Auch Politikerinnen und Politiker müssen den Absprung schaffen.
Zwei Personalien wurden im Zuge der öffentlichen Diskussion um die geplante Große Koalition im Bund gerne diskutiert: zuerst der beabsichtigte Wechsel von Hamburgs Regierendem Bürgermeister Olaf Scholz auf die Position des Finanzministers und kurz danach die Ankündigung der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (Foto unten), Generalsekretärin der CDU werden zu wollen. Beide Entscheidungen haben bei Beobachtern Verwunderung ausgelöst, die letztere sicher mehr als die erstere.
Die dahinterstehende Frage – oder vielmehr das dahinter stehende Unverständnis – lässt sich in dürre Worte kleiden: Warum tun die sich das an? Beide haben einigermaßen komfortable, angesehene und in einer Politikerkarriere herausragende Positionen erreicht. Länderchefin beziehungsweise Länderchef – das kann nun nicht jeder für sich reklamieren. Vordergründig ist dieses Unverständnis nachvollziehbar. Wer einmal den klangvollen Titel eines Regierungschefs trägt, so nimmt man an, habe damit nicht nur den Höhepunkt der Laufbahn erreicht, in Ländern wie Hamburg oder dem Saarland erscheint auch die Wiederwahl – so beabsichtigt – durchaus gesichert.
Keine „komfortable“ Position als solche – die Verantwortung ist in jedem Falle immens und damit auch der Erwartungsdruck von Partei und Wahlvolk –, aber eigentlich nichts, worüber man sich beklagen könnte. Steckt also eine Krise dahinter? Eine tiefe Unzufriedenheit, die den riskanten Schritt aus der berühmten politischen „Comfort Zone“ rechtfertigt? Beide Kandidaten sind ja auch, mit Respekt, nicht mehr die allerjüngsten.
Richtig ist, dass bei vielen Angestellten, auch in führender Position, eine berufliche Krise, eine Frustration mit der bisherigen Tätigkeit zu der Frage führt, ob man noch einmal den Absprung und etwas Neues wagen möchte. Öfter lesen wir von den Geschichten, in denen aus gestressten Wirtschaftsprüfern plötzlich Ökobauern oder aus unterforderten Beamten Unternehmer wurden; sich Menschen noch einmal aufmachen, Pläne und Träume zu verwirklichen, die sie möglicherweise lange hintangestellt haben. In der Politik ist das nicht grundsätzlich anders. Wer aber mal diese Laufbahn eingeschlagen hat, denkt weniger darüber nach, Biobauer zu werden, sondern eher, welche Chance sich noch für einen weiteren Schritt ergibt, wenn man eigentlich alles erreicht hat.
Natürlich steckt überall Taktik dahinter. Olaf Scholz als Vertreter des eher konservativen Flügels der SPD, der kühle Rechner aus dem Norden als Finanzminister – damit kann man gleichermaßen beruhigen und einbinden. Und AKK als Generalsekretärin, das ist in den vergangenen Wochen schon durchanalysiert worden, ist plötzlich – wenngleich sicher nicht völlig unerwartet – die Kronprinzessin der CDU.
Bei beiden Persönlichkeiten kommt aber sicher noch ein anderer Aspekt hinzu: der der persönlichen Lebensplanung. Wer an einem – wenngleich sehr hohen – Punkt der Karriereleiter angekommen ist, steht vor einer einfachen Frage: War’s das jetzt? Kommt da noch was? Oder mache ich noch ein paar Jahre weiter, bis ich ehrenvoll in den Ruhestand gehe und für gute Honorare noch ein paar Reden halte oder mir die Zeit mit einem Aufsichtsratsposten versüße?
Natürlich beantwortet jeder diese Frage sehr individuell. Aber nach sieben Jahren auf dem besten Posten in Hamburg und im Saarland ist diese Überlegung berechtigt. Und ehe man selbst von wohlmeinenden Parteifreunden für zu alt gehalten wird oder für zu verschlissen, muss man den Absprung schaffen, um noch einmal zu wagen, wofür andere vielleicht nicht risikobereit genug sind: den nächsten Schritt zu gehen, noch einmal etwas anderes zu tun.
Eine sehr menschliche und nachvollziehbare Entscheidung. Wir alle stellen uns diese Frage sicher auch manchmal. Würden wir die Chance ablehnen, wenn sie sich uns bietet? Wenn wir dies mit „Nein!“ beantworten, sollten wir auch niemand anderem genau das vorwerfen. Egal, von welcher Partei er oder sie kommt. Und wer weiß: Aus mancher Veränderung ergibt sich ja auch eine Verbesserung – oft für alle Beteiligten.