Sie sind auf 5.000 Alben zu hören, die eine halbe Milliarde Mal über den Ladentisch gingen und heimsten 200 Grammy-Nominierungen ein. Zum Jubiläum bringt die US-Rockband Toto nun die Best-of-Platte „40 Trips Around The Sun" heraus. Gitarrist Steve Lukather über die Geburtstags-Tour, tote Rockstars und sein Gehör.
Herr Lukather, wie rigoros bereiten Sie sich auf eine Tournee vor?
Das größte Rätsel dieser Tour war die Setlist. Wir haben es schließlich lösen können. Es ist die umfangreichste Setlist in unserer Karriere. Natürlich müssen wir „Africa", „Hold The Line" und „Rosanna" spielen, aber der Rest: Überraschungen, Überraschungen, Überraschungen. Stoff, den wir noch nie live gespielt haben beziehungsweise der 35 Jahre lang brach lag. Wir haben auch vor, zu improvisieren und uns mit dem Publikum zu unterhalten wie es zum Beispiel in Nashville üblich ist. Dort sitzen immer alle im Kreis und jeder hat ein Mikrofon. Es ist eher eine hoch emotionale, theatrale Show als ein Rockkonzert, bei dem man eine coole Sonnenbrille trägt.
Wie stellen Sie sich eine zeitgemäße Rockshow vor?
Heutzutage werden Live-Shows so sehr aufgeblasen, dass man den Sänger oftmals gar nicht sieht. Erinnern Sie sich an David Bowies „White"-Tour, bei der er ausschließlich weißes Licht benutzte? So was finde ich geil. Haben Sie jemals eine Show von Jeff Lynne gesehen? Er ist übrigens ein guter Freund von mir. Er will unbedingt einen Song mit mir schreiben. Ich habe viele Kumpels wie ihn, Ringo Starr, Joe Walsh. Leute, die ich mein Leben lang bewundert habe. Heute gehöre ich dazu. Nach 40 Jahren. Diese Freundschaften sind mir sehr wichtig, ich würde sie niemals aufs Spiel setzen. Weil ich von diesen Leuten sehr viel gelernt habe. Nicht durchs Reden, sondern durch Zuhören.
Wie viele Songs spuken in Ihrem Kopf herum?
Um die 200. Ich habe die Setlist gerade vor mir liegen. Wir spielen diesmal 25 Songs. Wir führen die Zuschauer auf unbekanntes Terrain. Wir spielen stimmungsvolle Musik und keinen Rock ‘n‘ Roll und R&B von früher. Wir haben wunderbare Gastsänger dabei. Diesmal stehen keine Verstärker auf der Bühne und auch das Schlagzeug ist im Hintergrund platziert. So können wir uns frei bewegen und zwischendurch auch mal kurz verschwinden. Da wir nicht in 16.000er-Hallen spielen, brauchen wir auch keine Screens. Ironischerweise werden wir aber unsere DVD in solch einer Halle filmen.
Welche Überraschungen birgt die Setlist?
Unter anderem den Song „Spanish Sea" von 1984. Den haben wir im Sony-Archiv gefunden. Ich habe für ihn einen neuen Refrain geschrieben, aber die Parts von Mike und Jeff Porcaro sind unverändert geblieben. Auch Davids Gesangsparts sind größtenteils so alt. Seine Akkorde und Harmonien erinnern an Brian Wilson. Ich war mit Steely Dan im Studio, das ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Ich habe mit Donald Fagan und Walter Becker gespielt! Der arme Walter ist voriges Jahr gestorben. Es ist entsetzlich, einen Freund zu verlieren. Auch deswegen arbeite ich so hart.
Woran arbeiten Sie gerade?
An einem Buch. Ich bin damit fast fertig. Das macht echt Spaß. Es sind eher informative Erinnerungen als „Sex, Drugs & Rock’n’Roll"-Anekdoten. Ich bin 60 Jahre alt, aber immer noch so enthusiastisch wie ein Teenager. Ich sitze hier und höre mich durch unser Repertoire. Glauben Sie mir, ich musste noch nie so viele Stücke für eine Tournee lernen wie diesmal.
Warum tun Sie sich das an?
Weil wir keine Lust haben, uns zu wiederholen. Eine Best-of-Tour hatten wir bereits letzten Sommer. Diesmal spielen wir neben den offensichtlichen Hits auch viele Fan-Favourites wie „Stop Loving You" und „Pamela". Wir performen Stücke von jedem einzelnen Album unserer Karriere. Und es gibt einen fast akustischen Teil. Wie gesagt: Es ist keine aufgeblasene Produktion, bei der man meinen Arsch auf Großbildleinwand sieht. (lacht) Früher kam übrigens immer ein Arzt hinter die Bühne und brachte uns Drogen. Heute besucht er uns mit einem Beatmungsgerät. B12-Infusionen machen echt high!
War Ihr 60. Geburtstag ein Wendepunkt in Ihrem Leben?
Ich spüre, wie sich mein Körper langsam verändert. Ich hatte vor zwei Jahren einen schweren Unfall, bei dem ich mir meinen Arm vermurkst habe. Ich kann zwar immer noch Gitarre spielen, aber mit links kriege ich nicht mal mehr eine Kaffeetasse angehoben. Vor der Operation sagten mir die Ärzte, ich könne eventuell alle Finger der linken Hand verlieren. Das wäre furchtbar gewesen. Die Nachwirkungen sind immer noch unangenehm, aber zum Glück bin ich ein ziemlich disziplinierter Mensch. Ich rauche nicht, trinke nicht, tue nichts Illegales. Das macht vieles wieder wett. Mein Kollege David Paich hat 25 Pfund abgenommen und sieht jetzt 25 Jahre jünger aus. Auch die anderen in der Band sind in guter Verfassung. Die Leute kommen eh nicht zu uns, um sich an 20-jährigen Superstars in engen Jeans zu ergötzen. Sie wollen uns spielen sehen! Wir machen es anders als die anderen.
Eric Clapton fürchtet, taub zu werden. Wie ist es um Ihr Gehör bestellt?
Als ich mit dem Musikmachen anfing, stand ich immer direkt vor dem Schlagzeug. Aber nicht die vielen lauten Konzerte haben mein Gehör ruiniert, sondern die Kopfhörer. Das Schlimmste, was man machen kann! Die Kids, die heute den ganzen Tag mit Stöpseln in den Ohren rumlaufen und sich mit Beats beschallen lassen, sind spätestens mit 30 taub. Sie können jetzt schon mal die Zeichensprache lernen. Kürzlich wurde ich von jemandem gefahren, der in seinem Auto die fettesten Subwoofer überhaupt hatte. Die ganze Karre vibrierte. Und er selbst sang lauthals mit, irgendwas mit „Motherfucker". Ich sagte zu ihm: „Hey Mann, der Classic Rock kommt zurück!"
Die Rolling Stones sind erfolgreicher denn je, und sogar Ritchie Blackmore greift mit über 70 Jahren wieder zur E-Gitarre.
Viele von uns sind leider schon tot. Tom Petty etwa war einer der Größten. Ich kenne seine Band, die Heartbreakers, ziemlich gut, weil ich mit ihnen viele Sessions gespielt habe. Aber Tom hatte ich nie getroffen. Bis Jeff Lynne mich voriges Jahr zu einer seiner Shows einlud. Backstage saß ich auf einmal neben Tom Petty. Er legte seinen Arm um mich, sah mir in die Augen und sagte: „Hey Mann, ist es nicht cool, dass wir fürs Gitarrespielen bezahlt werden!" Ich antwortete mit einem breiten Lächeln: „Yes!" Als ich dann von seinem Tod hörte, sagte ich zu mir: „Verdammt, er war ja kaum älter als ich!" Meine Freunde sterben einer nach dem anderen, aber ich habe ja nur einen kaputten Arm. Was solls!
Sie waren maßgeblich an Michael Jacksons Millionenseller „Thriller" beteiligt. Wie war der „King of Pop"?
Es war eine tolle Zusammenarbeit. Michael war wirklich cool, ich mochte ihn sehr. Okay, ich habe an ihm ein paar komische Sachen beobachtet, aber nichts Schlüpfriges oder Bizarres.
Für Ihr Jubiläumsalbum „40 Trips Around The Sun" waren Sie mit dem 22-fachen Grammy-Preisträger Al Schmitt im Studio. Der heute 87-jährige Toningenieur hat mit sämtlichen Showgrößen von Frank Sinatra bis Ray Charles zusammengearbeitet.
Al Schmitt hat nur die Overdubs gemacht. Maßgeblicher Toningenieur war diesmal Elliott Scheiner. Er hat übrigens auch Remasters von jedem einzelnen Song auf dem Album angefertigt. Es war überwältigend, sich diese Stücke noch einmal anzuhören. Wie ein Blick ins Familienalbum! Plötzlich wurde ich mit meinem 20 Jahre alten Ich konfrontiert. Wir waren schon damals ziemlich gut, auch wenn der eine oder andere Text aus heutiger Sicht eher misslungen ist. Damit müssen wir leben. (lacht) Wir waren jung und auf die Musik fixiert. Bis uns auffiel, dass wir ja auch Texte schreiben müssen.
Können Sie sich noch an Ihre Audition für Toto erinnern?
Aber ja! Es waren sogar mehrere. Darüber schreibe ich auch in meinem Buch. Es war sehr lustig. Sie luden mich zum Vorspielen ein, mussten dann aber schmunzeln, weil ich noch so jung war. Sie wollten keinen Studiomusiker, sondern einen echten Rock’n’Roller, der auf der Bühne den wilden Mann rauslässt.