Diesen Winter feiert ein Frisurenklassiker der 1960er-Jahre sein Comeback, den einst die Beatles mit ihren Pilzköpfen populär gemacht hatten. Der androgyne Bowl-Cut ist sowohl bei Damen wie bei Herren wieder angesagt.
oderatorinnen von privaten Fernsehsendern wie Sat.1 oder ProSieben schlugen im Herbst 2017 großen Trendalarm. Denn sie hatten einen „ultracoolen Understatement-Look" entdeckt, den jetzt angeblich alle haben wollten. Auch das Magazin „Elle" hatte den Bowl-Cut neben dem Long Pony und diversen Haarbänder-Styles zu den „drei größten Frisuren-Trends für den Herbst 2017" gezählt.
Eher konventionelle Frauenblätter wie die „Brigitte", die die Frisur etwas despektierlich „Pisspottschnitt" nannte, konnten sich nicht so recht entscheiden, ob sie sich über das sowohl durch Social-Media-Kanäle (vor allem Instagram) als auch Promi-Ladys wie Miley Cyrus oder Rihanna befeuerte Revival des Bowl-Cuts richtig freuen oder in Sachen Meinungsbildung lieber mal vorsichtig abwarten sollten. „Ein Trend", schreibt „Brigitte", „den wir vielleicht nicht unbedingt sofort nachmachen wollen, aber beobachten werden."
Für eckige und ovale Gesichter
Haarpflege-Spezialisten wie Schwarzkopf oder L’Oréal sehen das natürlich ganz anders und raten den Damen zu diesem kreisrunden Retro- oder Tomboy-Cut in zeitgemäßer Abwandlung und mit ultra-modernem Touch. Mit der einzigen Einschränkung, dass rundgesichtige Frauen die Finger davon lassen sollten. Eckige und ovale Gesichtsformen bieten dagegen neben glatten und nicht zu dünnen Haaren die ideale Ausgangsposition für den Rundum-Topfschnitt. Wenn heute beim Schnitt der Profi ins Spiel kommt, sieht der Look natürlich ganz anders aus als in Kindertagen. Denn er strahlt Power aus, ist vergleichsweise leicht zu pflegen und lässt sich überaus vielfältig stylen. Das Gesicht wird eindrucksvoll umrahmt, der Hals ist ziemlich keck und frech freigelegt, das Haar wirkt voluminöser.
Gemeinsames Merkmal aller Varianten des Bowl-Cuts: Es gibt keinen Scheitel, sondern nur einen hohen Punkt am Hinterkopf, von dem aus das Haar gleichmäßig in alle Richtungen fällt und an der Stirn in einem dichten Pony ausläuft. Die Partie um die Ohren liegt frei, die Seiten sind akkurat geschnitten, während Front und Oberkopf durchaus fransig gehalten sein können. In der Umsetzung als Undercut werden Seiten und Nacken ausrasiert und mit einem in einer perfekten horizontalen Linie endenden Oberhaar kombiniert. Ganz Mutige wagen sich an Bowl-Cuts in Farben wie Pastellrosa oder Leucht-Rot heran.
Dass der von Natur aus androgyn wirkende Bowl-Cut, mit dem in den 1960er-Jahren beispielsweise Mini-Rock-Erfinderin Mary Quant oder 2001 die Schauspielerin Audrey Tautou im Film „Die fabelhafte Welt der Amélie" zu sehen waren, jüngst auch in der Fashion-Szene für großes Aufsehen gesorgt hatte, war der australischen Model-Schönheit Catherine McNeil zu verdanken. Die ihre lange Mähne unter den kundigen Scheren-Händen von Redkens Kreativ-Direktor Guido Palau dem neuen Kurzhaarschnitt opferte, um sich damit auf den Laufstegen verschiedener Designer wie Alexander Wang, Haider Ackermann oder Lanvin für die Wintersaison 2017/2018 zu präsentieren.
Mit Amanda Murphy konnte Palau ein weiteres Model für seinen innovativen Cut begeistern, sie zeigte ihre Frisur auf dem Catwalk für die aktuelle Prada-Winterkollektion. Der Schnitt falle durchaus etwas aus dem Rahmen, sagt Palau, sei vor allem etwas für individuelle, unangepasste, extrovertierte Damen. Beim Styling hatte sich Palau natürlich auch Neues einfallen lassen. Nach innen geföhnt und mit Haarlack zementiert wie früher? Von wegen! Stattdessen luftig und messy-chic gehalten. Aber wer möchte, kann seine Haarenden natürlich auch etwas braver ganz vorsichtig und vor allem gleichmäßig mit einem Lockenstab nach innen drehen und mit einer Portion Haarspray fixieren.
Der Bowl-Cut ist in Zeiten, da Kurzhaarfrisuren generell wieder besonders angesagt sind, eine spannende Alternative beispielsweise zu den verschiedenen Bob-Varianten. Der Umstieg von der Wallemähne erfordert durchaus Mut, weil Kurzhaarfrisuren den Typ verändern. Vor allem in Richtung einer Extraportion Lässigkeit, was sich auch in der Garderobe oder Accessoires widerspiegeln sollte. Mit Lederjacke und Skinny Jeans lässt sich leicht ein Rockstar-Feeling herbeizaubern, schöne Kontraste entstehen durch die Kombi mit XXL-Sonnenbrillen, mattroten Lippen oder Statement-Ohrhängern.
Auch bei den Männern zählt der Pilzkopf oder Pilzschnitt diesen Winter wieder zu den absoluten Trendfrisuren. Für den Haarspezialisten Schwarzkopf ist der Bowl-Cut, zu dem sich Fußball-Nationaltrainer Jogi Löw schon seit Jahren bekennt und den Gucci jüngst auf dem Laufsteg seiner Herrenmode vorgeführt hatte, derzeit sogar „das Hippste, das dem Haar passieren kann". Bei der aktuell besonders angesagten Version des Cuts wird das Deckhaar kerzengerade geschnitten und verläuft rund um den Kopf herum auf der Höhe der Augenbrauen. Das Haar an Seiten und Unterkopf wird ganz kurz getrimmt. Wem das etwas zu gewagt erscheint, der kann seinen Friseur bitten, die Haare im Nacken und an den Seiten mittellang zu belassen und das obere Haar sowie den Pony leicht zu stufen. Am besten passt der kantig messerscharf gehaltene Schnitt laut Schwarzkopf zu „selbstbewussten, jungen Männern in den Zwanzigern und Dreißigern, die nicht davor zurückschrecken, gewagte Looks auszuprobieren." Der Aufwand für das Styling hält sich in Grenzen. Nach dem Waschen gegebenenfalls etwas Föhnspray benutzen und anschließend trocken föhnen. Ganz glatt braucht der Topfschnitt 2.0 nicht daherkommen, ein messy Finish steht ihm wirklich gut. Wer möchte, kann noch etwas Styling-Wachs ins Deckhaar einarbeiten.
Als Erfinder des Bowl-Cuts oder der Pilzkopf-Frisur gilt übrigens der deutsche Fotograf Jürgen Vollmer. Nach eigenen Angaben hatte er sich diesen speziellen Look bereits 1955 im Nachkriegszeitalter der Spießigkeit zugelegt. Per Zufall, weil er angeblich nach einer Schwimmstunde zu faul war, sich die nassen Strähnen wie damals üblich ordentlich nach hinten zu kämmen sowie adrett zu scheiteln und sie stattdessen zum Trocknen einfach nur in die Stirn fallen ließ. Obwohl er von seinen Mitschülern ausgelacht und von seinem Lehrer eine Standpauke erhalten hatte, hielt er an der ungewöhnlichen Frisur fest, obwohl er damit Ende der 1950er-Jahre in Hamburg auch die Halbstarken mit ihrer kunstvoll-pomadisierten Elvis-Tolle als Markenzeichen gegen sich aufbrachte. Vor allem dank seiner ungewöhnlichen Frisur fiel Vollmer in Begleitung des Grafikers Klaus Voormann und der Fotografin Astrid Kirchherr den damals noch relativ unbekannten Beatles bei einem ihrer Auftritte in St. Pauli auf. Man kam ins Gespräch, im Oktober 1961 besuchten John Lennon und Paul McCartney den nach Paris ausgewanderten Vollmer an der Seine. Ließen sich von diesem die Stadt zeigen und baten Vollmer vor ihrer Abreise, das sagte Paul McCartney in einem Interview 1980, „unsere Haare so wie seine zu schneiden". „Der Beatles-Haarschnitt", sagte Paul McCartney einige Jahre später, „war in Wahrheit ein Jürgen-Haarschnitt." Auch wenn Astrid Kirchherr ihrem damaligen Freund, dem Beatles-Bassisten Stuart Sutcliff, schon einige Monate vor dem Paris-Besuch von Lennon/McCartney in der Küche ihrer Eltern in Hamburg-Altona einen ersten Topfschnitt verpasst haben will.