Wartet da nur jemand, dass man einen Fehler macht? Mancher, der sich an einer behördlichen Ausschreibung beteiligt, wird das Gefühl nicht los. Wer den Zuschlag bekommen möchte, muss zuvor durch einen ganzen Irrgarten an Bestimmungen. Und lässt dabei oft richtig Federn.
Haben Sie alle Steuern und Abgaben gezahlt? Liegt eine schwerwiegende Verfehlung vor? Sind Sie mit einer Geldbuße wegen illegaler Beschäftigung von Arbeitskräften belegt worden oder haben Sie Kontakt zu rechts- oder linksextremistischen Gruppierungen? Wer sich durch solche Punkte schon im Vorfeld einer öffentlichen Ausschreibung durchgekämpft hat, fragt sich unwillkürlich, mit wem denn die „öffentliche Hand" schlechte Erfahrungen gemacht hat: Mit wie vielen Kriminellen, Steuerbetrügern und Pleitefirmen haben Ämter und Behörden denn andauernd zu tun?
Doch solche Gretchenfragen sind nur die erste Hürde. Wer die umfangreiche Erklärung über seine Zuverlässigkeit unterschrieben hat – nicht ohne gewarnt zu sein, dass er bei „unzutreffenden Angaben" sofort ausgeschlossen wird –, hat als nächstes das Formblatt mit den „Eignungskriterien" zu bewältigen. Da werden Referenzprojekte verlangt, die zwei bis fünf Jahre und länger zurückreichen. Am besten identisch mit dem, was gewünscht wird. Ein Beispiel aus einer realen Ausschreibung für einen Bundestags-Kalender: Da wollte die Behörde wissen, ob der Bewerber denn schon einmal solch ein aufwendiges Stück produziert hat, wie es den Herren Parlamentariern vorschwebt: gebunden, zwei- bis vierfarbig, Ledereinband, mit Einlegebändchen und mit ausführlichen Texten zu jedem Gedenktag. Geschätzter Wert pro Stück nicht unter 200 Euro. Meist hat nur derjenige so ein Referenzprodukt vorzuweisen, der den Kalender des Vorjahres produziert hat – damit ist schon ein Entscheidungskriterium vorgegeben.
Besonders interessant wird es, wenn die Behörde einen „Styleguide", ein Design-Handbuch, mitschickt. Der Bewerber wird aufgefordert, ein Musterlayout von vier bis acht Seiten genau nach Richtlinie vorzulegen, das dann zur Beurteilung der Eignung herangezogen wird. Eigene grafische Ideen? Längst nicht so wichtig wie die perfekte Umsetzung der Vorgaben.
Wer solche Muster abgeben muss, den beschleicht schon mal der Verdacht, dass sich eine Behörde unter den Anbietern die besten Vorschläge heraussucht. Um sie dann von der Agentur, die vielleicht als billigste den Zuschlag erhält, umsetzen zu lassen. Ideenklau nennt man so etwas. Nachweisen lässt sich das ziemlich schwer, wer kennt schon die Original-Bewerbungen der Konkurrenz?
Wo der Rotstift regiert, droht Pfusch
Zurück zu den Eignungskriterien, die von der bietenden Agentur und deren Mitarbeitern verlangt werden. Im Idealfall soll der Kandidat natürlich höchstens 26 Jahre alt sein, mit zehn Jahren Berufserfahrung, Auslandsaufenthalt, exzellenten Sprachkenntnissen und jederzeit voll einsetzbar. Jede Grafikerin muss ihr Zeugnis im Angebot mitschicken, jeder Redakteur nachweisen, dass er mit dem Thema der Ausschreibung „auf Du und Du" steht, jeder Agenturleiter, dass er Kreative koordinieren kann. Auch wenn seine Agentur seit zehn, 15 Jahren erfolgreich arbeitet. Verpflichtend muss außerdem erklärt werden, keine Hilfskräfte zu Niedriglöhnen zu beschäftigen und nötige Autraggeber-Abgaben an die Künstlersozialkasse selbst zu entrichten. Misstrauen pur.
Und natürlich spielt der Preis eine große Rolle. Wenn nach Vergabe bekannt wird, dass die Preisangebote zwischen 10.000 und 120.000 Euro gelegen haben, wird ein wenig deutlich, wie unterschiedlich hier gerechnet wird. Wer nur über einen eigenen Schreibtisch verfügt, muss alle Leistungen dazukaufen – das ist nicht immer preiswert. Wer trotzdem mitspielen will, ist gezwungen, sich selbst auszubeuten. Kleinen bis mittleren Agenturen, die ihre Mitarbeiter und Räume bezahlen müssen, bleibt weniger Spielraum. Große Agenturen dagegen können es sich leisten, mal einen prestigeträchtigen Auftrag als Verlustgeschäft mitzunehmen. Was diese großen Anbieter tun, nennt man in der Branche „unter Wasser schießen". Und es kann darauf hinauslaufen, dass eine Behörde unter Sparzwängen hinterher mit endlosen Nachforderungen konfrontiert wird – Projekte wie Elbphilharmonie, BER oder Stuttgart 21 lassen grüßen.
Doch was ist „normal", wenn man selbst so eine Kalkulation machen soll? Ein Tagessatz von 500 Euro kann einen Beamten schon mal erschrecken, obwohl er eigentlich üblich ist, vor allem für einen Freiberufler, dem davon nur gut die Hälfte bleibt. Die Alternative ist, mit einem geringeren Tagessatz und mehr Tagen zu rechnen. Wie auch immer: Das Zahlenspiel ist ein kreativer Akt par excellence. Man darf nicht zu teuer, man sollte auch nicht zu billig anbieten. Dass Qualität ihren Preis hat, wird schnell vergessen, wenn mal wieder der Rotstift angesagt ist. Auch die Beispiele für Pfusch sind dementsprechend zahlreich.
Wer Glück hat, kommt mit wenigen Mitbewerbern in die zweite Runde eines „offenen Verfahrens". Oder er nimmt an einer „beschränkten" Ausschreibung teil – die eher seltene Sorte, bei der von vornherein nur wenige Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Noch seltener sind „freihändige Vergaben". Die gibt es nur bei einem Volumen unterhalb von 100.000 Euro, dafür sind hier Verhandlungen möglich.
Wer es geschafft hat, bis zum berühmten „Pitch" vorzustoßen, kann endlich präsentieren, was die Agentur draufhat. Oft bekommt man erst hier ein Gefühl dafür, ob der Auftraggeber, also die Behörde, es wirklich ernst meint. Denn bis zum Ende weiß man oft nicht einmal, ob man nicht bloß ein Zählkandidat war, um die Bieter-Auswahl zu erhöhen. Der Wunschpartner stand eigentlich schon von Anfang an fest.
War man womöglich nur Zählkandidat?
Und selbst wenn der Zuschlag erteilt wird, behält sich die Behörde vor, welche Leistungen sie nun wirklich abruft. Das kann dann so aussehen: Man lässt die ausgewählten Bewerber bei jeder einzelnen Broschüre, jedem Faltblatt, jedem Website-Design immer wieder erneut gegeneinander antreten. Wer nicht zum Zuge kommt, hat weder einen Anspruch auf Entschädigung für die geleistete Arbeit, noch bekommt er seine Unterlagen zurück.
Und trotz all dieser Widersprüche wird weiter alles ausgeschrieben, was der Staat und seine untergeordneten Behörde so brauchen: von Aktenvernichtern bis Toilettenpapier, von Buchbindearbeiten bis Schädlingsbekämpfung. Am besten europaweit. Dabei hat es vergleichsweise wenig Sinn, wenn sich eine griechische Agentur für die Redaktion und Gestaltung einer Broschüre über das deutsche Gesetz zur Elternzeit bewirbt. Sicherlich – wir haben einen europäischen Binnenmarkt, es herrscht Wettbewerbsfreiheit, alle sollen partizipieren können. Die Folge ist aber eine haarsträubende Verrechtlichung, bei der möglichst jede juristisch anfechtbare Eventualität ausgeschlossen wird. Und was bringt es? Am Ende finden sich doch immer wieder Wege, den Kandidaten zu bevorzugen, den man sich schon vorher ausgeguckt hat.
Kenner der Branche fordern daher, dass es zukünftig einen fairen, öffentlich ausgetragenen Wettbewerb gibt, bei dem jeder die gleichen Chancen hat, sein Projekt vorzustellen und sich zu bewerben. Eine unabhängige Jury sollte dabei mitentscheiden können, wer zum Zuge kommt. Sonst höre, so heißt es, das gegenseitige Misstrauen nie auf.