La Réunion heißt übersetzt so viel wie Insel der Zusammenkunft. Sehr passend, denn die französische Vulkaninsel bietet auf wenigen Kilometern einen bunten Mix aus exotischen Landschaften und unterschiedlichen Kulturen.
Plötzlich stehen wir vor einem merkwürdigen Schild. Es zeigt einen Kegel, aus dem eine Art Geweih zu wachsen scheint. Seine rote Signalfarbe ist weit und breit das einzige, das sich vom Grau der Umgebung abhebt. Das Schild muss ein Hinweis auf unser Ziel sein: den Piton de la Fournaise. Ein 2.632 Meter hoher Vulkan, der offenbar recht temperamentvoll ist, denn das Piktogramm zeigt bei näherem Hinsehen doch kein Geweih. Vielmehr handelt es sich wohl um flammende Lavaströme.
Als wir wenig später unser Fahrzeug am Pas de Bellecomb verlassen, mag der Vormittag seine Geheimnisse immer noch nicht preisgeben. Also bahnen wir uns unseren Weg durch die tief hängenden Schwaden, bis wir vor einem Abgrund stehen. Bei anhaltend schlechter Sicht steuern wir auf eine Treppe zu, die hinunterführt. Wohin, können wir nicht sehen.
Nach rund 20 Minuten ist das Ende des steilen Weges erreicht. Bald laufen wir über versteinerte Lava, aus deren verspielten Formationen nur gelegentlich karges Gestrüpp emporragt. Ein weiteres Schild bemisst die mutmaßliche Dauer der Wanderung bis zum Gipfel auf rund drei Stunden. Wir folgen den weißen Markierungen, die sich auf dem Gestein befinden.
Noch mit gesenkten Köpfen merken wir, wie es auf einmal hell wird. Innerhalb von Sekunden reißt der Himmel auf. Vor unseren Augen öffnet sich eine Landschaft. Eine Mondlandschaft, um genau zu sein. Und in deren Mitte erhebt sich ein überraschend kleiner Krater. Leicht irritiert machen wir uns mit der Umgebung vertraut.
Erst als sich die Augen an die neue Situation gewöhnt haben, schwant uns, dass dies hier vor uns nicht der einzige Vulkankegel ist: In unweiter Ferne befindet sich eine weitere Erdöffnung. Und ganz hinten am Horizont, ja das muss das Ziel der Wanderung sein.
Nach der Exkursion in die Mondlandschaft fahren wir zurück in Richtung Inselmitte. Dabei entdecken wir schnell, dass klare Sicht auch hier ihre Vorzüge hat. An den Hängen stehen knorrige Akazien. Dahinter baut sich am Horizont der Piton du Neige auf, der höchste Berg der offiziell zum französischen Überseeterritorium gehörenden Insel.
Am nächsten Tag entscheiden wir uns für ein Kontrastprogramm. Wir besuchen Patrick Fontaine, der bei Saint Philippe einen Garten der Düfte und Gewürze unterhält. Schon am Vormittag ist es schwülwarm hier – der Nährboden für eine üppige Vegetation. Fontaine begleitet uns über einen Parcours, der an Pfeffer-, Nelken und Zimtbäumen vorbeiführt. Bald sehen wir Mangos, Vanille und Litschi. Dann tropische Blumenmeere. Und schließlich nimmt ein mächtiger Würgebaum unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. „Früher“, sagt Fontaine, „sahen weite Teile der Küsten auf Réunion so aus“. Damit das zumindest hier auch in Zukunft so bleibt, lehnt er alle noch so verlockenden Kaufangebote für sein Anwesen ab.
Gefahr aber droht der Insel nicht nur durch Investoren. Als wir von unserem gestrigen Ausflug schwärmen, berichtet Fontaine: „Keine zehn Kilometer von hier hat die Lava 2007 einen ganzen Landstrich verwüstet.“ Die Küstenstraße eingeschlossen. Und das Meer habe gebrodelt, als die heißen Gesteinsmassen dort hineingeflossen sind. Sein im Südosten des Eilands gelegenes Kleinod aber blieb verschont. Und so kann er wie eh und je Besucher durch den 14 Hektar großen Garten führen. Nach dem Farbenreichtum der tropischen Gärten können sich die Augen am Strand von Saint Paul erholen. Der nämlich ist schwarz – der allgegenwärtigen Lava sei Dank. Damit steht er in schrillem Kontrast zum Markt auf der angrenzenden Promenade, wo sich rote Chilischoten, Koriandergrün und saftige Früchte auftürmen. Ein guter Ort auch, um das kreolische Fastfood zu verkosten: Samosas, mit Fisch oder Gemüsecurry gefüllte Teigtaschen.
Schwarzer Lavastrand
Nach diesem Abstecher in den Nordwesten nehmen wir Kurs auf die Route National 5. Diese schlängelt sich über 35 Kilometer in den Cirque de Cilaos, einem von drei Talkesseln auf der Insel. Nach erstaunlichen 432 Kurven und manch atemberaubender Aussicht ist das gleichnamige Bergdorf erreicht. Es ist der perfekte Ausgangspunkt für die Erkundung der schroffen Bergwelten, die im Gegensatz zum Piton de la Fournaise mit einer üppigen Vegetation gesegnet sind. Das abgelegene Dorf mit seinen knapp 6.000 Einwohnern zeigt bis heute seine kreolischen Ursprünge: Arabische, indische, afrikanische und europäische Einflüsse sind hier auf friedliche Weise miteinander vereint. Wir bleiben ein paar Tage, um auf den vielen Wanderwegen die Abgeschiedenheit und die schroffe Natur zu genießen.
Zum Abschluss unseres Aufenthalts fahren wir zurück nach Saint Paul, wo wir uns einen Luxus gönnen: Mit dem Sonnenaufgang finden wir uns auf einem kleinen Flugplatz ein, wo wir Serge Farci treffen. Der Pilot wird uns die Insel von oben zeigen – an Bord eines Ultraleichtflugzeugs. Die Witterung gestattet den Start, und schon bald befinden wir uns erneut über dem Talkessel von Cilaos. Mit dem winzigen Fluggerät steuert Farci direkt auf eine Felswand zu, über deren Rand wie eine zähe Melasse die Wolken hinwegziehen. Erst im letzten Moment gewinnen wir an Höhe.
Nach einigen Minuten dann kommt „Le Volcan“ in Sicht. Aus dieser Perspektive ist die diesmal wolkenlose Mondlandschaft noch überwältigender. Der kleine Krater, den wir dort unten erklommen haben, wirkt im Vergleich zur gewaltigen Erdöffnung an der Bergspitze nur mehr wie ein Krümel. So wie die ganze Insel aus der Vogelperspektive den Eindruck erweckt, als wäre sie bei einer Art Bleigießen entstanden.
Dabei scheint sich ein ganzer Kontinent formiert zu haben – auf nur wenigen Quadratkilometern mitten im Indischen Ozean. Mit Bergen, Schluchten, Talkesseln und Hochebenen, mit Lagunen und Stränden, die keineswegs alle schwarz sind, und mit einem stattlichen Vulkan. Da ist es nur passend, dass auf La Réunion so viele Kulturen zusammenleben.