Für Neu-Parlamentarier sind die ersten Wochen immer ein Crash-Kurs. Die fünf Monate bis zur Regierungsbildung hatten viel an „historischen“ Einmaligkeiten zu bieten. Die Jung-Abgeordnete Josephine Ortleb (SPD) über Meinungsbildung in der Partei und neue Sitten im Parlament.
Frau Ortleb, es hat jetzt fast 175 Tage gedauert, bis politisch endlich klar ist, wohin die Regierungsreise in Deutschland geht, ein Novum in der Geschichte des Bundestages, das Sie da mit ausbaden durften.
Na ja, daran ist ja nun nicht die SPD allein Schuld. Wir mussten ja im letzten Herbst fast drei Monate die Jamaika-Sondierungen abwarten, die dann ja überraschenderweise auch noch geplatzt sind. Spätestens da wurde mir dann hier als Neue im Bundestag klar, dass das alles diesmal nicht so normal läuft, also dass es historisch schon eine einmalige Situation ist. Das war für mich dann auch nicht so leicht, sich auf die neue Situation einzustellen.
Sie waren anfangs gegen die GroKo, wollten unbedingt, dass sich die Partei in der Opposition erneuern kann. Dafür bekamen sie erheblichen Gegenwind in der Fraktion, nun das Mitgliedervotum. Wie gehen Sie damit um?
Ich mach natürlich keinen Hehl daraus, dass ich mir ein anderes Ergebnis bei der Mitgliederbefragung gewünscht hätte, aber ich muss das Ergebnis nun so akzeptieren, wie es ist. Doch für mich als Direktkandidatin heißt das Ergebnis auch, dass ich jetzt sehr genau darauf achten werde, ob die sozialdemokratischen Ziele, die da im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, auch wirklich umgesetzt werden. Die Reformen am Arbeitsmarkt zur Beseitigung der sozialen Einschnitte sind gerade für viele Menschen hier im Regionalverband Saarbrücken ganz wichtig. Investitionen in Bildung ist ein wichtiges Thema, und wir müssen in den kommenden dreieinhalb Jahren auch immer klar sagen, was mit der Union alles nicht geht, wo wir nicht so weit kommen, wie wir eigentlich wollen. Nur so können wir unsere Position als SPD schärfen.
Wie war denn die Stimmungslage in ihrem Wahlkreis in Saarbrücken?
Mit Zahlen kann ich das nicht belegen, weil das Mitgliedervotum nicht nach Wahlkreisen ausgezählt und statistisch erhoben wird. Aber wie ich das in den letzten Wochen in meinem Wahlkreis in Saarbrücken erlebt habe, würde ich sagen, das deckt sich absolut mit dem Bundesergebnis. Also, vielleicht ein bisschen mehr als ein Drittel waren zum Schluss gegen die GroKo und knapp zwei Drittel waren bei den Veranstaltungen dafür. Wobei ich sagen muss, die Stimmung war kurz nach der Vereinbarung zur Großen Koalition noch sehr viel knapper, da stand es für meine Begriffe wirklich Halbe-Halbe. Dass es dann doch noch recht deutlich 66 Prozent für die GroKo wurden, das müssen die letzten zwei, drei Wochen bewirkt haben.
Wie muss man sich denn die Meinungsbildung bei Ihnen vorstellen? Persönlich waren Sie eigentlich gegen die GroKo, aus Ihrem Wahlkreis gab es andere Signale, und in der Fraktion war die Stimmung klar für eine Regierungsbeteiligung.
Für mich war jede Debatte in der Fraktion wichtig, um auch meine eigene Meinung zu hinterfragen, und diese Debatten wurde dann auch bei uns in der Fraktion sehr heftig geführt. Da waren wirklich heiße Debatten angesagt, aber das ist ja auch richtig so. Damit waren die ersten Monate für mich hier im Bundestag schon sehr prägend. Zu sehen, wie das hier vor sich geht, das waren wirklich viele Lehrstücke für mich, die ich nicht missen möchte.
Inwieweit muss gerade ein direkt gewählter Abgeordneter bereit sein, seine eigene Position zu überdenken und sich anderen Meinungen zu öffnen?
Ich habe das für mich immer an Sachfragen ausgemacht, also nicht mal eben zu sagen: Die Debatte ist jetzt so gelaufen, und darum denke ich nun so. Sondern für mich ganz entscheidend sind die Sachfragen, und da muss man dann auch mal bereit sein, die eigene, vorgefasste Meinung tatsächlich zu überdenken.
Ihre Arbeit im Bundestag ist auch geprägt durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD. Ihre erste Rede im Plenum haben Sie auch gleich in einer von der AfD beantragten aktuellen Stunde gehalten. Was bringt die parlamentarische Auseinandersetzung?
Da ging es bezeichnenderweise um Frauenrechte, und da ich in der SPD-Fraktion mit dafür zuständig bin, habe ich dort meine erste Rede halten dürfen. In dieser Debatte wurde dann aber ganz schnell klar, der AfD geht es überhaupt nicht um Frauenrechte. Die wurden nur als Aufhänger genommen, um dann gegen andere Grupppierungen zu hetzen. Trotzdem war für mich wichtig, in dieser Debatte der AfD klar zu zeigen, wo wir als SPD frauenpolitisch hinwollen.
Sehen Sie eine Gefahr, mit dieser Art von Auseinandersetzung der AfD mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, als es nach deren parlamentarischer Arbeit eigentlich notwendig wäre?
Ja, die Gefahr besteht natürlich immer, und das ist ja auch die Taktik dieser Partei. Andererseits müssen wir denen auch immer wieder klar zeigen, was im Parlament nicht geht, und dazu gehört unter anderem Hetze gegen Minderheiten. Das müssen wir dann auch benennen und ihnen immer wieder die Grenzen aufzeigen.
Dass Wolfgang Schäuble das Amt des Bundestagspräsidenten übernommen hat, lag mehr daran, dass man ihm aufgrund seiner langjährigen parlamentarischen Erfahrung zutraut, die AfD schnell in den Griff zu bekommen. Gelingt das Schäuble und dem Präsidium des Bundestags?
Wolfgang Schäuble macht eher einen ruhigen Eindruck, dessen Autorität sich tatsächlich aus seiner langjährigen Mitgliedschaft des Parlaments ableitet, aber es kommt natürlich auch immer auf die Themen an. Ich habe da vor drei Wochen noch die Debatte über die Erinnerungskultur in Deutschland vor Augen, in der die AfD dann ganz schnell ausfällig geworden ist. Diese Sitzung hatte Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki geleitet und hat da ganz schnell mit Ordnungsrufen durchgegriffen. Das hat mich sehr beindruckt, wie Kubicki der AfD gezeigt hat, was im Hohen Haus alles nicht geht. Bei manchen Abgeordneten der AfD habe ich immer das Gefühl, die vergessen gerade, wo sie eigentlich sprechen.
Ihr Resümee nach knapp einem halben Jahr Bundestag: ein Schubs ins kalte Wasser mit vielen Überraschungen?
Absolut ein Schubs ins kalte Wasser. Aber wie ich es schon nach meiner ersten Rede hier im Hohen Haus gefühlt habe, es funktioniert, auch wenn man am Tag vorher noch nicht so überzeugt davon ist. Das sind hier eine Menge neuer Herausforderungen, aber es macht auch Spaß. Und ich habe das Gefühl, die Leute sind jetzt nach der Wahl politisierter als noch vor der Wahl.