Die Pleiten der Nationalmannschaften sind nicht die einzigen Probleme des deutschen Handballs. In der Champions League muss sich die Männer-Bundesliga nach einem Machtkampf mit dem Europa-Verband EHF künftig mit zwei statt bislang drei Startplätzen begnügen.
Der deutsche Handball hat in diesen Monaten auf internationalem Parkett einen schweren Stand – nicht nur auf dem Parkett. Schon vor der Pleite der Männer-Nationalmannschaft bei der EM – mit dem Aus als Titelverteidiger noch vor dem Halbfinale – und der folgenden Debatte um den gerade erst angetretenen Bundestrainer Christian Prokop ist auf sportpolitischer Ebene das begrenzte Ansehen des „Handball made in Germany" durch die definitive Streichung des dritten Champions-League-Platzes für die Bundesliga (HBL) überaus deutlich zutage getreten.
Die schon zur kommenden Saison greifende Entscheidung des Europa-Verbandes EHF – für die ausdrückliche Sperre der in den vergangenen beständig an einen Bundesliga-Verein vergebenen Wildcard neben den zwei Fixplätzen für Deutschland – trifft die HBL ins Mark. Zum einen verliert die Liga einen erheblichen Teil ihrer Präsentationsmöglichkeiten auf internationaler Bühne, zum anderen aber, und das dürfte das deutsche Oberhaus besonders schmerzen, büßt die Liga an Attraktivität für Topspieler sowohl aus dem In- als auch aus dem Ausland ein. Stars von Weltklasseformat wollen sich schließlich auch auf dem höchsten Niveau mit ihresgleichen messen – aus dem Fußball ist dieser durchaus nicht nur finanziell motivierte Drang von Elitespielern bereits hinlänglich bekannt. Weniger Stars jedoch bedeuten für die Bundesliga zugleich auch weniger Zugkraft bei Fans in den Hallen und bei Zuschauern vor den TV-Bildschirmen. Die abzusehende Negativentwicklung führt zwangsläufig zu schlechteren Ausgangspositionen in Verhandlungen mit potenziellen Sponsoren und sinkenden Preisen bei künftigen Vergaben von Medienrechten.
Große Empörung
Nicht zuletzt vor diesen Hintergründen ist die Empörung bei den HBL-Spitzenvereinen auch mehrere Wochen nach dem EHF-Beschluss groß. „Diese Entscheidung ist zu bedauern, da die deutschen Champions-League-Teilnehmer sich über Jahre nicht nur als sportliche Aushängeschilder für den gesamten Wettbewerb, sondern auch als Publikumsmagneten erwiesen haben", sagte Geschäftsführerin Jennifer Kettermann vom deutschen Meister Rhein-Neckar Löwen zuletzt noch in einem Zeitungsinterview. „Die Champions League beraubt sich eines ihrer Zugpferde." Kettermanns Kollege Thorsten Storm vom Rekordmeister THW Kiel befürchtete einen „Rückschritt für den deutschen Clubhandball".
Hintergrund der ungewöhnlichen und sportlich höchstens bedingt vertretbaren Entscheidung ist ein Machtkampf zwischen EHF und HBL gleich an zwei Fronten. Einerseits stößt sich die EHF an der durch den deutschen TV-Vertrag notwendigen Fixierung von Bundesliga-Spieltagen an Donnerstagen und Sonntagen, durch die Ansetzungen von Champions-League-Spielen mit deutschen Vereinen weniger flexibel als gewünscht erfolgen können. Andererseits opponiert die HBL massiv gegen die für die Saison 2020/21 vorgesehene Reform der europäischen Königsklasse auf ein Liga-System mit zwölf Teams und bis zu sechs zusätzlichen Terminen für die teilnehmenden Clubs.
In beiden Fragen stehen sich die Streithähne praktisch unversöhnlich gegenüber. „Die Entscheidung der HBL, fixe Termine mit dem Donnerstag und dem Sonntag einzurichten, hat sich gegen die Champions-League-Spiele gerichtet. Dies kann nicht als Zufall gesehen werden. Das HBL-Management hat die Champions League in jeder Phase als reine Konkurrenz behandelt, statt ihre Lokomotiv-Funktion anzuerkennen und zu nutzen", begründete die EHF bereits im vergangenen Herbst ihren ursprünglichen Plan einer Streichung von sogar zwei Bundesliga-Plätzen in ihrem Premium-Wettbewerb. Aus der Sicht des Verbandes müssen Clubs aus anderen Ländern zu oft zu viel Rücksicht auf die Ansetzungen ihrer Bundesliga-Gegner in der deutschen Meisterschaft nehmen. Die Strategie im Terminmanagement der HBL, teilte die EHF weiter mit, ließe trotz der Qualität der deutschen Mannschaften deswegen keine andere Möglichkeit, als die Probleme durch die Reduzierung der Anzahl von Bundesliga-Vereinen in der Champions League wenigstens zu verringern. Die HBL pocht jedoch auf ihren Standpunkt. Noch kurz vor der Entscheidung der EHF bekannten sich alle Erstliga-Vereine in einer offiziellen Erklärung sowohl zu den TV-Verträgen mit dem Pay-TV-Sender Sky und öffentlich-rechtlichen Tandem ARD/ZDF als auch zur immer wieder diskutierten Sollstärke von 18 Vereinen.
Permanente Reformen
Auch in der Frage der Champions-League-Reform will keiner nachgeben. Die EHF feiert die abermalige Reform ihres momentan sehr unverständlichen Top-Produktes als großen Wurf, die HBL dagegen hat sich wegen der allmählich in der Tat dramatisch anmutenden Terminproblematik an die Spitze der Gegenbewegung gesetzt. „Maximal 20 Spiele", hieß es in einer HBL-Erklärung zu den Reformplänen, seien „terminlich und sportfachlich" vertretbar: „Einer Erhöhung der Anzahl der Spiele können wir angesichts der hohen Belastungen nicht zustimmen. Das Fass ist schon jetzt beinahe übergelaufen. Das ist nicht nur ein Anliegen aus Deutschland, sondern auch aus anderen Topligen, der Spielergewerkschaften und vieler Nationalteams."
Die Loyalität der HBL-Clubs zu ihren Partnern bei den Fernsehanstalten ist verständlich. Schließlich spülten die gerade erst getroffenen Absprachen mit Sky über die Liveübertragung aller Spiele sowie mit der ARD (zwölf Livespiele) und mit dem ZDF (Höhepunkte) jedem Club zu Saisonbeginn rund 140.000 Euro in die Kasse. Vorher lagen die Erlöse aus diesem Bereich fast 100.000 Euro pro Verein niedriger. Beinahe noch wichtiger als Geld jedoch ist der HBL die konstante Präsenz ihres Sports auf den Bildschirmen. Nach Jahren in der Nische von Spartensendern wie Sport1 oder gar völlig in der Versenkung sind die signifikant gestiegenen TV-Quoten ein Signal des Aufbruchs, den die Nationalmannschaft in den beiden vergangenen Jahren eingeläutet hatte. Der Clou der Verträge besteht besonders auch darin, dass die HBL-Spiele – nach Vorbild von „König Fußball" und seiner schon rituellen Anstoßzeit an Samstagnachmittagen um 15.30 Uhr – seit Saisonbeginn nun auch für Donnerstagabend und Sonntagmittag feste und verlässliche Anwurfzeiten haben, weitgehend ohne Konkurrenz durch den alles dominierenden Fußball. So erfreulich die neue Situation für die deutschen Clubs auch ist, so unglaubliche Auswüchse sind denn auch schon bei den Spitzenclubs durch den Spagat zwischen Bundesliga und Champions League zu registrieren gewesen. Weil im Herbst 2017 HBL und EHF ihre Spieltage ohne jegliche Abstimmung untereinander ansetzten, mussten die Rhein-Neckar Löwen samstags ihr Bundesliga-Duell mit dem SC DHfK Leipzig austragen und schon tags darauf in der Königsklasse beim FC Barcelona antreten. Für Nationalspieler Patrick Groetzki ein unhaltbarer Vorgang: „Das war ein Schlag ins Gesicht der Spieler. Wir reden seit Jahren über eine zu hohe Belastung für die Spieler. Diese Terminierung aber ist der negative Höhepunkt der letzten Jahre gewesen."
Hoffnung noch nicht aufgegeben
Trotz der verfahrenen Situation hat die HBL allerdings die Hoffnung auf ein spätes Einlenken der EHF noch nicht völlig aufgegeben. HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann betonte jüngst jedenfalls seinen Wusch, dass die Wildcards für die Champions League auch in Zukunft wie bisher „nach transparenten Gesichtspunkten durch die EHF vergeben werden". Was Bohmann nicht erwähnte: Bei den meisten relevanten Kriterien dürften Kandidaten aus der deutschen Bundesliga aufgrund der Erfahrungen aus den vergangenen Jahren die besten Karten haben und deswegen doch kaum zu übergehen sein. Außerdem setzt Bohmann auch auf das geschäftliche Interesse der EHF an einer möglichst hochklassigen Champions League – ungeachtet aller politischen Querelen: „Ich würde mir wünschen, dass die Konflikte mit der EHF nicht miteinander vermischt werden."