Die Ära der ästhetischen Boliden ist vorbei. Fahrer und Fans müssen sich an Rennwagen mit einem Käfig um das Cockpit gewöhnen. Der Halo soll das Leben der Fahrer noch sicherer machen und ihre Überlebenschance um 17 Prozent erhöhen.
Motorsport ist gefährlich, steht auf jeder Eintrittskarte. Der Automobil-Weltverband bemüht sich nach Kräften, das Unfallrisiko seiner Piloten so gering wie möglich zu halten. Mit Beginn dieser Saison soll dem Cockpit-Schutz Halo eine besondere Bedeutung zukommen. Entscheidend für eine ganz bedeutende Maßnahme war der Unfall des Formel-1-Piloten Jules Bianchi. Der 25-jährige Franzose kam am 5. Oktober 2014 beim Japan-Grand-Prix in Suzuka auf regennasser Fahrbahn von der Strecke ab und prallte in das Heck eines Traktors als Bergungsfahrzeug. Nach neun Monaten im Koma erlag Jules Bianchi am 17. Juli 2015 in einem Krankenhaus von Nizza seinen Verletzungen. Ein weiterer schwarzer Tag war der 19. Juli 2009. Henry Surtees, Sohn des legendären Motorrad- und Formel-1-Weltmeisters John Surtees, ist bei einem Formel-2-Rennen in Brands Hatch tödlich verunglückt. Ein herumfliegendes Rad traf den 18-Jährigen am Kopf. Der britische Nachwuchspilot verlor sofort das Bewusstsein und verstarb wenige Stunden später in einem Londoner Krankenhaus. Eine Woche später kam der Brasilianer Felipe Massa auf dem Hungaroring in Ungarn gerade noch mit dem Leben davon. Den Ferrari-Piloten traf eine Stahlfeder am Helm.
Diese Unfälle beschleunigten die Sicherheitsverbesserungen der FIA für den Kopf der Piloten enorm. Die FIA sah sich gezwungen, die Sicherheit zu verbessern, will sie künftige Risiken minimieren oder gar ausschließen. Die Angst vor Klagen wie im Fall der Eltern von Bianchi bleibt haften. Der Cockpit-Schutz stand ganz oben auf der Sicherheitsliste.
„Nachdem wir in den vergangenen fünf Jahren eine Vielzahl von Geräten entwickelt und ausgewertet hatten, war klar, dass der Halo die beste Gesamtsicherheit bietet“, teilte die FIA in einer Pressemitteilung mit. Der Halo sei der einzig ausgegorene Schutz für die bis jetzt einzige ungeschützte Stelle des Fahrers – den Kopf.
„Halo bietet die beste Gesamtsicherheit“
Der Kopfschutz basiert auf einem ringförmigen Bügel, der mittig an einer Strebe des Rennwagens fixiert ist und sich über den Helm des Piloten spannt. Die Vorrichtung ist so geschaffen, dass sie extremen Kräften widerstehen kann. Dazu gehören unter anderem der Aufprall von Fahrzeugteilen oder Reifen, die den Fahrer schwer verletzen oder gar töten könnten, falls der Pilot am Kopf getroffen wird. Sollte ein Wrackteil frontal auf den Schutz prallen, hält der Halo eine Belastung von bis zu 83 Kilonewton aus. Weiter heißt es, dass Halo es schafft, bei einer seitlichen Belastung sogar 93 Kilonewton wegzustecken. Somit hält der Cockpit-Schutz mehr aus, als die Überrollbügel in den vergangenen Jahren. Ziel der Sicherheitsmaßnahme ist es, den Aufprall eines Objekts mit einem Gewicht von rund 20 Kilogramm – so viel bringt ein Reifen auf die Waage – bei 225 Stundenkilometern auszuhalten. Laut einer FIA-Studie soll die Überlebenschance durch den Halo in verschiedenen Unfallszenarien um 17 Prozent steigen. Der Kopfschutz bringt aber auch einen Nebeneffekt mit sich. So steigt das Mindestgewicht der ohnehin schon schweren Boliden um fünf auf 733 Kilo. Unabdingbare Konsequenz: Die Fahrer müssen wieder mehr auf ihr Gewicht achten.
Die Reaktionen vor Einführung des Cockpit-Schutzes waren gespalten. Vor allem aus optischen Gründen hatte das System Kritik hervorgerufen. Fahrer und Teams waren von dem Käfig mit dem unästhetischen Titanbügel über dem Cockpit nicht begeistert und lehnten ihn ab. Sie hatten nur noch Spott und Hohn für die unförmige Schutzmaßnahme übrig. „Ich denke, die Ära der gutaussehenden Autos ist vorbei. Mit der Ästhetik geht es bergab“, äußerte sich Mercedes-Star und Vierfach-Champion Lewis Hamilton. Der britische Kommentator und ehemalige Formel-1-Pilot Martin Brundle spottete nach einer ersten Besichtigung der Formel-1-Autos Jahrgang 2018 in einer Formel-1-Fabrik: „Solch potthässliche Autos habe ich noch nie gesehen.“
Mit der Unterstützung der Teams wurden „bestimmte Merkmale beim Design noch verbessert“, teilte die FIA mit. Am Ende stand die Fahrergewerkschaft aber hinter der Entscheidung der FIA. „Wir Fahrer respektieren den Standpunkt der FIA in Sachen Sicherheit und unterstützen ihr fortwährendes Bestreben, den Rennsport sicherer zu machen“, so der Vorstandsvorsitzende, Ex-Formel-1-Pilot Alexander Wurz.
Als einzig gut durchdachter Schutz für die Fahrer hat es diese Vorrichtung in die engere Auswahl von mehr als zehn verschiedenen Varianten geschafft. Sebastian Vettel hatte das Konkurrenzsystem „Shield“ in Silverstone im freien Training zum Großen Preis von Großbritannien getestet. Es hinterließ aber keinen guten Eindruck. Der Ferrari-Star kam nach nur einer Runde mit der Schutzscheibe zur Box zurück. Er klagte über Schwindelgefühle und beklagte die schlechte Sicht: „Wir hatten geplant, länger damit zu fahren. Doch durch den Blick durch das Glas wurde mir etwas schwindelig, und wir haben es wieder runtergenommen.“ Vettel weiter: „Das Ein- und Aussteigen ist etwas schwieriger, aber das ist reine Gewöhnungssache. Gravierender: Die Sicht nach vorne ist verzerrt. Weil die Scheibe gebogen verläuft, wurde mir schwindelig.“ Um Probleme wie Ölschlieren zu umgehen, waren sogar Abreißvisiere für die Formel-1-Windschutzscheibe geplant worden.
Ein anderes System, der „Aeroscreen“, von Red Bull in Eigenregie entwickelt, war der große Konkurrent von Halo. „Eigentlich wäre der Aeroscreen der beste Schutz, weil er ein Halo mit einer Scheibe ist, die auch kleinere Teile abhalten kann“, erklärte ein Sicherheitsdelegierter. Weiter heißt es: „Aber strukturell ist der Aeroscreen noch nicht stark genug, um einen herumfliegenden Reifen abzuhalten. Die Entwicklung geht hier weiter, vielleicht schafft er das ja in Zukunft.“
Formel-1-Pilot Nico Hülkenberg aber sieht die Verpflichtung des Cockpit-Schutzes als wenig förderlich. „Ein schwerer Schlag für die Attraktivität“ sei der elf Kilogramm schwere Bügel aus Titan: „Nicht nur, weil es blöd aussieht, sondern die Wahrscheinlichkeit minimal ist, dass ein Unfall passiert, bei dem Halo wirklich hilfreich ist“, so die Meinung des Renault-Piloten. Überhaupt ist für den 30-Jährigen vom Niederrhein immer eine Prise Gefahr im Spiel, die essenziell von der Formel 1 ausgeht. Und so bekennt er: „Motorsport lebt von der Geschwindigkeit, dessen sind sich alle Fahrer bewusst, und wir sind uns einig, dass es nicht gut ist, die Formel 1 zunehmend durch Regeln und Sicherheitsmaßnahmen zu sterilisieren. Das ist gegen die Natur des Sports.“