Johanna Penski hat es geschafft, wenn auch spät. Mit 60 Jahren hängte sie ihren Job als Sportlehrerin an den Nagel. Seitdem ist sie Deutschlands wohl bekannteste Komparsin und startet mit mittlerweile 90 Jahren noch mal richtig durch.
Lassen Sie mich durch, ich habe da unten einen Job zu erledigen!" Johanna Penski steht im Blümchenkleid vor einem abgesperrten U-Bahnhofzugang am Platz der Luftbrücke im Berliner Bezirk Tempelhof. Anschließend macht die 90-Jährige den Sicherheitsleuten eine klare Ansage: „Mein Dreh beginnt in zehn Minuten! Sie kennen mein Gesicht doch bestimmt aus dem Kino oder dem Fernsehen?" Dann lächelt Deutschlands wohl bekannteste Filmkomparsin. Prompt wird das orange-weiße Flatterband zu Boden gelassen und Johanna Penski schreitet zu Gleis eins. Hier dreht die alte Dame heute einen Werbespot. „Business as usual", scherzt Johanna.
Von Nervosität ist bei der 90-Jährigen nichts zu spüren. Ein kurzer Plausch mit Regisseur Jörg – Johanna: „Der hat mit mir schon für die Telekom gedreht." –, ein Lächeln für Kameramann Erasmus – Johanna: „Den mag ich ja so gerne, weil er so professionell ist." –, anschließend ein Schluck Tee aus der mitgebrachten Thermoskanne. Dann fährt Johanna Penski mit ihrer rechten Hand gekonnt durch ihre schneeweißen Haare. „Ich liebe einfach diese Atmosphäre beim Filmdreh. Alle sind hoch konzentriert und gleichzeitig so nett. Gesiezt hat mich hier auch noch nie jemand. Da fühle ich mich jung."
Johanna Penski setzt sich auf eine historische Wartebank am Bahngleis. Drei große Scheinwerfer beleuchten die Bank, Kameramann Erasmus kniet hinter einer Kamera auf Schienen. Regisseur Jörg gibt Johanna letzte Anweisungen: „Du springst auf und bleibst dann vor der U-Bahn stehen. Und siehst den Mann. Er sieht noch genauso aus wie du vor 30 Jahren, als du ihn das letzte Mal gesehen hast."
Bis jetzt über 870 Filmauftritte
Dann ist die Filmcrew einsatzbereit: Die Scheinwerfer werden heller gedreht, die Kamera läuft. Höchste Konzentration auch bei Darstellerin Johanna Penski. Sie setzt sich wieder auf die Bank und schaut sehr gekonnt verträumt auf die Gleise. „Okay! Und ab!"
Die Aufnahmen im U-Bahnhof sind für einen Kino-Werbespot. Ein neues Magazin für Jung und Alt soll beworben werden. Eines der Gesichter der Kampagne: Johanna Penski. Ihr Gesicht ist schmal und faltig, die Haare schneeweiß. Ihr Markenzeichen: Ein freches, sympathisches Dauerlächeln – ungewöhnlich für eine Frau dieses Alters, die mittlerweile dreifache Ur-Oma ist.
Johanna ist die wohl älteste und bekannteste Komparsin im deutschen Film. Die 90-Jährige spielt demnächst in ihrem 870. Film mit. Manchmal kann das ganz schön anstrengend sein, selbst wenn sie keinen Sprecherpart hat. „Ich war schon zwölf Mal ’ne Leiche". Johanna muss lachen: „Einmal haben mich drei Feuerwehrleute aus einem Müllcontainer geholt. Aber den haben sie vorher Gott sei Dank saubergemacht." Gestunken habe es trotzdem. „Aber so ist das halt beim Film."
Ob als Leiche im Müllcontainer oder als gealterte Gangsterbraut – Johanna Penski schlüpft in viele Rollen. Sie war sowohl bei großen Produktionen wie Wim Wenders „Der Himmel über Berlin" dabei als auch bei der RTL-Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten" oder Til Schweigers „Zweiohrkücken". Weitere Stationen ihrer Karriere als Film-Oma: Zahlreiche Auftritte im „Tatort" und ein Werbespot für die Telekom. Der sei etwas ganz Besonderes gewesen. „Der Spot hat mich als Komparsin beim Film mit meinem Namen vorgestellt."
Dabei hat ihre Karriere beim Film erst mit 60 Jahren begonnen. 1988 ging die Sportlehrerin in Frühpension. Einen Tag später erfüllte sie sich einen Jugendtraum, stellte sich beim Künstlerdienst des Arbeitsamtes vor. „Filme und deren Produktion haben mich schon immer fasziniert." Nur von der Schauspielerei zu leben – das war ihr aber als junge Frau zu unsicher.
Wenige Tage nach dem Besuch bei der Künstlervermittlung wurde sie engagiert.„Der erste Film für mich, der hieß ‚Der Spatzenmörder‘. Das war der allererste Film von der Produktion Ziegler. Und ich war dabei."
Johanna Penskis Augen leuchten, wenn sie von ihrer späten Filmkariere spricht. Damit sie nichts vergisst, führt sie genauestens Buch über alle Begegnungen mit den Kino- und TV-Stars. „Das dicke DIN-A4-Buch ist fast vollgeschrieben." Auf die Seite der Guten hat es Til Schweiger geschafft. Er überraschte sie zum Geburtstag mit einer Flasche Champagner. „Als mir mal kalt war, hat er mich dann noch mit seiner Strickjacke gewärmt."
Ihr Favorit unter Deutschlands Regisseuren ist Wim Wenders. „Das vergesse ich dem Wim Wenders nie. Wir standen alle an für ein Essen und wir Komparsen kommen ja immer als letzte dran. Da habe ich mich ganz hinten angestellt. Auf einmal kam er an und sagte: ‚Na, was machst du hier hinten?‘ Da hat er mich genommen und ganz nach vorne gebracht."
Probleme gab es allerdings mit Dieter Hallervorden. „Der war beim ersten gemeinsamen Dreh distanziert und irgendwie arrogant", erinnert sich Johanna. „Der hat mit niemandem gesprochen." Auch das hat sie in ihrem Notizbuch notiert, allerdings weiter hinten. „Man will den Leuten ja auch nicht zu nahe treten. Man weiß ja nicht, was der an dem Tag hatte. Vielleicht hatte er Bauchschmerzen oder Streit mit seiner Frau."
Zurück zum Dreh im U-Bahnhof: Die Szene mit Johanna muss nur drei Mal wiederholt werden. Dann ist die Szene zwischen zwei alten Freunden, die sich 30 Jahre nicht gesehen haben, „im Kasten". Gedauert haben die Dreharbeiten trotzdem fast drei Stunden. Johanna Penski: „Das Problem war ja, dass mein Ex-Freund immer mit der U-Bahn vorfahren musste. Und da musste er immer wieder mit der Bahn eine Station zurückfahren, da umsteigen und wieder hierherkommen. Das ist komplizierter, als man denkt." Außerdem sei der U-Bahnverkehr wegen einer Weichenstörung für fast eine Stunde eingestellt worden, ergänzt Regisseur Jörg Wagner. Am Ende ist der Kölner Filmemacher trotzdem mit den Bildern und Film-Oma Johanna hochzufrieden: „Es ist unglaublich, dass sie trotz ihres Alters noch diese Geistesgegenwart hat. Man kann mit Johanna unglaublich gut arbeiten." Die Kamera liebt die rüstige Seniorin und sie liebt die Kamera.
Die Kamera liebt die Seniorin und umgekehrt
Ans Aufhören denkt Johanna trotz ihrer 90 Jahre noch lange nicht und schmiedet jede Menge Pläne „Ich filme so lange, bis sie sagen: Nee, Johanna. Jetzt wollen wir dich nicht mehr." Damit sie dafür fit bleibt, hat sich Johanna ein ausgeklügeltes Programm ausgedacht: „Ich mache jeden Tag Gymnastik. Das hält die Knochen und Muskeln in Schuss." Außerdem auf dem Programm: rückwärtsgehen. Damit koordiniere sie Gleichgewichtssinn und Körperspannung. „Meine Nachbarn schauen mich zwar manchmal ganz schön komisch an, wenn ich so um den Block laufe. Aber es bringt mich echt weiter. In meinem Alter muss man sich eben etwas einfallen lassen." Gelernt habe sie diese Tricks alle in ihrer Zeit als Sportlehrerin, also vor ihrer Filmkarriere.
Dass sie tatsächlich noch fit ist, stellt sie jeden Tag unter Beweis: Johanna Penski lebt alleine in einer kleinen Wohnung. „Da wohne ich schon seit mehr als 30 Jahren, kümmere mich nach wie vor um alle Dinge des täglichen Lebens." Lediglich das Buchen ihrer zahlreichen Termine hat sie an ihren Sohn abgegeben. „Im Alter vergisst man ja schon mal das ein oder andere."
Und Sohn Achim hat einen weiteren Job übernommen: Er archiviert Johannas Film- und Fernsehauftritte. „Das macht man ja mittlerweile ausschließlich digital. Von Computern habe ich keine Ahnung." Da verwundert es nicht, dass Johanna kein Handy besitzt. „Wer mich buchen will oder irgendetwas anderes von mir will, muss entweder über meine Agentur gehen oder mich übers Festnetz anrufen." Und das Telefon in ihrer Wohnung klingle häufig.
Bei all der vielen positiven Kritik, dürfte das nächste Angebot für eine Komparsenrolle schon bald kommen. Johanna Penski jedenfalls hätte da schon ganz genaue Vorstellungen. Am liebsten wäre ihr eine Rolle als Hauswartsfrau: „Das macht mir immer wahnsinnig viel Spaß. In die Rolle der Hauswartsfrau kann ich mich so richtig reinlegen."