Einen analogen Film der ersten Star-Trek-Folge digitalisieren? Kein Problem für Ludwig Draser, Chef der Berliner Andec Filmtechnik: Deutschlands letztes Filmkopierwerk sorgt dafür, dass Analog-Filme digital weiterleben.
Schlechte Nachrichten für Fans des „klassischen“ Kinos: Wer 2018 noch einen Film sehen will, der tatsächlich auf Zelluloid gedreht wurde und im Kinosaal von der großen Filmrolle ratternd projiziert wird, hat schlechte Karten.
Schuld hat die Filmindustrie: Die stellte Mitte der 2000er Jahre um. Produziert wird seither fast ausschließlich mit digitalen Kameras, die analogen Film-Projektoren in den Kinos wurden verschrottet und durch computergesteuerte Anlagen ersetzt. Eine Branche traf diese Entwicklung besonders hart: die Filmkopierwerke. Einstige Marktführer wie Technicolor, DeLuxe und Geyer mussten ihre Werke schließen oder meldeten Insolvenz an. In Deutschland hat nur ein einziges Filmkopierwerk überlebt: die traditionsreiche Andec Filmtechnik in Berlin.
Schon der Geschäftssitz der Andec hat mächtig Retro-Charme: Wer die Firma besucht, muss in den zweiten Hinterhof einer Altbauanlage im Bezirk Kreuzberg. Am Eingang gibt es eine Dönerbude, im ersten Hinterhof residiert ein Fahrradgeschäft. Die lieblos drapierten Drahtesel wirken genauso alt wie das Gebäude selbst. Überall bröckelt Putz von den Wänden, es riecht muffig. Ganz hinten rechts eine rote Holztür, zwei Schilder weisen den Weg: „Aufgang 3, Andec Filmtechnik“. Wer sich bis hierher vorgewagt hat, steigt eine alte, enge Treppe in den zweiten Stock – und scheint oben in eine Welt geraten zu sein, in der die Zeit stehen geblieben ist. Der Zugang zur eigentlichen Firma ist wie früher mit einer Metallkette versperrt. Hinter einem Empfangstresen blicken Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann schmachtend von einem Filmplakat ins Leere: Filmwerbung, 1942, für „Casablanca“.
„Wir werden nach wie vor gebraucht“
Ludwig Draser, bekleidet mit Karohemd, Pullover und Jeans, tritt hinter den Tresen seiner Firma. „Auch wenn es auf den ersten Blick so wirken mag, wie ein Dinosaurier fühle ich mich nicht“, sagt der 57-Jährige lächelnd zur Begrüßung. Draser, ein studierter Fotoingenieur, ist seit 33 Jahren Leiter und Inhaber der Andec Filmtechnik. Damals übernahm er den Betrieb von seinen Eltern und siedelte das Unternehmen an der jetzigen Adresse an. „Wir haben hier auf mehreren Etagen mehr als 1.000 Quadratmeter Produktionsfläche.“ Schwerpunkt damals wie heute: Das Entwickeln, Kopieren sowie die technische Bearbeitung von klassischem Filmmaterial auf 8, 16 und 35 Millimetern.
„Ja, wir sind wirklich das letzte Unternehmen dieser Art in Deutschland“, bestätigt Draser. „Aber wir werden nach wie vor gebraucht.“ Dabei reicht die Kunden-Bandbreite von Institutionen, Privatleuten oder Filmarchiven bis hin zu Produktionsfirmen und Filmbegeisterten im In- und Ausland. Immer noch genug zu tun für zehn Mitarbeiter, vor allem Foto- und Chemielaboranten.
Mag Draser auch kein Dinosaurier sein, ein Retro-Fan ist er auf jeden Fall. Er öffnet die Tür zu einem ehemaligen Besprechungsraum: „Ich habe hier alles gesammelt, was mit klassischem Analogfilm zu tun hat.“ Neben einer alten 16-Millimeter-Filmkamera vom Sender Freies Berlin (SFB) türmen sich Dutzende Filmrollen zwischen Projektoren und allem, was sonst irgendwie mit Filmen zu tun hat. „Wenn man die alte Kamera anfasst, weiß man, wie sich Filmen früher angefühlt hat“, sagt der Firmenchef. „Das gesamt Equipment wiegt mehr als 30 Kilogramm.“ Genutzt wurde die alte Kamera mit der SFB-Registriernummer 80 für ganz normale Fernsehreportagen. „Die hatten jeden Tag ganz schön zu schleppen!“ Heute wiegt eine normale Fernsehkamera mit allem Drum und Dran kaum mehr als die Hälfte. „Und es wird immer leichter, weil alles immer kleiner wird.“
Als Draser 1985 die Andec Filmtechnik übernahm, war die Welt des Analogfilms noch in Ordnung, man produzierte auf 16- oder 35-Millimeter-Film. Produktionsfirmen, Studios und Filmverleiher kamen in Scharen, um die abgedrehten Filme in Kreuzberg entwickeln, schneiden und technisch korrigieren zu lassen. „Ein weiteres Geschäft war das klassische Kopieren von Filmrollen. Wenn man einen Film zeigen wollte, brauchte man ja für jedes Kino eine Kopie. Die hat dann der Filmvorführer in seinen Projektor eingelegt und abgespielt.“
Ein weiteres Geschäftsfeld war der 8-Millimeter-Film. „So eine Kamera hatte damals fast jeder zu Hause. Wer im Urlaub war und aus seinen Aufnahmen etwas machen wollte, stand bei uns vor der Tür.“ Draser lächelt: „Als der Vater noch mit der Super 8 filmte, hielten sich viele für Profis und übergaben uns stolz 20 Filmrollen. Es ist öfters vorgekommen, dass dann alles falsch belichtet war. Das meiste konnte man in den Müll schmeißen.“
Material für die nächsten 30 Jahre
Doch die Filmwelt veränderte sich: Zu Beginn der 80er-Jahre zog in Privathaushalten und dann beim Fernsehen eine neue Technik ein. Gedreht wurde jetzt auf sogenannten „Camcordern“, der Film wurde durch Kassetten ersetzt. Die Magnetbänder mussten nicht mehr entwickelt werden, sondern konnten auf dem Player oder im heimischen Videorekorder direkt angeschaut und bearbeitet werden. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Mit Beginn des neuen Jahrtausends wich der Film dem Speicherchip.
Draser hält stur über all die Jahre mit seiner Andec Filmtechnik an der klassischen Arbeit fest. Mit Erfolg: „Um uns herum machten immer mehr Firmen dicht. Aber es gab ja noch jede Menge Filme, die bearbeitet werden mussten – und müssen.“ Ein Geschäft, das sich auch heute noch lohnt: Immer noch lagern in öffentlichen und privaten Archiven Tausende alter Filmrollen – und keiner kann sie mehr aufführen. „Die kommen dann zu uns. Und ich denke, da ist auch noch genügend Material für die nächsten 20 bis 30 Jahre vorhanden.“ Die Arbeit der Andec läuft dabei immer in den gleichen Schritten ab: Nachdem das Material, falls nötig, entwickelt wurde, wird es gesichtet, farbkorrigiert und digitalisiert. Als Datei werden die Filme an den Kunden übergeben, die es auf Schnittcomputern weiterbearbeiten. Analog schneidet heute niemand mehr.
Mittlerweile hat sich Draser auch im Ausland einen Namen als klassisches Filmkopierwerk gemacht. Auch ausgefallene Wünsche werden erfüllt: „Uns wurde ein alter 8-Millimeter-Film der ersten Star-Trek-Folge zugesandt.“ Ein amerikanischer Kunde möchte eine digitale Kopie haben. Abgerechnet wird am Ende nicht etwa nach Festpreisen, sondern nach Metern Film.
Einen Retrotrend – wie bei Schallplatten oder Sofortbildkameras – sieht Draser in der Filmbranche nicht. Dennoch ist er manchmal traurig, wenn er zurückdenkt: „Beim analogen Film musste der Kameramann noch beweisen, dass er richtig belichten kann. Wenn da schwerwiegende Fehler gemacht wurden, musste man neu drehen. Heute kann man vieles am Computer retten.“
Zwei ganz andere, aktuelle Probleme beschäftigen Draser intensiv. Das erste ist technischer Natur: Drasers Firmenräume sind vollgestellt mit alten Entwicklungsmaschinen, Filmprojektoren, Sichtungstischen und dem, was sonst zum Filmemachen gehört. „Es wird immer schwieriger, Ersatzteile zu finden, die Geräte werden ja alle nicht mehr gebaut.“
Das zweite Problem wiegt schwerer: Firmenchef Ludwig Draser würde gerne junge Leute ausbilden, um sein Team zu verstärken. „Daraus wird leider nichts: Den klassischen Beruf Chemie- und Fotolaborant gibt es nicht mehr.“ Seine zuständige Berufsschule in Potsdam mache ihm einen Strich durch die Rechnung: „Die müssten ja extra für uns eine eigene Klasse mit den entsprechenden schulischen Ausbildungsinhalten gründen.“ Bei ein oder zwei Auszubildenden im Jahr wird daraus wohl nichts werden.