Die Filmbranche liebt die Hauptstadt: Sie bildet die Kulisse für deutsche wie internationale Produktionen. Das schlägt mit rund 900 Millionen Umsatz auch wirtschaftlich zu Buche. Doch manch ein Anwohner ist davon gar nicht begeistert.
Aaaand action!" schallt es durch das Haus in der Auguststraße 24, das den meisten Berlinern besser als „Clärchens Ballhaus" bekannt sein dürfte. Es ist George Clooneys Stimme, die das Signal zum Drehstart gibt. Satte acht Monate drehte der Amerikaner als Regisseur und Darsteller den Hollywood-Film „The Monuments Men" in Berlin. Das war 2013. Das berühmte „Tanzlokal" mit Restaurant bildete für Clooney die perfekte Kulisse. Es besticht durch den Spiegelsaal im Obergeschoss sowie den Tanzsaal im Erdgeschoss und stammt aus dem Jahr 1895. Seine Architektur beziehungsweise die Anmutung des Gebäudes scheint vielen Location-Scouts offensichtlich genau richtig für jene Hollywoodfilme geeignet zu sein, die in der Nazizeit spielen sollen. So nutzten bereits die Macher des Filmes „Stauffenberg" – in der Titelrolle Tom Cruise – das Haus als Filmkulisse. Auch der Blockbuster „Inglourious Basterds" wurde dort gedreht. In dem Kassenschlager mit großer Starbesetzung fungiert das Ballhaus als kleines französisches Dorflokal, in dem Christoph Waltz als „Hans Landa" und Brad Pitt als „Aldo Raine" über das Ende des Dritten Reiches sprechen.
Doch nicht nur Nazi-Filme, auch weltweit erfolgreiche Serien nehmen sich Berlin gerne als Bühne. So spielte zum Beispiel die gesamte fünfte Staffel der US-Serie „Homeland" in Berlin. Im letzten August ist zudem „Berlin-Station" bei Netflix angelaufen, eine ebenfalls amerikanische Serie, die von Geheimdienst-Einsätzen in der deutschen Hauptstadt handelt.
„Die Hauptstadtregion gehört zu den international beliebtesten Drehorten für Filme und Serien", heißt es beim Medienboard Berlin-Brandenburg, das Filme fördert. Im Jahr 2017 gab das Board 19,1 Millionen Euro für Filmproduktionen aus sowie 505.000 Euro für die Film-Entwicklung. Insgesamt werden mehr als 300 Filme pro Jahr und jede Menge international preisgekrönte Großproduktionen in Berlin und im Umland gedreht. Die Produktionsbedingungen vor Ort sind gut; die insgesamt 1.800 Filmunternehmen der Region erwirtschaften einen Jahresumsatz von 900 Millionen Euro.
Mehr als 300 Filme jährlich
Die Filmleute machen selbst vor dem Deutschen Bundestag nicht halt. Neben der Reichstagskuppel haben es den Amerikanern vor allem zwei Gebäude des Parlaments angetan: das Paul-Löbe-Haus und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, beide sind durch den bekannten „Jakob-Mierscheid-Steg" im sechsten Stock über die Spree miteinander verbunden. Im Actionfilm „The First Avenger: Civil War" mit Chris Evans, Robert Downey Junior und Scarlett Johannson müssen die Liegenschaften als Firmengebäude des Technologiekonzerns „Stark Industries" herhalten, der im Regierungsauftrag Waffensysteme entwickelt. Dazu haben Computerspezialisten die eigentlich offene Mierscheid-Brücke in einen gläsernen Übergang verwandelt, der deutlich größer als das Original erscheint. Die Glaskuppel des Reichstages, die Sir Norman Foster ersann, wurde zudem durch eine rechteckige Steinkuppel ersetzt, die aussieht, als stamme sie aus der Zeit vor dem Brand im Jahr 1933. Erfahrene Berlin-Besucher und selbst Einheimische müssen mindestens zweimal hinschauen, um die perfekte Illusion zu erfassen und im Geiste den Vergleich zu den Original-Bauten zu ziehen.
Das Zauberwort, mit dem sich bestehende Gebäude bis zur Unkenntlichkeit verändern oder auch ganz neue Welten aus dem Nichts erschaffen lassen, besteht aus drei Buchstaben: „CGI". Die Abkürzung steht für „Computer Generated Imagery", also vom Computer kreierte Kulissen. Die Technik hat sich in den letzten 15 Jahren derart vervollkommnet, dass ein Unterschied zwischen Scheinwelt und echter Kulisse nicht mehr zu erkennen ist. Dazu agieren die Schauspieler während des Drehs meist vor einem sogenannten Blue Screen, einer blauen Wand. Vor ihrem geistigen Auge müssen sie sich dabei vorstellen, etwa auf dem Dach des Paul-Löbe-Hauses gegen einen Schurken zu kämpfen, der gerade versucht, mit dem Hubschrauber zu fliehen und dabei mitsamt dem Heli in die Spree stürzt. Der Computer fügt später den – tatsächlich nicht vorhandenen – Landeplatz auf dem Dach, das Dach selbst sowie den Helikopter hinzu.
Stellt sich die Frage, weshalb die Filmschaffenden eigentlich überhaupt noch um die Welt reisen, um interessante Orte zu suchen, anstatt im Studio zu bleiben und sich den später generierten „realen" Hintergrund während der Dreharbeiten nur vorzustellen? Nun, ein dreiviertel Jahr oder länger ausschließlich vor einer blauen Wand zu stehen und dabei bestimmte, gekennzeichnete Räume nicht einmal ansatzweise verlassen zu dürfen, kann ganz schön nerven. Da sind reale Orte deutlich attraktiver.
Dies erklärt ebenso, warum etwa die deutlich kleineren, deutschen Produktionen gern mal auf Locations in weniger zentralen Bezirken und Vierteln wie etwa in Alt-Tegel ausweichen. Allein in den vergangenen zwei Jahren rückten gleich dreimal Filmproduktionsteams am Tegeler See an. Sehr zum Leidwesen der Anwohner, die sich über die Sperrung der ohnehin knappen Parkflächen in der Straße „Am Tegeler Hafen" ärgern und bei Anfragen von Filmfirmen regelmäßig den Kürzeren zu ziehen scheinen.
Kein Ersatz für Parkgebühren
„Hier gibt es sowieso schon viel zu wenige Parkplätze. Deswegen hat man im Frühjahr 2016 endlich Anwohnerparkausweise eingeführt. Aber dann kommen die Filmfirmen mit ihren Trucks und den Wohnmobilen der Schauspieler und nehmen uns die restlichen Plätze weg", empört sich Anwohner Klaus. Er ist 71 Jahre alt und nutzt mit seiner Frau zwei Fahrzeuge, die er bei Dreharbeiten nicht mehr am Straßenrand abstellen kann, sondern in ein nahe gelegenes Parkhaus zum Preis von einem Euro pro Stunde fahren muss. Das summiert sich: Als das Unternehmen Ufa fiction 2016 in Alt-Tegel den Film „Der Gutachter" mit Benjamin Sadler und Jasmin Gerat in den Hauptrollen drehte, ließ sie große Teile des Parkraums gleich für mehrere Tage und insgesamt 69 Stunden sperren. So wie er sind viele in Alt-Tegel wiederholt betroffen.
Zum Vergleich: Für die Beantragung der Halteverbote, die eine Länge von 135 Meter aufweisen, muss Ufa fiction nur schmale 427 Euro an das Land Berlin überweisen. Die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Petra Rohland, meint: „Sicher ist es für Anwohner ärgerlich, wenn Parkplätze in Wohnnähe für kurze Zeit wegfallen, aber wir leben in einer Metropole, wo so etwas aus unterschiedlichsten Gründen durchaus passieren kann." Kein Fahrzeugbesitzer habe einen Anspruch auf einen Parkplatz in fußläufiger Entfernung zum Betriebssitz oder Wohnort, mit Ausnahme schwerbehinderter Fahrzeughalter mit nachgewiesener Gehbehinderung. „Damit begründet sich natürlich auch, dass kein Recht auf einen finanziellen Ausgleich für die Parkkosten besteht", sagt Rohland.
Klaus und viele andere Anwohner sehen das naturgemäß anders: „Die Produktionsfirma verdient an dem Film, die Darsteller und die Crew verdienen, das ZDF verdient, und nur wir als Anwohner sind die Loser, die gleich dreifach löhnen müssen: einmal die Rundfunkgebühren, dann die Parkgebühren, die uns niemand erstattet, weder die Stadt, noch die Ufa. Und schließlich zahlen wir den Anwohnerparkausweis, obwohl er während der Dreharbeiten hier so gut wie nichts wert ist."
Gudrun Schulz von der Pressestelle der Ufa fiction erklärt: „Eine kostenpflichtige Anwohner-Parkvignette garantiert leider nicht, dass zu jeder Zeit ein Parkplatz frei ist." Und sie weist darauf hin, dass kein Anwohner im öffentlichen Raum einen Parkplatz erwerben könne. Das bedeute eben auch, dass Anwohner von der „Ufa fiction" nicht entschädigt werden müssten. Mittlerweile wurde auch für die Stasi-Serie „Weissensee" in Alt-Tegel gedreht. Auch die Macher von „Deutschland 86", einer Serie, die Amazon Prime als zweite Staffel von „Deutschland 83" herausbringen wird, waren schon da. Der Ärger um die Parkgebühren geht also weiter.