Vor 20 Jahren entstand in Deutschland das erste Sanitätshaus speziell für Kinder. Die Dortmunder Firma „4ma3ma" baut Rollstühle in Klein – und hat damit eine Marktlücke entdeckt.
Der Rollstuhl aus Lego-Steinen sieht aus wie ein Spielzeug. So klein. So putzig. So bunt. Irgendwie auch zerbrechlich. Doch die Optik täuscht. Durch dieses Gefährt hat ein vierjähriges Mädchen den Weg in die Selbstständigkeit gelernt, ohne dass auch nur ein einziger Plastikstein herausgebrochen wäre. „Das war unser Prototyp", sagt Fabian Dirla. „Es hat allein 14 Stunden gedauert, die Lego-Steine zusammenzukleben. „Wir haben einfach mal losgelegt. Es gab zu dieser Zeit ja nichts anderes."
Zu dieser Zeit – das war 1997. Damals arbeitete Dirla noch in einem Sanitätshaus. Doch so sehr dem heute 44-Jährigen sein Job auch gefiel: Wenn es um die Betreuung von Kindern ging, stießen er und seine Kollegen regelmäßig an ihre Grenzen. „Die Kinderrollstühle, die es damals gab, waren im Grunde kleine Erwachsenen-Rollstühle. Allein die Schrauben, die darin verbaut sind, wiegen 1,5 Kilo." Dirla, der in seiner Freizeit Flugzeugmodelle baut, wollte es besser machen: leichter, handlicher, kindgerechter. Die Idee, Rollstühle speziell für Kinder zu produzieren, war geboren. Zusammen mit zwei Mitstreitern gründete er die Firma „4ma3ma" (Firma, drei Mann). Eine echte Marktlücke, wie sich schnell herausstellte.
Aus dem Drei-Mann-Betrieb ist inzwischen ein mittelständisches Unternehmen mit 50 Mitarbeitern geworden. Die Werkstätten verteilen sich auf mehrere Hinterhöfe in einem Dortmunder Wohngebiet; vor der Tür stehen Behindertenparkplätze bereit. Wer am Haupteingang klingelt, betritt einen Parcours, der einem Verkehrsübungsplatz ähnelt. Auf dem Boden sind Begrenzungsstreifen aufgemalt, eine Holzbrücke führt zu einem Zebrastreifen, hinter dem eine Kurve abbiegt. Erst danach kommt der Verkaufsraum. „Wir wollen sehen, wie sich die Kinder in ihren Rollstühlen bewegen", erklärt Dirla. Obwohl die Fortbewegung meist sehr einfach aussehe, gehöre viel Fine-Tuning dazu.
Farbe, Design, Griffe, Kopfstützen – alles kann je nach Wunsch und Körpergröße angepasst werden. Manche Kinder entscheiden sich für Tarzan-Motive, andere für Pferde oder den BVB. Den größten Unterschied zum Erwachsenen-Rollstuhl sieht Dirla in der Flexibilität: „Unsere Modelle sind in der Lage mitzuwachsen. Dadurch können sie unsere Kunden vier bis fünf Jahre behalten." Etwa 120 Rollstühle fertigt die Firma pro Jahr, wobei sich die Nachfrage ungleich verteilt. „In den Ferien kommen wir kaum nach, weil die Kinder dann frei haben", sagt Dirla. Da jedes Modell in Handarbeit hergestellt wird, seien mehrere Wochen Wartezeit nichts Besonderes.
Zwischen 5.500 und 10.000 Euro teuer
In der Werkstatt stellt Fabian Kortwittenborg (27) einen gebrauchten Rollstuhl auf den Tisch – Inspektion. Der Techniker wechselt die Achse, das Sitzbrett und das Rückenteil, damit der Rollstuhl seinem größer gewachsenen Besitzer weiterhin passt. Fast alles wird in den Dortmunder Werkstätten selbst gemacht: Die Mitarbeiter schneiden Teile zu, lackieren und laminieren sie. Nur einige Bauteile, zum Beispiel die Reifen, werden von Zulieferern eingekauft. „Die Arbeit macht wirklich Spaß", sagt Kortwittenborg, „denn die Kids sind immer superdankbar. Wenn sie ihren Rollstuhl bekommen, leuchten ihre Augen."
Auch ältere Patienten werden auf Wunsch weiterhin betreut. Zum Beispiel der 20-jährige Myron Hermann, der seinen Rollstuhl bei „4ma3ma" überprüfen lässt. „Du sitzt schief", sagt Fabian Dirla gleich zur Begrüßung. Ein Blick, eine Diagnose. Mit wenigen Handgriffen korrigiert der Rollstuhl-Experte den Winkel der Lehne, damit Myron wieder aufrecht sitzt. Der Kunde lacht: Mit dem gewarteten Rollstuhl kann es in den Urlaub gehen.
Zwischen 5.500 und 10.000 Euro kostet ein Kinderrollstuhl laut Angaben des Unternehmens. Laut AOK-Bundesverband gilt dabei das sogenannte Sachleistungsprinzip: Die Patienten suchen zusammen mit ihrem Arzt den passenden „Hilfsmittel-Erbringer" aus – meist sind das Sanitätshäuser –, und dieser wählt wiederum einen geeigneten Rollstuhl. „Er passt diesen an, weist das Kind und die Angehörigen in den Gebrauch ein und kümmert sich parallel um die Kostenübernahme durch die Krankenkasse", erläutert die AOK. In Zweifelsfällen werde der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu Rate gezogen, der dann eine „sozialmedizinische Empfehlung" abgibt. „Durch zahlreiche Sonderausstattungen sind die Rollstühle an nahezu alle Behinderungsarten anpassbar", beteuert die Krankenkasse.
Da Kinder nur einen sehr geringen Anteil aller Rollstuhlfahrer ausmachen, entscheiden die Krankenkassen individuell, ob sie die Kosten für das Hilfsmittel übernehmen, wie der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen auf Nachfrage bestätigt. „In der Regel klappt das ganz gut", sagt Fabian Dirla, „auch wenn es manchmal Ärger mit einzelnen Versicherungen gibt." Nur eines sollten Kunden auf keinen Fall vergessen, bevor sie einen Kinderrollstuhl in Auftrag geben: einen genauen Kostenvoranschlag für das neue Gefährt. Sonst endet die Fahrt, bevor sie richtig begonnen hat.