Die Kulturhistorikerin Gabriele Oberhauser gründete zusammen mit ihrem Sohn, dem Unternehmer Martin Oberhauser, das Portal Literaturland Saar, eine Art Online-Lexikon für Autoren und deren Lebens- und Wirkungsorte im Saarland.
Das Gebäude in der Nauwieser Straße 7 ist ein schlichtes Haus. Auf blauen Leuchtschildern steht in weißer Schrift „Gasthaus Bingert". Es ist eine dieser guten, alten Kneipen, die ganz ohne Designermöbel auskommt. Nicht immer sieht man den Dingen ihren Wert an. Das Bingert zum Beispiel ist zu einem Stück saarländischer Literatur geworden. Das liegt am Wirt Ramazani-Mogghaddam. Geboren in Teheran, Doktor der Physik und ein Urgestein der Saarbrücker Kneipenszene. 2014 publiziert er im Eigenverlag „Ein Hauch Vergangenheit", ein Buch über die Seele der Nauwieser Kneipenkultur. Damit ist er im Internetportal Literaturland Saar gelistet – neben Hemingway und Hesse.
Die neue Webseite Literaturland Saar ist eines der modernsten Literaturportale. Eine Art Lexikon für Autoren und deren Lebens- und Wirkungsorte im Saarland. Im November 2017 wurde das Portal online geschaltet. Zwar sind erst Dreiviertel der Inhalte fertig, doch liegt es in der Natur der Sache, dass sie fortlaufend ist, denn Literatur bleibt nicht stehen.
Martin Oberhauser ist Kommunikationsdesigner und verantwortlich für die Umsetzung. Er will mit dem Image aufräumen, Literatur sei bloß für introvertierte Sonderlinge oder für ein akademisches Milieu interessant. Oder, auf der anderen Seite, für Kulturbanausen, die Bücher für Relikte einer vergangenen Zeit halten. Oberhauser glaubt nicht an eine solche Dichotomie. Allein die Wahl des Mediums spricht für sich. Kein dicker Schinken, nein, eine moderne Webseite, die versucht, sämtliche Stellen zu erfassen, an denen die Literatur das Saarland berührt. Sie nutzt Bilder, Ton und Texte, die einen nicht erschlagen. Die Webseite funktioniert intuitiv und man kann verschiedene Wege gehen.
Vor allem die Nebenwege sind spannend. Man steigt über einen Ort ein, erfährt Interessantes über Natur, Geschichte und Kultur, findet teilweise auch berühmte Autoren und landet bei so schönen Details, wie dass die Wandernetze im Bliesgau zum Teil nach Alfred Döblin benannt sind. Döblin war im Ersten Weltkrieg als Militärarzt in Saargemünd stationiert.
Die Anzahl der Querverweise und Verlinkungen ist enorm. Über 300 Personen sind registriert und alle 52 Gemeinden. QR-Codes, die man mit dem Handy von unterwegs scannen kann, sind ebenso geplant. „Wir wollen Literatur lebendig machen, auf die Straße und ins Land bringen. Literatur findet nicht nur zu Hause zwischen staubigen Bücherregalen statt. Auch wenn meine eigene Erfahrung erst mal zu dem Schluss kommen könnte. In meiner Erinnerung musste ich immer über Bücher klettern, um irgendwo im Haus hinzukommen", erzählt Martin Oberhauser.
Nun muss man wissen, dass seine Eltern kein unbeschriebenes Blatt in literarischen Kreisen sind. Machen wir einen Sprung zurück ins Jahr 1984. Fred Oberhauser und seine Frau Gabriele veröffentlichen den „Literarischen Führer durch die Bundesrepublik", der als „der Oberhauser" bekannt wurde und allein aufgrund seiner Fülle Anerkennung verdient – „lexikales Mammutwerk" titelt der Deutschlandfunk. Die literarische Topografie ist geboren. Welcher Autor hat was, wann und wo geschrieben, oder gelesen? Welche Werke haben welche regionalen Bezüge?
J.K. Rowling hat den ersten Harry-Potter-Band in einem Café in Edinburgh geschrieben, weil ihre Heizung kaputt war und sie zuhause fror. Das „Elephant House", jenes Café in der Altstadt von Edinburgh, ist zu einer Pilgerstätte geworden. „Um diesen Spirit geht es", sagt Martin Oberhauser.
2015 macht sein Vater bei einem Zeitzeugengespräch in Wadgassen die Idee für eine regionale Variante publik. Er ist damals 92 Jahre und natürlich denkt er an eine weitere Print-Publikation. „Was willst du denn mit einem Buch?", fragt ihn der Sohn. „Am Anfang war er skeptisch, dann wollte er das Buch wenigstens als Art Beipackzettel, am Ende hat er sich zum Glück für die digitale Variante überzeugen lassen", sagt Martin Oberhauser. 2016 stirbt Fred Oberhauser. Alle sind sich einig: Wir machen das – jetzt erst recht. Auch Ulrich Commerçon gefällt die Idee. Das Ministerium für Kultur und Bildung übernimmt den Löwenanteil der Kosten, die ME-Stiftung beteiligt sich, und natürlich die FBO, Agentur für Marketing und Digitales Business, deren Inhaber Martin Oberhauser ist. Der Rest ist privat finanziert. Ab dann geht es im Schweinsgalopp.
Neben den Oberhausers gibt es viele Gleichgesinnte, die mithelfen. Der Journalist Rainer Petto ist Mitherausgeber und schreibt über den Regionalverband Saarbrücken. Autoren wie Inge Plettenberg, Helmut Grein, Roland Schmitt oder Martin Baus bearbeiten jeweils verschiedene Landkreise. Gabriele Oberhauser ist für das St. Wendler Land zuständig und vollendet die Arbeit ihres Mannes, der zu Lebzeiten die Stadt St. Wendel übernommen hatte. Wer glaubt, das Saarland habe keine literarischen Koryphäen zu bieten, der irrt. Vielleicht ist es Zeit, diesem Image etwas entgegenzusetzen. Saarland, das Land, das ständig als absurde Vergleichsgröße für die Fläche abgebrannter Wälder oder gar als Witzobjekt Jan Böhmermanns herhalten muss. Saarland, das Land des Stahls, der IT – und der Literatur?
Da wäre etwa Elisabeth von Lothringen, verehelichte Gräfin von Nassau-Saarbrücken, die aus vier französischen Heldenepen des zwölften Jahrhunderts den allerersten deutschen Prosaroman formte. Da wäre Hermann Hesse, der im April 1912 eine Lesung in der Tonhalle Saarbrücken gab. Sie missglückte, weil das Publikum einen Komiker erwartete und von der Darbietung enttäuscht war. Da wären die bedeutenden zeitgenössischen Lyriker Johannes Kühn, geboren 1934 in einem idyllischen Dorf am Schaumberg oder Felicitas Frischmuth, gestorben 2009 in St. Wendel.
Das Literaturland Saar sei auch eine Einladung, auf Spurensuche in der Heimat zu gehen und nein, das ist kein Provinzialismus. Gerade das Saarland mit seiner Grenzgänger-Lage habe doch das Potenzial, Horizonte weit zu stecken. Es ist auch der Wunsch Martin Oberhausers, an grenzüberschreitenden Themen weiterzuarbeiten. Der Schriftsteller Gustav Regler, geboren in Merzig, musste als Nazi-Gegner ins Exil nach Frankreich fliehen. Seine Autobiografie „Das Ohr des Malchus" gilt als sein wichtigstes Werk und enthält so manche Beschreibung jenen Zwischenlandes. So aß er einst das Fallobst an der Grenze und fragte sich, ob der Apfel nun Französisch oder Deutsch sei. „Wir hielten die angebissenen Äpfel still vor unseren Mündern und sahen auf die Baumallee, die aus dem Unendlichen zu kommen schien und sich in das Unendliche fortsetzte."
Martin Oberhauser will mindestens zehn Jahre an dem Projekt weiterarbeiten. Eine Selbstverpflichtung. „Wer weiß, wie Literatur dann ausschauen wird und welche Medien wir benutzen werden. Aber eines ist sicher: Bücher lesen werden wir bestimmt."