Es läuft nicht immer alles glatt im Leben. Enttäuschungen, Frust und Niederlagen gehören dazu. Manche Menschen kommen besser damit klar als andere. Psychische Widerstandskraft nennt man Resilienz. Im Kindesalter ist diese Fähigkeit ein Schlüssel zur gesunden Persönlichkeitsentwicklung.
Ein Kind wird von seinen Eltern vernachlässigt. Ein anderes körperlich misshandelt. Ein Mädchen beklagt, dass sich die Eltern trennen. Ein Jugendlicher wird im Internet bloßgestellt. Eine Familie verliert ihren Sohn, die Schwester ihren Bruder. Ein Kind erfährt, dass es mit einer schweren Krankheit leben muss. Viele Kinder sind während ihres Heranwachsens mit schwierigen Situationen, mit Belastungen im häuslichen, privaten und schulischen Umfeld konfrontiert. Doch nicht alle bewältigen sie auf die gleiche Weise. Manche leiden so stark unter dem Geschehen, dass sie in ihrer seelischen Entwicklung gestört sind, in ihrem Verhalten auffällig werden und sich selbst über lange Zeit hinweg nichts mehr zutrauen. Andere, so scheint es, fangen sich nach einer gewissen Zeit, entwickeln jedoch irgendwann in späteren Jahren chronische Krankheiten oder psychosomatische Symptome.
Und dann gibt es noch die Kinder, die immun gegen die Bürden, den Stress und Druck reagieren, die all das bewältigen, seelisch und körperlich gesund bleiben, obwohl ihre Lebensbedingungen alles andere als einfach sind. Sie zerbrechen nicht daran und werden sich nicht ihr Leben lang als Opfer fühlen. Im Gegenteil, sie gehen sogar gestärkt daraus hervor.
Resilienz ist das Schlüsselwort
Manche sind offenbar deutlich besser in der Lage, mit widrigen Lebensumständen, mit Verwahrlosung, Missbrauch, Armut oder schweren Krankheiten in jungen Jahren fertig zu werden als andere. Warum entwickeln sich Kinder aus schwierigen oder gar traumatischen Familienverhältnissen zu gesunden, sozial engagierten und erfolgreichen Menschen, während beispielsweise ihre Geschwister in Co-Abhängigkeiten geraten, gewalttätig, depressiv oder süchtig werden?
Psychologen konzentrierten sich lange Zeit fast ausschließlich auf die negativen Folgen schlimmer Kindheitserfahrungen und zerrütteten Familien. Man glaubte, dass in diesem Zusammenhang Fehlentwicklungen programmiert seien. Erst in den letzten Jahrzehnten interessieren sich Forscher für jene Menschen, die an seelischen Belastungen nicht kaputtgehen, sondern daran wachsen.
Das Schlüsselwort für die Kraft der Widerständigen heißt nach Ansicht vieler Wissenschaftler Resilienz. Der lateinische Begriff „resilire" bedeutet abprallen. Im Englischen meint „resilience" Widerstandsfähigkeit, Spannkraft, Elastizität.
Hirnforscher, Sozialwissenschaftler, Therapeuten und Mediziner wissen: Resilienz ist ein wichtiger Faktor für die körperliche und seelische Gesundheit. Deshalb geht die Resilienzforschung bereits seit den 50er-Jahren der Frage nach, was es damit auf sich hat, ob die Gene oder auch weitere Faktoren im Umfeld des Kindes die Ursache sind.
In den 70er Jahren untersuchte der New Yorker Wissenschaftler Norman Garmezy Kinder schizophrener Eltern. Daraus, dass sich einige normal entwickelten, andere hingegen psychische Störungen zeigten, schlussfolgerte er, dass Resilienz eine größere Rolle spielen könnte, als bisher angenommen. Später wurden Kinder, die in materiell schwachen Familien unter schwierigsten Bedingungen aufwuchsen, untersucht, im weiteren Verlauf Minderheiten und Emigranten. Auch hier zeigten sich viele Menschen gut überlebensfähig trotz Anfeindungen und fehlender Lebensperspektive. Die Resilienzforschung trug dazu bei, dass man die seelischen Schutzfaktoren heute besser kennt, sodass man Kinder in schwierigen Lebenssituationen oder aus Risikofamilien besser unterstützen und stärken kann.
„Resilienz ist ein viel zu komplexes Fähigkeitsbündel, um allein genetisch bedingt zu sein", sagt der Psychologieprofessor Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. „So gibt es Kinder, die von Geburt an leicht erregbar sind, andere die sich leichter beruhigen lassen. Das könnte zwar genetisch bedingt sein, hängt dennoch im Weiteren stark davon ab, was für Umwelterfahrungen die Babys machen, welche genetischen Strukturen angeknipst werden oder auch nicht. Bei einem unruhigen Kind, dessen Eltern selbst angespannt und verunsichert sind, ist das Risiko groß, dass es sich schwer beruhigen lässt. Trifft das gleiche Kind aber auf Eltern, die ausgeglichen und ruhevoll auf ihr Baby einwirken, erfährt es Halt und Geborgenheit. So kann der Teufelskreis durchbrochen werden."
Frühe Erfahrungen prägen die seelische Widerstandskraft
Die Fähigkeit, Krisen, Verletzungen und besondere Herausforderungen zu überstehen, beruhe auf zwei grundlegenden Erfahrungen, erklärt Klaus Fröhlich-Gildhoff. Zum einen sei dies die Sicherheit des Kindes, dass erwachsene Bezugspersonen zuverlässig da sind, denen es vertrauen kann, die ihm vertrauen und die angemessene Forderungen stellen. Diese Personen sind in erster Linie Mutter oder Vater, es können aber auch Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter sein. Wer so eine Bezugsperson nicht habe, würde kaum oder nur sehr schwer Vertrauen in sich selbst und zu anderen finden. Die zweite wesentliche Erfahrung seien die eigenen Fähigkeiten, die Kinder in den ersten Lebensjahren entwickeln.
„Für auffälliges Verhalten, Gewalt oder Suchtabhängigkeiten gibt es niemals nur eine Ursache. Es kommen immer mehrere Faktoren zusammen", fasst Fröhlich-Gildhoff die entsprechenden Forschungsergebnisse zusammen. „In der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen verändert sich der Körper. Die Heranwachsenden schauen, wie sie aussehen, was sie für Kleidung tragen, wie sie bei den anderen ankommen. Sie suchen ihre eigene Identität, wollen eigene Ideen durchsetzen und sich von den Eltern lösen. Ob das alles gelingend bewältigt werden kann, hängt davon ab, welche Bindungen sie zu den Eltern, Freunden und anderen Bezugspersonen haben, ob sie mit ihnen offen sprechen können, Beistand erfahren und natürlich auch – wie resilient sie sind oder auch nicht. So kann es schon passieren, dass sie in einem Umfeld, wo gekifft, geraucht, Alkohol getrunken wird, mitmachen, einfach um dabei zu sein und nicht abseits zu stehen."
Einer Studie zufolge bestimme sich der Selbstwert junger Menschen zu 80 Prozent durch das äußere Erscheinungsbild, wie sie bei Freunden ankommen, ob sie gesehen, anerkannt und integriert werden.
Widerstandskraft lässt sich fördern
Trotz verschiedener Prägungen und Lebensumstände könne man nachsteuern, dies lässt sich nach Angaben von Fröhlich-Gildhoff wissenschaftlich nachweisen. „Ist jemand seelisch stark und muss im Laufe seiner Entwicklung aber mehrfach schlechte Erfahrungen machen, kann sich seine Resilienz verringern. Andersherum, besitzt jemand wenig Resilienz, kann diese durchaus gestärkt werden." Der Psychologe verweist auf sechs wesentliche Resilienzfaktoren. Die Erfahrung von wissenschaftlichen Projekten zur Resilienzförderung in Kitas und Schulen zeige deutlich, dass Selbstwert und Wohlbefinden der Kinder sowie ihre Leistungsfähigkeit deutlich steige, wenn diese Resilienzfaktoren konsequent im schulischen Arbeitsumfeld und im Elternhaus gestärkt würden.
Klaus Fröhlich-Gildhoff rät Eltern, ihren Kindern Beziehungssicherheit zu vermitteln, ihnen authentisch zu begegnen, Interesse an ihrem Erleben zu zeigen und die Resilienzfaktoren im Alltag zu stärken, sowie den Kindern Trost zu geben, wenn mal etwas nicht so klappt.
Zugleich sollten sie aber auch herausgefordert werden. So wirke sich Überbehütung und Übermutterung eher kontraproduktiv auf vorhandene Resilienzfaktoren aus. „Denn wird ihnen alles abgenommen, stärkt das keinesfalls ihren Selbstwert. Genauso wenig wie permanente Abmahnungen. Eltern sollten sich auch mal wieder an die eigene Kindheit und Jugend erinnern, sich fehlerfreundlich zeigen und Verständnis aufbringen. Anderenfalls kann es leicht geschehen, dass sich ihre Sprösslinge abwenden, mit den Eltern kaum noch reden."
Lehrer und Erzieher sollten unbedingt über Abhängigkeitsgefahren aufklären und sich in ihre Schüler einfühlen. Das trifft auch auf Kinder- und Jugendzentren, Arbeitsgemeinschaften oder Sportvereine zu. Es gehe darum, die Kinderseelen zu stärken. Resilienz wirke wie ein Schutzschild, auch spätere Hürden in ihrem Leben zu überwinden.