Er war angetreten als Hoffnungsträger, als Modernisierer, als Fürsprecher der Athleten. Von alledem ist nicht mehr viel übrig. Thomas Bach scheint als IOC-Präsident inzwischen mehr eine Belastung für seine Organisation und nicht zuletzt für den Sport selbst geworden zu sein.
Momentan flimmern sie beinahe in Dauerschleife wieder über die Bildschirme: schöne Bilder von schönen Olympischen Spielen. Doch immer mehr Menschen auf der ganzen Welt ahnen, dass die Wettbewerbe im südkoreanischen Winter von Pyeongchang bei aller Spannung und Dramatik längst vor allem nur noch eines sind: schöner Schein. Die Hauptverantwortung für den Werteverfall bei und von Olympia tragen hinter und vor den Kulissen Betrüger im Wettkampf (Doping) und im Management der milliardenschweren Megaevents (Korruption). Und Thomas Bach. Der Boss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat nach seinem Sprung ins höchste Amt des Weltsports mittlerweile zahlreiche Gelegenheit zur Säuberung des Sports von seinen Schädlingen und zur Ausmerzung teils auch krimineller Auswüchse ungenutzt gelassen. Sehenden Auges ungenutzt gelassen.
Ein über Jahre geplantes Projekt
Bachs Amtszeit, das ist schon heute sicher, wird als Phase der größten und auch tiefgreifendsten Krisen in die IOC-Geschichte eingehen. Ob Doping, Korruption oder auch Zukunftssicherung der Spiele – der „Herr der Ringe“ hat sich in seinen über Jahrzehnte selbst ausgelegten Netzen von Kontakten, Verbindungen und gegenseitiger Gefälligkeiten immer mehr verfangen und kann sich gar nicht mehr daraus befreien. Der gar nicht einzuschätzende Verlust von Vertrauen bei Abermillionen Menschen in aller Welt in die Integrität des Wettbewerbs sowie die olympischen Werte wird dereinst immer auch mit dem Namen Thomas Bach verbunden bleiben. Dabei wurden dem Wirtschaftsjurist 2013 bei seinem Amtsantritt als IOC-Boss ganz andere Attribute zugeschrieben. Als Hoffnungsträger, als Modernisierer und nicht zuletzt als Vertreter des Sports und besonders der Aktiven sah die Welt den Fecht-Olympiasieger von 1976 an, heute muss man sagen, wollte die Welt Bach wohl auch so sehen.
Was die meisten stets ausgeblendet hatten: Seine Wahl zum IOC-Präsidenten war für Bach ein über mehrere Jahrzehnte geplantes und stringent-radikal verfolgtes Projekt, sein Lebensprojekt. Nicht einen Schritt machte Bach, nicht eine Entscheidung traf Bach, ohne nicht vorher alle möglichen Auswirkungen zu kalkulieren und nach dem Nutzen hauptsächlich für sich selbst abzuwägen. Nur vier Jahre nach der Erfüllung seines Lebenstraumes und -zieles dürfte Bach entlarvt sein. Weniger als gewiefter Taktiker, vielmehr aber als machtversessener, ja skrupelloser Egomane, der alles, aber auch wirklich restlos alles seinen persönlichen Ambitionen unterordnet. Entlarvend für Bach wirkte besonders die schon seit zwei Jahren immer höherkochende Affäre um Russlands Staatsdoping aus. Welche Volten und auch Haken Bach geschlagen hat, um Russland und sicher nicht zuletzt dem ihm freundschaftlich verbundenen Kreml-Chef Wladimir Putin den Gesichtsverlust eines einzig angemessen erscheinenden Ausschlusses von Olympischen Spielen zu ersparen, erscheint gleich als eine ganze Reihe von sportpolitischen Stücken aus dem Tollhaus. Welche Haltung, welche Selbstwahrnehmung, ja, welche Hybris mittlerweile Bachs Haltung und Handlungen prägt, offenbarte der IOC-Chef erst zuletzt noch wenige Tage vor der Eröffnungsfeier in Pyeongchang nach der Aufhebung von lebenslangen Sperren für mehrere „Sündenböcke“ aus dem russischen Heer von Weltklasse-Athleten durch den internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne. Weil der obersten juristischen Instanz des Weltsports die Beweise für eine solch drakonische Maßnahme gegen Aktive, die Bachs IOC statt Russland als Ganzes für seinen jahrelangen und obendrein äußerst dreisten Betrug an Hunderten von sauberen Athleten und nicht zuletzt auch an der Welt und Olympia selbst büßen lassen wollte, nicht für ausreichend gehalten hatte, zürnte Bach in seinem ganz persönlichen Olymp und kündigte kalten Blickes eine Reform des CAS zur „Sicherung von Qualität und Konstanz in der Rechtsprechung an. Passend verglich die „Süddeutsche Zeitung“ diese Einlassung des IOC-Chefs mit einer Situation, in der die Bundeskanzlerin dem Bundesverfassungsgericht wegen eines unliebsamen Urteils „im Namen des Volkes“ mit einer Umstrukturierung drohen würde. In einem demokratischen Rechtsstaat wie Bachs Heimat Deutschland völlig undenkbar, in Bachs Mikrokosmos IOC aber kein Problem.
Im Grunde untragbar hatte Bach sich jedoch schon im Sommer 2016 gemacht: Ausgerechnet der Whistleblowerin Julia Stepanowa, die eine Aufdeckung von Russlands Dopingsystem durch ihre Enthüllungen erst möglich gemacht hatte, bescheinigte Bach im Vorfeld der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro vor der Weltöffentlichkeit, nicht die ethischen Voraussetzungen für eine Teilnahme an den Wettbewerben in Brasilien zu erfüllen – und ersparte im gleichen Atemzug Russland und seinem Kumpel Putin mit blumigen Worten und vielen Nebelkerzen erstmals den damals schon eigentlich alternativlosen Olympia-Ausschluss.
So wachsweich Bach sich kritischen Fragen – außer zu seiner Verantwortung für den Umgang der IOC-Spitze mit der „Causa Russland) mitunter auch etwa zu seinen unrechtmäßigen Diplomatenpässen oder seine Lobby- und Beratertätigkeiten für Industrie- und Rüstungskonzerne – seit jeher schon entzieht, so sehr stellt sich Bach gerade in Deutschland Sportprominenz entgegen. Als Reaktion auf die Farce im Fall Russland und Stepanowas Olympia-Sperre ächtete niemand geringeres als Hans Wilhelm Gäb, der seit mehr als einem Vierteljahrhundert als „das moralische Gewissen des deutschen Sports“ gilt, den glitschigen IOC-Boss als Totengräber für die Werte des Sports – und gab seinen einst von Bach persönlich verliehenen IOC-Orden zurück: „Thomas Bach schadet dem Sport, wenn er als mächtiger Anführer des IOC solche Entscheidungen trägt und nicht verhindert. Die schlimmste Kriminalität, die es im Sport überhaupt geben kann, ist vom IOC nicht sanktioniert worden, offensichtlich unter politischem Druck. Der Sport muss sich von Kriminalität befreien“, sagte der Ehrenpräsident des Deutschen Tischtennis-Bundes und Ehrenvorsitzende der Sporthilfe. Von Diskus-Olympiasieger Robert Harting musste Bach sich ebenfalls ins Stammbuch schreiben lassen: „Er ist für mich Teil des Doping-Systems und nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn.“
Auch die Fechter gehen mittlerweile auf Distanz
Auch die Fechter, Bachs nationale Hausmacht, sind schon zu ihrem einstigen Vorzeigeathleten und -funktionär auf Distanz gegangen. Claudia Bokel, bis Rio als Athletenvertreterin in der IOC-Exekutive und heute Präsidentin des deutschen Verbandes, gab erst im Januar in einem ARD-Film bemerkenswerte Einblicke in Bachs Führung: „Wir wollten harte Konsequenzen für Russland und, dass Russland von den Spielen in Rio beziehungsweise Pyeongchang ausgeschlossen wird. Eine Debatte über einen Olympia-Bann ist jedoch offenbar unerwünscht gewesen. In der Exekutive durfte das nicht diskutiert werden. Über mögliche Konsequenzen wurde nicht diskutiert. Dann ist das Thema wieder vom Tisch.“
Und Bach? Lässt sich nicht aus der Reserve locken. Am Vortag der Eröffnungsfeier in Pyeongchang zu seiner Verantwortung für das wiederholte Chaos um die Starts oder Sperren für russische Aktive aus Russland befragt, die trotz des Dopingskandals um die Führung ihres Staates in Südkorea als „Olympische Athleten aus Russland“ und nicht einmal wie in vergleichbaren Konstellationen sonst üblich als „Unabhängige Athleten“ starten dürfen, antwortete Bach geradezu in epischer Ausführlichkeit – sagte aber: nichts. Wenn am 25. Februar bei der Schlussfeier der Spiele in Pyeongchang die russischen Aktiven mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder als Mannschaft unter ihrem eigenen Namen und ihrer eigenen Flagge ins Olympiastadion einmarschieren wird, dann ist dies das sichtbare Zeichen für Bachs machtpolitisches Meisterstück – es ist allerdings auch für Olympische Spiele der absolute Tiefpunkt an Glaubwürdigkeit.