Aktionskünstler Mike Mathes liebt es spontan. Während des Filmfestivals Max Ophüls Preis gelang es ihm, Schauspieler Mario Adorf auf ganz persönliche Weise zu begegnen – darüber berichtet er.
Mein Plan war, dem Schauspieler Mario Adorf eine spezifisch gestaltete Reproduktion (handliche 50 mal 60 Zentimeter) seines Porträtgemäldes, das ihn in drei Altersstufen in unterschiedlichen Rollen zeigt, als Geschenk und Andenken zu überreichen. Das Original, ein Ölgemälde auf Leinwand, im Format 100 mal 120 Zentimeter führte ich als Aktionsbild mit. Gemalt hatte ich dieses Lebensporträt 2014 für eine Kunstaktion in Mayen, wo Mario Adorf zur Schule ging, als Referenz-Bild einer Ausstellung für eine Service-Demenz-WG, in der Menschen mit Demenz und Alzheimer betreut werden.
Ich traf schon am Nachmittag in Saarbrücken ein, um mit Passanten über das Bild und meine Aktion ins Gespräch zu kommen sowie Gelegenheiten für meine Performance „Gesicht zeigen“ (seit 1984, dem Jahr meiner Infektion mit HIV) abzupassen. Das eigentliche Zusammentreffen zur Übergabe des Bildes war für den Abend des 26. Januar um 19.30 Uhr vorgesehen, zum Werkstattgespräch mit dem Moderator Felix Mauser in der Camera Zwo. Ich verabredete mich mit einem Freund, Klaus-Dieter Schiller, im Domicil Leidinger, der einerseits als Abordnung des Queer-Kinos in Weiterstadt vor Ort war, andererseits meine Kunstaktion unterstützen und fotografisch dokumentieren wollte.
Der Zufall ergab, dass ich beim zwischenzeitlichen Besuch des Filmhauses auf Mario Adorf in Begleitung des Moderators Felix Mauser stieß. Ich ergriff die Gelegenheit und erzählte von meinem Anliegen – und ich hatte den Eindruck, dass die Neugierde geweckt war. Beide waren jedoch in Eile, schienen der Sache aber wohlgesonnen gegenüber und baten mich, am Abend beim Werkstattgespräch vorbeizukommen. So war ich zu meiner Verabredung mit Mario Adorf gekommen.
Klaus-Dieter sollte mir den Rücken freihalten und Fotos schießen, sodass ich mich voll auf die Interaktion mit dem Schauspieler und das turbulente Drumherum – Saarländischer Rundfunk, Fotografen, Pressereferenten, Besucher, Interessierte – konzentrieren konnte.
Dank des Tipps eines befreundeten Fotografen gingen wir frühzeitig, noch während der Film, für den ich keine Karte mehr erhalten hatte, lief zum Ort des Geschehens in die Camera Zwo. Hier im Vorraum und Café des Kinos hatten die Leute des SR einen schwarzledernen Doppelsitzer aufgestellt, auf dem der Grandseigneur des deutschen Films, Mario Adorf, für ein Interview, noch vor dem Werkstattgespräch, Platz nehmen sollte.
Scheinwerfer wurden wieder angemacht
Gezeigt wurde „Der letzte Mentsch“ mit Mario Adorf in der Hauptrolle, als Marcus Schwartz, der Auschwitz und Theresienstadt überlebt hat.
Ich beobachtete die Szenerie von der Theke des Kinocafés aus, lauschte den Fragen, auch zur aktuellen #MeToo-Kampagne und Dieter Wedel, die Reporterin Susanne Kirchhofer stellte, und Mario Adorfs Antworten. Ich harrte der Chance, direkt im Anschluss meine Kunstaktion anbringen und mein Geschenk überreichen zu können.
TV-Kamera und Scheinwerfer wurden schon abgeschaltet und Mario Adorf erhob sich, als ich die Gelegenheit günstig fand, auf den Star zuzugehen, auf der einen Seite das großformatige Original haltend, auf der anderen die kleinere Version – für den Reisekoffer – als Gastgeschenk.
Unsere Blicke trafen sich, er lächelte mich freundlich an und wir begrüßten uns. Die Anwesenden scharten sich sofort um diese sich neu entwickelnde Szenerie. Fotografen positionierten sich, die Strahler wurden wieder eingeschaltet, der Kameramann des SR zeichnete auf. Alle wollten wohl mitbekommen, wie Mario Adorf auf sein Porträt reagieren würde.
Jedenfalls zog das Gemälde die Aufmerksamkeit des Ehrengastes auf sich und dadurch, dass sich nun eine intensive Interaktion entspann, hatten wir, mitten im Filmfestival, eine weitere Bühne errichtet. Ich fing an, das Bild zu beschreiben und gab gerne zu, Mario Adorf und seine Rollen schon immer gemocht zu haben. Eigentlich konnte ich nicht damit rechnen, dass sich der Stargast so viel Zeit für mich und mein Gemälde, das ihn sichtlich faszinierte, nehmen würde. Umso erfreuter war ich, als er meine Einlassungen zu den drei unterschiedlichen im Gemälde dargestellten Charaktere mit seiner Gestik unterstützend ergänzte und die dargestellten Rollen erkannte und benannte.
Erinnerungen wachhalten
Er fragte mich, was ich mit dem Original-Bild machen würde, und ich erläuterte, dass es Bestandteil meiner Kunstaktionen im Zeichen der Friedenskunst Tausend Augen sei, etwa in Schulen, Jugendeinrichtungen oder bei der Bundeswehr, wo ich unterschiedliche gesellschaftliche und soziale Themen anspräche. So versuche ich auch die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, wofür auch der gerade gezeigte Film, „Der Letzte Mentsch“ stehe. Im Zusammenhang damit holte ich eine Kippa hervor und erklärte, dass sie mir vom Ehrenbürger Rio de Janeiros und Holocaust-Überlebenden Aleksander Henryk Laks 2013 während meiner Brasilien-Kunstaktion geschenkt worden war, vor einer Schulveranstaltung, zu der er als Ehren-Opa – kein offizieller, aber gelebter Titel – geladen war. Ich durfte mitgehen und trug sie dort auch zum ersten Mal auf dem Kopf. Die darauf mit dunkelblauem Garn gestickten Zeichen stehen für „Chaim“ gleich Leben.
Er schien beeindruckt und ich fragte, ob er sich für ein Aktionsbild mit dem Gemälde zur Verfügung stellen würde, für das ich die mitgebrachte Kippa des mittlerweile verstorbenen Alksander Laks aufsetzen wollte. Er stimmte zu und ging souverän und geduldig auf die Zurufe der Fotografen ein. Beide hielten wir also das große Gemälde, auf dem Mario Adorf als junger, älterer und alter Mann zu sehen ist, sahen mal in die eine, mal in die andere Richtung und erweiterten es mit unserer augenblicklichen Performance zu einem wahrhaften, lebendigen Kunstwerk – zeigten Gesicht für Menschlichkeit und lebendige Vielfalt. Ich überreichte ihm die mit dem Festival-Logo geschmückte Reproduktion mit den Worten, dass das Bild einerseits mein Gastgeschenk zum Max Ophüls Preis sei, ihn andererseits an unsre Begegnung erinnern möge. Er bedankte sich herzlich und reichte mir die Hand, bevor er im Tross in den voll besetzten Kinosaal geführt wurde, wo alle schon gespannt den Hauptdarsteller des gezeigten Films und Ehrengastes des Festivals, Mario Adorf, zum Werkstattgespräch erwarteten.
Ich war begeistert von Mario Adorfs ruhiger Art und wie er sich im Trubel um uns herum und seinem getakteten Programm so ausgiebig mit mir, dem Porträt und meinem Anliegen befasst hat.