Claudia Michelsen spielte vor zwei Jahren eine der Hauptrollen in der preisgekrönten Historienserie „Ku’damm 56". Auch in der Fortsetzung „Ku’damm 59" ist Michelsen als überaus strenge Tanzschulbesitzerin wieder dabei. Die 49-Jährige spricht im Interview über das Gesellschaftsbild der Zeit, die Entwicklung ihrer Rolle und ihre Schauspielerei im Allgemeinen.
Frau Michelsen, wie war es, noch einmal in die Rolle der strengen Mutter und Tanzschulechefin Caterina Schöllack zu schlüpfen?
Ich war ein bisschen nervös, weil es eine Figur ist, die doch sehr eng und festgezurrt agiert, eine Frau aus einer anderen Zeit. Man erfindet eine Figur und muss sie zwei Jahre später weitererzählen. Ob man diesen Spirit wieder einfängt, weiß man vorher nicht. Aber die Autorin Annette Hess ist da auch eine große Hilfe. Sie schenkt einem immer wieder Situationen, in denen man sich wiederfinden kann. Es gab zudem auch kleine neue Herausforderungen für Caterina Schöllack. Und natürlich ist auch die Wiederherstellung rein äußerlicher Umstände hilfreich. Kostüm, Maske und das „nach Hause" kommen gemeinsam mit den Kollegen. Dann geht‘s manchmal wie von allein.
Caterina Schöllack sagt: „Die Frau hat sich dem Ehemann unterzuordnen, alles andere ist gegen die Natur". Macht es Ihnen Spaß, solche krassen Sätze zu sprechen?
Solch ein Satz bildet ja in gewisser Weise auch die Gesellschaft ab, erzählt vieles oder lässt wenigstens erahnen, wie es damals war. Er macht auch das Korsett, in dem sich die meisten Frauen bewegt haben, sehr deutlich. Das Schöne an den Büchern ist, dass innerhalb einer Familie versucht wird, ein ganzes Gesellschaftsbild aufzuzeigen.
Wie gut wussten Sie Bescheid über die 1950er-Jahre in Deutschland?
Ich hatte mich vorher kaum mit dieser Zeit beschäftigt. Man muss es den Produzenten Nico Hofmann und Benjamin Benedict und natürlich auch Anette Hess zugutehalten, dass sie uns die Möglichkeit geben, in diese Zeit zu reisen. Das Fernsehen hat viel aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, der Wendezeit und der Zeit des Mauerfalls erzählt. Aber die 50er- oder 60er-Jahre sind noch nicht wirklich entdeckt worden. Und schon gar nicht mit vier Frauen im Zentrum.
Hat diese Rolle Sie schauspielerisch an Ihre Grenzen geführt?
(lacht) Ich weiß oft gar nicht, wo meine Grenze ist. Ich spiele diese Figur so, wie ich sie spüre und denke. Das mache ich aber gerade auch bei so einer Figur nicht alleine, ich arbeite eng und schon sehr lange mit meiner Maskenbildnerin zusammen. Das Kostüm ist wichtig. Auch gab es im Vorfeld natürlich Gespräche mit der Autorin und der Regie, um diese Figur zu finden. Für mich war sie immer eine Frau in Not. Das hat mich interessiert und ich hoffe, dass wir Sie in den neuen Folgen ein wenig mehr abholen können. Wir werden sehen.
Was interessiert Sie an dieser Figur?
Warum ist sie so wie sie ist? Sie wurde ja nicht so geboren. Was ist ihre Geschichte? Ich muss die Caterina verstehen, sonst kann ich sie nicht erzählen. Einfach nur eine „böse" Mutter zu spielen, würde mich langweilen. In den ersten drei Folgen hatte sie wenige Momente, die das zugelassen haben. Man muss jede einzelne Figur entdecken dürfen, nur dann wird es spannend. Unabhängig davon, dass sie auch eine Funktion für die Hauptfigur Monika hat. Sie steht im Zentrum.
Worin liegt ihre Zartheit und Verletzlichkeit?
Natürlich bleibt sie ihrer soldatischen Art treu, aber sie kommt emotional ins Wanken, das war meine Bitte an Anette Hess. Dadurch lernt sie am Ende von ihrer Tochter Monika, der modernsten Figur.
Ist das Eintauchen in diese Figur ein komplizierter Vorgang?
Ich kann Ihnen das gar nicht beschreiben, weil ich auf diese Figur ganz anders schaue. Sie liegt erst einmal schwarz auf weiß vor. Ich lese das Drehbuch und entwickle dazu eine Fantasie. Schritt für Schritt für Schritt. Diese Figur ist ein Zusammenspiel von vielen Dingen, sie entsteht nicht bei mir zu Hause im stillen Kämmerlein. Ich bin auf der Suche. Ich weiß auch erst einmal nur das, was im Buch steht und habe vielleicht eine Ahnung. Und manchmal möchte ich vorher auch gar nicht alles wissen. Vielleicht ist das ja wie beim Malen eines Bildes.
Wie nah ist Ihnen Caterina Schöllack?
Wahrscheinlich mal sehr nah und dann wieder weit entfernt. Eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern in den 50er-Jahren! Das ist heute noch enorm schwer, teilweise sogar unmöglich für Frauen, weil zu wenige unterstützt werden. Damals gab es aufgrund des Männermangels viele alleinerziehende Mütter. Da findet Caterina Schöllack selbst als Frau ja gar nicht statt. Es geht in erster Linie um die Mädchen, diese unter die Haube zu bringen, sie versorgt zu wissen. Das war das Ziel, wie auch immer.
Sind Sie am Set immer sehr beherrscht oder kennen Sie auch Gefühlsausbrüche à la Kinski?
Nein, das kenne ich nicht. Eher läuft es ruhig ab.
Heinz Rühmann sagte, Angst sei gut in diesem Beruf. Gehe sie verloren, sei das ein schlechtes Zeichen. Konnten Sie sich Ihre Angst bewahren?
Angst ist ein sehr großes Wort. Sie schützt uns vor gefährlichen, dummen Dingen. Wenn wir keine Angst hätten, würden wir aus dem Fenster springen. Die Vernunft gebietet es uns aber, es nicht zu tun. Angst kann auch sehr wichtig und positiv sein. Sie ist aber nicht mein Antrieb. Meine Partner sind eher Neugier und positive Zweifel.
Fanden Sie es spannend, einmal in die Showbranche der 50er-Jahre einzutauchen?
So viel habe ich mich damit gar nicht beschäftigt. Ich habe aber als Kind sehr viele alte Filme geguckt. Bei uns in Dresden konnte man kein Westfernsehen empfangen, weshalb ich irgendwann nur noch ins Theater gegangen bin. Das war politisch und zugleich spannend. Aber jeden Montag sendete das DDR-Fernsehen alte UFA-Filme. Die zeigten eine märchenhafte, heile Welt. Das Schlimmste, was darin passieren konnte, war Herzschmerz. In der Nachkriegszeit wollten die Menschen nichts Dunkles sehen. Dadurch hat mich die Welt der 50er-Jahre etwas verspätet begleitet. Aber die Showbranche dieser Zeit würde mich nicht interessieren.
Wie authentisch ist die Figur des Regisseurs Kurt Moser, dargestellt durch Ulrich Noethen? Haben Sie solche Leute noch kennengelernt?
Nein, dazu bin ich zu jung. Als ich anfing, gab es noch die DEFA. Mein erster Film war „Die Besteigung des Chimborazo" mit Jan Josef Liefers unter der Regie von Rainer Simon. Da war ich 17 oder 18. Dieses Machogehabe habe ich erst später erlebt.
Waren Sie als Heranwachsende ähnlich aufmüpfig wie Ihre Filmtochter Monika?
Monika ist ja aus heutiger Sicht nicht aufmüpfig, sondern eine moderne junge Frau, die für sich und ihre Rechte kämpft. Damals schwer und fast unmöglich. Ja, ich hatte kraftvolle Phasen. Wenn mir gesagt wurde „So machen wir das", hatte ich das Bedürfnis, mich dagegen zu positionieren. Das hatte natürlich auch etwas Trotziges. Ich war 20, als die Mauer fiel und bereits über ein Jahr an der Volksbühne engagiert. Das hat mein politisches Bewusstsein geschärft. Ich habe mich für diesen Beruf auch aus einem politischen Beweggrund heraus entschieden. Ich dachte: Man muss etwas tun in diesem Land, sonst kann man es nicht aushalten. Und Kunst schafft das.
Hat Kunst heute noch die Kraft, die Gesellschaft beziehungsweise die Verhältnisse zu verändern?
Teilweise ja. Vielleicht auch, weil ich das einfach glauben möchte. Aber vielleicht nicht mehr mit dieser Kraft, die es damals gebraucht hat. Meine Helden sind jetzt Menschen wie Bernd Siggelkow, der das christliche Kinder- und Jugendhilfswerk „Die Arche" gegründet hat. Was diese Leute jeden Tag leisten, ist stärker als vieles. Tausende Kinder jeden Tag von der Straße zu holen ist der Versuch, etwas zu ändern.
Suchen Sie immer nach Figuren, die eine Haltung haben?
Jede Figur hat ja im Grunde eine Haltung zu den Dingen. Aber Sie meinen, was bewirkt jetzt „Ku’damm 59"? Es ist eine Geschichtsreise, aber vor allem auch erst einmal Unterhaltung.
Produzent Nico Hofmann erwähnte, seine Studenten hätten den Film für reinste Fiktion gehalten und dachten, er hätte nichts mit dem
Deutschland der 50er-Jahre zu tun. Insofern vermittelt „Ku’damm 59" schon auch ein Geschichtsbild.
Da haben Sie recht. Ich finde es erschreckend, wenn Filmstudenten so etwas passiert. Aber man kann es ihnen nicht verübeln. Das Wichtigste in diesem Beruf ist, neugierig zu bleiben im tagtäglichen Umgang mit den Geschichten der Leute, die einem begegnen. Neugier ist essenziell.
Letzte Frage: Was hat Caterina Schöllack den Frauen von heute noch zu sagen?
Ich hoffe, nichts. Das ist eine sehr unfreie Figur, gefangen in ihrem eigenen Korsett. Natürlich müssen sich heutige Frauen in bestimmten Strukturen und Positionen so und so verhalten, damit sie anerkannt werden.
Obwohl die 50er-Jahre erst sechs Jahrzehnte zurückliegen, haben wir schon sehr viel erreicht. Ich bin froh, dass es heute eine Frau in dieser Not in unserem Land nicht mehr gibt. Aber trotzdem gibt es noch viel zu tun.