Hat man dieses Buch gelesen, versteht man, warum es so viele schlechte Reisebücher gibt. Weil diese keine Reiseliteratur sind, sondern nur Reise-Beschreibungen, die über das Nacherzählen des Erlebten nicht hinausreichen.
Ganz anders „Der Leuchtturm“ von Paolo Rumiz. Der Journalist ist gerne und viel unterwegs und hat sich für dieses Buch eine strenge Klausur auferlegt: Er verbrachte einige Wochen auf einer Leuchtturm-Insel. Dort gab es nichts, außer einem Esel, einem Huhn und zwei Leuchtturmwächtern. Die Insel ist kaum mehr als ein Felshaufen im östlichen Mittelmeer. Rumiz schreibt über seine erste Reise, bei der er sich nicht vom Fleck rührt – und entfaltet dabei ein Leporello an Innen- und Außenwelten.
Der Autor schreibt in der Tradition seines Triestiner Kollegen Claudio Magris, in der Tradition gebildeter, über alle Grenzen blickenden Mitteleuropäer. Im Gegensatz zu Magris, der sich an der Donau aufarbeitete, lässt Rumiz den Blick übers Meer wandern. In diesem, dem Mittelmeer, sieht er das Verbindende, nicht das Trennende. Während er also auf der einsamen Insel sitzt, sinniert er über diesen Kulturraum, seine Mythen, seine Küche und Küsten, seine Sprachen, seine Leuchttürme.
Rumiz schreibt vom Mittelmeer, ein gewisser hoher Ton ist ihm zu eigen, aber er scheut sich nicht, Alltägliches zu beschreiben, Er rekapituliert ältere Reisen, etwa seine vergebliche Suche nach einem Leuchtturm in Point Hope im äußersten Norden Alaskas. Es soll einmal einen gegeben haben. Auf sein Nachfragen lachen ihn die Einheimischen aus. Wer brauche schon einen Leuchtturm, wenn das Meer das eine halbe Jahr zugefroren ist und im anderen halben Jahr die Sonne immer scheint? Er erzählt von einer Bar in Triest, in der Kapitäne von Stürmen und Schiffen erzählen. Mit einem von ihnen trinke er gerne ein Glas Malvasier und gesteht: Da Schriftsteller nichts anderes tun, „als die Geschichten zu klauen, die andere erzählen“, suche er diese Gesellschaft, „um geschickt etwas mitgehen zu lassen“. Wir Leser danken ihm den Diebstahl.
KULT[UR]
Foto: Getty Images / AleksandarGeorgiev
Buch-Tipp: Gelungener Diebstahl
Paolo Rumiz: Der Leuchtturm. Folio Verlag. ISBN 9783852567167.
Kult[ur] - Buch-Tipp
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