Das Trainer-Wunderkind Julian Nagelsmann durchschreitet die erste Talsohle seiner Karriere. Die TSG Hoffenheim befindet sich nach kurzzeitigem Höhepunkt in der vergangenen Saison nun im Mittelmaß der Bundesliga – und Nagelsmann am Scheideweg.
Gefühlt hatten Julian Nagelsmann und seine Jünger in dieser Saison das Gewinnen verlernt. „Die Lust auf Siege wird im Moment nicht oft gestillt", gestand Nagelsmann. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass dabei auch ein wenig Sehnsucht mitschwingt. Sehnsucht nach der vergangenen Saison, nach einer Zeit, in der für ihn und die TSG alles in heiligen Bahnen zu laufen schien. Dieses Talent auf der Trainerbank erweckte ganz Hoffenheim aus einer Art Schockstarre und führte eine ganze Region mit erfrischend anderem Fußball zum nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt. Nur, um im nächsten Jahr die Messlatte noch höher zu legen. Denn dann folgte im ersten richtigen Jahr als Hoffenheim-Trainer Platz vier in der Liga und damit die Champions-League-Qualifikation. Er war in der Öffentlichkeit der Mann, der logischerweise in nicht allzu langer Zeit den FC Bayern München übernehmen wird. Natürlich wurde er auch als möglicher Bundestrainer gehandelt, selbst Joachim Löw brachte ihn als möglichen Nachfolger ins Spiel. Der Weg des Emporkömmlings schien klar vorgezeichnet: Ein bisschen Hoffenheim und dann hinein in die internationale Spitze, alle Türen stehen ja offen. Sogar Journalisten aus aller Herren Länder wollten diesen Aufstieg miterleben und reisten in den Kraichgau, nur um in der Heimat dann von der Eloquenz und der ungewöhnlichen Reife des neuen Wundertrainers zu berichten.
Nach diesem nie mehr enden wollenden Höhenflug jetzt vor kurzem die harte Landung. Mitten auf Tabellenplatz sieben, im tabellarischen Mittelfeld. „Wir sind momentan nicht mehr als Mittelmaß", sagte der verletzte Kerem Demirbay. Zwar gab es zuletzt gegen den FC Augsburg und den VfL Wolfsburg endlich wieder mal zwei Siege am Stück, die Statistik ist aber dennoch eher bescheiden. Zehn Siege, acht Remis, acht Niederlagen. Von allem ein wenig. Lange her, aber auch ein herber Dämpfer: das Vorrunden-Aus in der Europa-League. Nagelsmann versucht, das Ganze ein wenig sachlich einzuordnen: „Wir haben in den zwei Jahren meiner Amtszeit alles erlebt, von der Abstiegsangst bis zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Jetzt bewegen wir uns im tabellarischen Mittelfeld."
Die großen Jobs sind erst mal weg
Letztlich hat Nagelsmann mit seinem krachenden Aufstieg die Erwartungen an seine Person aber selbst nach oben katapultiert. Ein Platz im gesicherten Mittelfeld wäre vor anderthalb Jahren der absolute Wunsch aller TSG-Anhänger gewesen. Mittlerweile ist es aber nicht mehr gut genug. Das Fußballgeschäft bewahrheitet mal wieder seine immer wiederkehrenden Floskeln: Wer ganz schnell nach oben kommt, muss damit rechnen, dass alles, was vorher gut und neu war, schlecht ist, sobald es eine Stufe nach unten geht. Nagelsmanns Eloquenz, in der sich ab und an ein ironischer Unterton versteckt, wird ihm jetzt oft als freches Verhalten vorgeworfen. Aber auch dazu hat der 30-Jährige eine Meinung: „Manchmal wird eine tendenziöse Meinungsmache betrieben, die Menschen kaputt machen kann." Ändern will sich der Fußballlehrer deshalb aber nicht. „Wenn es so weit kommt, dann mache ich es nicht mehr, dann werde ich halt Skilehrer", sagt er.
Das bringt den Trainer der TSG aber auch oft in missliche Lagen, in denen er einsehen muss, jetzt besser zurückzuschrauben. Sätze, die er im Erfolg locker rausgehauen hätte, verkneift er sich lieber, da er „die mögliche Schlagzeile erahnen könne". Gewissermaßen zahlt der jüngste Trainer der Bundesligageschichte momentan sein erstes Lehrgeld. Den richtigen Spagat zwischen Lockerheit und unbedachten Aussagen, die Angriffsfläche bieten, zu finden, wird auch für den gebürtigen Bayer eine Herausforderung sein.
Doch als wäre dieser Umstand nicht schon schwierig genug für den kleinen Provinzverein, rumort es auch im Inneren gewaltig. Hansi Flick, der als Co-Trainer von Joachim Löw 2014 in Brasilien Weltmeister wurde und Hoffenheim einst selbst trainierte, soll versucht haben, den Verein strukturell umzukrempeln, was einen Machtkampf zur Folge hatte. Das bestritten die Verantwortlichen zwar, aber die schnelle Trennung wegen „unterschiedlicher Auffassungen über die Rolle und Aufgabe von Hansi Flick" sprechen eine andere Sprache. TSG-Gesellschafter Dietmar Hopp wurde dazu wie folgt zitiert: „Als kleiner Club, der sich in einem professionellen Umfeld bewegt, sind wir darauf angewiesen, unsere Möglichkeiten optimal zu nutzen. Dazu ist es nötig, dass gerade die Führungskräfte sich in ihrer Position wohlfühlen und mit hoher Effizienz arbeiten." Die Kunst ist es eben zu sprechen und doch nicht wirklich was zu sagen. So ist diese Personalie nach 241 Tagen im Amt auch wieder Geschichte. Flick wollte die TSG größer machen, wachsen lassen. Dies missfiel einigen Clubverantwortlichen, im Mittelfeld fühlen sich einige scheinbar ganz wohl.
Ära Flick wieder schnell beendet
Julian Nagelsmann wird sich diese Entwicklung mit Sicherheit genau anschauen und seine Schlüsse ziehen. Schwer vorstellbar, dass sich der 30-Jährige langfristig mit Mittelmaß zufriedengibt. Diese ganzen Unwägbarkeiten, ob intern oder extern, gehören auf dem Weg zum internationalen Spitzentrainer vielleicht dazu. Der erste sportliche Rückschlag und der Umgang damit dürfte Nagelsmann prägen, Zeit zum Lernen hat der 30-Jährige im Trainergeschäft definitiv noch genug. Seine Ziele hat er klar formuliert: „Mein Ziel ist es, ins Champions-League-Finale zu kommen und es dann auch zu gewinnen." Mit der TSG wird er das nicht schaffen, für diese Erkenntnis braucht es keinen Experten. Das einstige Wunderkind auf der Trainerbank steht ein wenig vor dem Scheideweg seiner Karriere. Dies mag mit 30 Jahren verfrüht wirken, jedoch kann Nagelsmann jetzt den Weg für seine komplette Laufbahn ebnen, indem er die richtigen Schlüsse zieht. Wohin es den Bayer zieht, darf interessiert beobachtet werden. 2019 kann er den Verein für kolportierte zehn Millionen verlassen. Die Bayern werden es wohl nicht sein, dennoch werden ihm – sollte er die richtigen Schlüsse ziehen – im internationalen Fußball einige Türen offenstehen.