Bodo Busse verantwortet mit der Saison 2017/2018 seinen ersten Spielplan für das Saarländische Staatstheater. Über seine Ideen und Anschauungen zum Theater und seine Leitungstätigkeit spricht er offen und direkt.
Herr Busse, Sie sind Schwabe. Den Schwaben sagt man nach, dass sie sparsam sind und alles können – außer Hochdeutsch. Stimmt das?
(lacht) Natürlich. Das sind auch die besten Voraussetzungen für den Intendantenberuf.
Erinnern Sie sich, welche Oper oder welches Schauspiel Sie bewusst als Kind oder Jugendlicher gesehen haben?
Ja sehr gut sogar. Mein erster Opernbesuch war Rusalka mit meiner Mutter in der Staatsoper Stuttgart, da war ich sieben oder acht Jahre alt. Rusalka ist bis zum heutigen Tag eine meiner Lieblingsopern.
Sie haben als Achtjähriger Querflöte gelernt. Freiwillig oder weil – Ihr Großvater war Soloflötist – das von Ihnen erwartet wurde?
Eine Mischung aus beidem. Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen in dem die musikalische Erziehung einen hohen Stellenwert hatte. Man bemerkte Talent und auch Interesse bei mir, so war der Weg zum Instrument nahe. Irgendwann hat man entschieden, dass es die Querflöte ist. Das war eine schöne Entscheidung, die mich viele Jahre beglückt hat. Ich habe in vielen Ensembles und bis in die Studienzeit in Kammermusikensembles gespielt bis ich irgendwann im Berufsleben keine Zeit mehr hatte.
Denken Sie, dass, wer nicht in Kindheit und Jugend mit den Künsten in Berührung gekommen ist, es später schwer hat den Zugang dazu zu finden?
Die Schwelle ist sicherlich höher. Vor allem sollte es freiwillig sein. Je früher man sich künstlerisch betätigt, desto schneller überschreitet man die Schwelle, sich für die Künste zu interessieren und diese wertzuschätzen. Über die Kunstproduktion kann man ganz schnell in die Kunstrezeption kommen.
Stimmt es, dass Sie sich bei Kurt-Josef Schildknecht, als er Generalintendant am Saarländischen Staatstheater (SST) gewesen ist, als Regieassistent beworben haben und abgeblitzt sind?
Das ist absolut richtig. Ich saß genau an diesem Tisch. Das muss 1998 gewesen sein, da war ich noch Regieassistent am Opernhaus Zürich. Ich hatte keine Festanstellung, war gastweise verpflichtet, und habe einen festen Job gesucht. Die Stelle war ausgeschrieben und ich habe mich beworben. Frau ter Braak hat mir 14 Tage später ein freundliches Absagebriefchen geschickt.
Heute ist Frau ter Braak Ihre Intendanzsekretärin und Sie Intendant am SST.
Ironie des Schicksals. (lacht)
Was soll und kann ein Theater, Ihrer Meinung nach, leisten?
Theater soll ein Ort der Künste, der Erbauung, der Reflektion, der kulturellen Bildung und ein Ort der Begegnung sein – das wird immer wichtiger. Wir müssen Foren schaffen, Räume öffnen, Formate mit einem künstlerischen Ansatz erfinden, wobei es aber nicht nur um die Performance geht. Die Öffnung, die Verantwortlichkeit des Theaters, und das, was Theater leisten soll, wird immer größer.
Was betrachten Sie als eine wesentlichste Eigenschaft, die zur Führung eines Theaters erforderlich ist?
Man muss Übersicht haben. Leidenschaft, die man auch weitergeben kann. Geduld. Bestimmte Führungsqualitäten. Man muss kommunikativ sein. Ich finde Ehrlichkeit ist in dem Beruf wichtig. Aus Leidenschaft und Liebe zum Theater entsteht ganz viel anderes!
Ihre erste Spielplangestaltung sieht – was die Stückauswahl angeht – wenig wagemutig aus. Tasten Sie sich langsam an das Publikum heran?
Ich ärgere mich immer so ein bisschen, dass es immer heißt: Wir sind nicht wagemutig. Ich halte das für ein Vorurteil. Ja, der Spielplan hat große Titel – wir machen kein performatives Projekttheater. Wir müssen erstmal ankommen, Vertrauen gewinnen, dann kann man sich langsam weiterentwickeln. Wir haben immerhin die selten oder überhaupt nicht gespielte Oper „Der Sturm" – ich verstehe auch nicht, was daran nicht wagemutig sein soll. In der Alten Feuerwache – erstmals nach vielen Jahren – eine zeitgenössische Oper: „Solaris" nach dem Roman von Stanislav Lem und die Barockoper „Croesus". Eröffnet haben wir mit „Wilhelm Tell", einer Oper, die ganz selten oder eigentlich nie gespielt wird, weil sie so schwer zu besetzen ist. Und: altes Theatergesetz: Man soll sein Pulver auch nicht in der ersten Spielzeit verschießen!
Sehen Sie sich als Programmgestalter im Spagat zwischen Vergnügungstempel und Bildungsanstalt?
Ja. Das ist in der Tat so. Das Vergnügungstheater bekommt immer so einen Beigeschmack. Man kann auch eine Operette, ein Musical, oder ein populäres Stück auf einem hohen künstlerischen Niveau machen. Wir müssen natürlich mit Blick auf Kasseneinnahmen immer eine Mischkalkulation realisieren, das werden Sie an jedem großen Theater feststellen, dass man neben den Experimenten und den Uraufführungen auch ein paar Produktionen braucht, die der leichten Muse gewidmet sind und dem Vergnügen. Das Vergnügen verstehe ich als positive Rezeptionshaltung. Warum darf man sich im Theater nicht unterhalten fühlen? Diejenigen, die sich bei „Blues Brothers" gut unterhalten fühlen, schauen sich dann auch mit großem Interesse „Der Sturm" an. Man bindet ein Publikum ja nicht nur über ein Stück, sondern über eine Serie von Stücken. Wenn man einmal das Vertrauen hat – darauf beruht ja auch das Phänomen des Abonnements – dann kann man in der Abfolge der Stücke eine schöne Mischung zwischen Irritation und Vergnügen herstellen.
Das Musiktheater eröffnete die Saison mit „Wilhelm Tell". Warum fiel Ihre Wahl auf dieses Stück?
Es ist meiner Meinung nach eine der europäischsten Opern überhaupt. Wilhelm Tell behandelt den Freiheitskampf eines Schweizer Nationalhelden auf Grundlage eines Textes eines deutschen Schriftstellers, mit der Musik eines italienischen Komponisten, die er für die französische Oper in Paris geschrieben hat. Europäischer geht es nicht. Wie wird aus einer idealistischen politischen Einstellung, dem Gedanken an Freiheit, Terror und Fanatismus? Das ist ein Thema, das wahnsinnig aktuell ist!
„Wilhelm Tell" kam beim Publikum sehr gut an. Nicht so „Nathan oder das Märchen von der Gleichheit" nach Gotthold Ephraim Lessing. Was glauben Sie, weshalb sich das Publikum davon nicht begeistern ließ?
Das ist pauschal so auch nicht richtig. Es gab keine allgemeine hundertprozentige Zustimmung. Wir haben sehr viele begeisterte Zuschriften bekommen. Verstörend an der Produktion ist sicherlich, dass Lessings Text aufgebrochen wurde. Dass man nicht nur den Text von Lessing erlebt hat, sondern ein Teil von dem Stück „Wir sind die Guten" von Mark Ravenhill eingeschoben wurde. Man hat „seinen" Lessing so noch nicht auf der Bühne erlebt. Wir haben von Anfang an gesagt: Das ist eine Dekonstruktion des Stückes. Das ist immer verstörend, wenn man sich von Vertrautem verabschieden muss. Thema Toleranz: Wie gehen verschiedene Religionen miteinander um? Lessing hat auch keine Lösung: Das Märchen, dass plötzlich alle miteinander verwandt sind, ist eine Hilfskonstruktion. Der kulturell-religiöse Konflikt ist plötzlich biologisch gelöst – so einfach ist es ja gar nicht.
Sie haben angekündigt, dass Sie Nichtbesucher zu Besuchern machen möchten. Wie?
Indem wir ein sehr breit aufgestelltes Programm machen und mit dem partizipativen Projekt: dem Ensemble vier. Wenn man selber mitmacht, wird man auch ein Fan der Institution.
Amateure, das „vierte Ensemble" treten mit Profis auf. Ist das eine clevere – wenngleich nicht neue – Form Schauspielgagen einzusparen?
Nein, überhaupt nicht. Das ist ja Unsinn. Wir ersetzen keine Schauspieler damit. Die chorischen Sachen sind überhaupt nicht im Rollenverzeichnis vorgesehen – für uns ist das ein zusätzlicher Aufwand, auch wegen zusätzlicher Kostüme, Proben und Workshops. Und: Die Leute bekommen auch eine kleine Gage.
Sie haben den Begriff Europatheater geprägt. Was ist das?
Das ist ein Theater, das sich europäische Theatergeschichte zur Aufgabe macht. Wir haben einen großen Spielplan von der Antike bis in die Gegenwart. Dass wir uns mit den Fragen unserer europäischen Gesellschaft beschäftigen – Religion, Sicherheit, Freiheit. Nicht, dass wir sie lösen können, aber, dass wir sie thematisieren und Reflektionsfläche bieten.
In der Spielzeit 2016/2017 besuchten ungefähr 220.000 Zuschauer die Spielstätten und auswärtigen Vorstellungen des Saarländischen Staatstheaters. Welche Bedeutung haben Auslastungszahlen für Sie?
Wir werden oft an den Auslastungszahlen gemessen. Das ist auch ein Problem. Ein großes Theater, das von der öffentlichen Hand finanziert wird, ist auch ein ökonomischer Faktor, der auch ökonomisch bewertet wird. Wir haben einen Gesellschafter, nämlich das Land, das uns einen Fehlbetrag zuweist, aber wir müssen natürlich schon schauen, dass sich die Einnahmen und die Ausgaben die Waage halten – wir müssen einen bestimmten Anteil einspielen. Aber wir wollen ja auch viele Besucher erreichen. Ein großes Theater muss auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden.
Auf Ihren Webseiten veröffentlichen Sie Rezensionen, allerdings nur, wenn sie gut sind, wie am Beispiel „Wir sind die Guten" zu sehen war.
Kunstkritik, natürlich interessiert uns das, das ist für uns wichtig. Aber das stimmt auch nicht ganz, wir veröffentlichen auch die schlechten Kritiken.
Sie präsentieren Ihre Auswahl.
Natürlich ist das so. Das ist doch ganz klar. Wenn Sie oben ins Foyer gehen, da stellen wir auch die schlechten Kritiken aus, aber auf der Homepage ist es etwas anderes, das ist ein Marketing-Tool. Manchmal kann man sich auch mit einer schlechten Kritik identifizieren, manchmal ist es auch toll so eine Meinungsdialektik zu haben, aber manches kann man gar nicht ernst nehmen.
Sind Sie von der Kunstkritik abhängig oder machen Sie sich abhängig?
Man macht sich manchmal vielleicht zu sehr abhängig. Wir haben hier in Saarbrücken eine sehr schmale Presselandschaft. Man sieht die veröffentlichte Meinung auch im Verkaufsverhalten wieder.
Manchmal ist es aber auch ein Antagonismus – eine schlechte Kritik führt zu vielen Besuchern. Ich glaube, viel wichtiger ist die Mundpropaganda, das ist das entscheidende. Der öffentliche Diskurs in den Medien ist ein Teil. Natürlich berührt einen eine schlechte Kritik, genau wie einen eine gute freut, das hält sich auch die Waage. Man macht sich nicht abhängig, aber man steht in einem dialektischen Verhältnis.
Den Saarländern sagt man nach, dass sie schlau sind, laissez faire sein können und sich aber auch gut dumm stellen, wenn es ihnen nützt. Wie erleben Sie die hiesige Mentalität?
Laissez-faire, das stimmt. Genussfähigkeit, das habe ich auch schon festgestellt. Laissez-faire finde ich ganz schön, das heißt, dass man die andere Meinung gelten lässt und toleriert. Und schlau sind sie auch.