Die darauffolgenden Anproben finden dann meistens in Los Angeles oder New York statt – je nachdem, wo sie leben. In der Regel kennen sie sich sehr gut aus und wissen, welche Farben ihnen stehen und welche nicht – sie sind sehr, sehr kritisch.
Wo lassen Sie Ihre Kreationen nach dem Entwurf fertigen?
Wir arbeiten mit mehreren Manufakturen in Deutschland, Italien, England und Frankreich zusammen. Jede Manufaktur hat einen Schwerpunkt und uns ist es besonders wichtig, diese auszuschöpfen. Da wir auf kompromisslose Qualität setzen, möchten wir uns auch in diesem Bereich keine Fehler erlauben. Überwiegend lassen wir jedoch in Deutschland herstellen, da wir Wert auf Regionalität legen. Made in Germany ist ein Gütesiegel, das besonders im Ausland für Qualität und Wertigkeit steht.
Welche Materialien verwenden Sie am liebsten und warum?
Wir verwenden überwiegend Seide. Ob als Oberstoff oder als Futter. Es ist ein wunderschönes Naturmaterial, das im Winter wärmt und im Sommer kühlt. Darüber hinaus ist es einfach ein sehr luxuriöses Material, das sich wunderbar auf der Haut anfühlt und einen tollen Glanz hat. Seide gibt es ja inzwischen in unzähligen Variationen, sodass sie nie langweilig wird.
Wie viele verschiedene Stoffe stehen zur Auswahl?
Für die Damenkollektionen verwenden wir durchschnittlich 65 verschiedene Stoffe, die in den Manufakturen weiterverarbeitet werden. Das Herrensortiment bietet im Bereich Hemden und Anzüge rund 1.200 Stoffe zur Auswahl.
Welches war Ihr bislang aufwendigstes Kleid?
Das aufwendigste Kleid ist tatsächlich eins, das in erster Linie sehr schlicht aussieht. Es ist eine schwarze Abendrobe aus Couture-Georgette, die von vorne sehr unscheinbar wirkt. Dreht sich die Trägerin jedoch um, bezaubert sie mit unzähligen schwarzen Swarovski-Kristallen, die im Rautenmuster entlang der Ärmel, dem Rücken und der Beine verlaufen. Insgesamt drei Monate hat uns dieses Kleid beschäftigt, denn jeder Stein wurde nach Vorlage des Schnittmusters von Hand bestickt.
Wie würden Sie Ihre Kleidungsstücke in fünf Worten beschreiben?
Konzentriert, elegant, zeitlos, kosmopolitisch, detailverliebt.
Auf welche Details setzen Sie?
Vermutlich auf zu viele Details! Ich glaube, dass das eine Krankheit ist, denn sowohl Mila als auch ich akzeptieren nichts, was nicht sein darf. Für uns ist das Innenleben eines Produkts genauso wichtig wie das Äußere. Produktionsabnahmen nehmen wir persönlich vor, da wir eine ganz klare Vorstellung von dem Endergebnis haben. Oftmals sind es auch subtile Details auf die wir setzen, die erst wahrgenommen werden, wenn man danach sucht – etwa handgehäkelte Borten, handgenähte Knopflöcher, vergoldete Elemente, die sich auf der Innenseite verbergen. Nichts wird dem Zufall überlassen.
Welche Kleidungsstücke entwerfen Sie am liebsten?
Das kommt auf meine Laune an. Je mehr man sich mit einer bestimmten Produktkategorie befasst, desto interessanter wird sie. Wenn wir eine Kollektion entwerfen, teilen wir die Zeit in verschiedene Blöcke auf. So befassen wir uns zum Beispiel drei Tage nur mit Blusen, danach vielleicht eine Woche mit Abendkleidern und kehren dann zu den Blusen zurück, um diese noch mal zu überarbeiten. Die Arbeit ist sehr systematisch und gerade bei Produkten, die für den Alltag gedacht sind, ist es wichtig, die Funktionalität zu hinterfragen. Es ist manchmal technischer als man denkt.
Am liebsten jedoch zeichne ich Abendkleider. Woran das liegt, weiß ich nicht genau. Vermutlich, weil es eine freiere, kreativere Aufgabe ist. In meiner Welt würden Frauen viel öfter Abendroben tragen, aber dafür lebe ich leider in der falschen Zeit.
Tragen Sie selbst ausschließlich selbst entworfene Stücke?
Zur Arbeit ja, privat nein. Ich trage grundsätzlich weiße Hemden und dunkle Anzüge zur Arbeit, in der Hinsicht bin ich sehr konservativ. Auch bei den Krawatten bevorzuge ich schlichte, gedeckte Töne.
Privat trage ich alles Mögliche, je nach Lust und Laune.
Welche Funktionen muss Mode Ihrer Meinung nach erfüllen?
Funktionalität ist ein sehr wichtiges Schlagwort, denn nur die Optik allein zählt nicht. Im Gegenteil: Der Kunde setzt eine gewisse Ästhetik voraus, denn mal ehrlich: Wer kauft ein hässliches Produkt? In allen Branchen ist Design ein essenzieller Faktor geworden und somit ist es umso wichtiger, durch die Funktionalität ein Alleinstellungsmerkmal zu erlangen. Funktionalität bedeutet für mich, dass ein Produkt alltagstauglich ist. Das Material muss zum Beispiel hochwertig, aber zudem auch pflegeleicht sein. Des Weiteren sind Produkte wichtig, die sich den Bedürfnissen der Kunden anpassen. In meinen Kollektionen findet man Bekleidung, die sowohl für den Büro-Alltag als auch für die Cocktail Hour zum After Work-Treff funktioniert. Letzteres war ein wichtiger Punkt unserer Kundschaft, die einen eng getakteten Terminkalender hat. Das Thema Reise ist auch ein ständiger Begleiter in der Entstehungsphase einer Kollektion, da unsere Kunden Kosmopoliten sind und somit viel Zeit im Flugzeug verbringen. Reisetauglichkeit ist mir in Hinsicht auf Funktionalität auch ein wichtiger Begriff und ich kann, da ich selbst wöchentlich interkontinental unterwegs bin, mit gezielten Produkten auf diese Bedürfnisse reagieren.
Können Sie jungen Designern, die eine eigene Marke gründen wollen, vielleicht ein paar Tipps geben?
Zunächst einmal sollte man sich darüber im Klaren sein, dass die Modebranche kein einfaches Terrain ist. Man muss sich auf einen harten Kampf einstellen, denn der Wettbewerb ist grenzenlos. Ich rate den jungen Designern, die mit dem Gedanken spielen, sich selbstständig zu machen, sich ein gründliches Konzept auszuarbeiten, bevor sie damit loslegen. Man sollte genau wissen, welche Kundengruppen man ansprechen möchte, wo man diese findet und am wichtigsten ist die Frage, ob diese Zielgruppe ein neues Produkt braucht. Kurz gesagt: Eine genaue Analyse ist wichtig, um möglichst gezielt reagieren zu können. Wichtig ist auch – und das ist nicht immer einfach – die Wirtschaftlichkeit im Auge zu behalten. Manchmal ist es erforderlich, seine persönlichen Vorlieben zurückzustellen, wenn sie keinen Erfolg versprechen. Ein kleines Beispiel: Als Designer lieben Sie die Farbe Pink, Ihre Kunden jedoch kaufen ausschließlich neutrale Farbtöne. Da werden Sie als Designer Schwierigkeiten haben, Ihre pinke Mode zu verkaufen – egal, wie sehr Sie davon überzeugt sind.
Der letzte Punkt, den ich weitergeben kann, ist, dass man stets an sich glauben sollte und niemals das Ziel aus den Augen verlieren sollte, denn es kommen harte Zeiten auf einen zu. Das ist ganz normal und man sollte sich darauf einstellen. Der berühmte „lange Atem“ ist hier das richtige Mittel.
Ihre aktuellen Kollektionen kann man über Ihren Onlineshop erwerben. Was ist Ihnen bei den Kollektionen wichtig?
Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ist immer gut, denn auch wohlhabende Kunden können preissensibel sein. Unser Konzept basiert auch darauf, Kleidung der höchsten Güte zu sehr wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten. Das schaffen wir, da wir ohne Zwischenhändler operieren und somit hohe Händlermargen umgehen können.
Was würden Sie sagen, welche Werke die Must-haves der aktuellen Kollektion sind?
Unser Verkaufsschlager ist unser Doubleface Kaschmirmantel in der Farbe Butterscotch, der komplett von Hand gefertigt ist. Dieser Mantel fasst sich so weich an, dass der Stoff beinahe in den Händen schmilzt. Es ist ein absolut zeitloses und universelles Produkt und hat sich als unglaublich beliebt erwiesen. Daher ist aktuell auch nur noch ein Stück verfügbar.
Sie haben eine zeitlose, klassische und edle Auswahl an Damenblusen. Wie kombiniert man diese am besten?
Der Stil „Justin Reddig“ ist von Natur aus sehr klassisch, das ist eben so. Aber wie es bei Klassikern üblich ist, lassen sie sich wunderbar kombinieren und ergeben so einen völlig neuen Look. Gerade in der heutigen Zeit ist es durchaus üblich, luxuriöse Couture-Stücke mit lässigem Streetstyle zu verbinden – aus meiner Sicht eine ganz tolle Mischung, die eine neue Form der Eleganz darstellt. Auch unsere Blusen, ob aus Seide, ägyptischer Baumwolle oder Leinen, lassen sich hervorragend kombinieren: Mit einer seidig-fließenden Marlene-Hose aus Crêpe Marocain für einen abendlichen Look oder aber auch mit ausgewaschenen, zerrissenen Skinny Jeans und einer großen Leder-Tote Bag für den alltäglichen Gebrauch.
Was erwartet den Besucher in Ihrer Boutique in Berlin?
Die neu eröffnete „Justin Reddig Boutique“ in der Fasanenstraße 74 bietet das gesamte Spektrum unserer Produktvielfalt. Neben unserer Hauptkollektion, die sich ständig weiterentwickelt, erwartet den Kunden auch unsere „Salon Privé“-Linie: eine exklusive Auswahl handgefertigter Abendroben, die sowohl aufwendig als auch einzigartig sind. Darüber hinaus bieten wir unseren Kunden die Möglichkeit, gemeinsam einen individuellen Entwurf zu gestalten – dabei wird jeder Wunsch berücksichtigt.
Im Frühjahr 2018 werden wir die Boutique weiter ausbauen und um einen luxuriösen Herrensalon erweitern, da wir uns zusätzlich seit Kurzem wieder verstärkt unserer Herrenkollektion widmen. Das Sortiment umfasst edle Herrenanzüge auf Rosshaar mit handgenähtem Revers-Knopfloch – auch Boutonnière Milanaise genannt – sowie exklusive Hemden und luxuriösen Kaschmirstrick. An den Einzelheiten wird noch gearbeitet, aber das allgemeine Konstrukt steht schon.
Welche besonderen Ereignisse stehen im Hause Justin Reddig an?
Wie vorhin erwähnt arbeiten wir auch an der Herrenkollektion, die ab nächstem Jahr angeboten wird. Der kreative Prozess unterscheidet sich sehr stark von dem der Damenkollektion, und obwohl es ein viel einfacherer Vorgang ist, birgt er doch seine eigenen Tücken – das ist aber alles ganz normal.
Unsere Verkaufstouren für 2018 sind ebenfalls noch in Planung, hierzu kann ich aber jetzt schon sagen, dass wir in Leipzig, Stuttgart, Dresden, München, Saarlouis und auf Sylt aufschlagen werden. Einzelne Termine und nähere Informationen werden dann online verkündet.