Für ein paar Tage war Deutschland verrückt nach Eishockey. Millionen fieberten mit den Silber-Helden von Olympia mit. Diese Euphorie will der Verband jetzt für mehr Nachhaltigkeit nutzen.
Das deutsche Eishockey ist seiner Zeit um acht Jahre voraus. Erst 2026 wollte der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) mit seiner Männer-Nationalmannschaft um internationale Medaillen mitkämpfen. So steht es zumindest im Konzept „Powerplay26", und vor ein paar Wochen noch hätten selbst Experten den Plan als kaum realisierbar eingestuft. Und nun das! Platz zwei bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang, nur denkbar knapp geschlagen im dramatischen Endspiel gegen Rekord-Weltmeister Russland. Ganz Sport-Deutschland fieberte mit seinen Silber-Helden mit und entdeckte seine Leidenschaft für das Eishockey.
Zu Hause angekommen, wurden die Spieler wie Popstars gefeiert. Empfänge, Ehrungen, Interviews – für viele, die nicht wie Christian Ehrhoff 862 Partien in der nordamerikanischen Profiliga NHL auf dem Buckel haben, eine völlig neue Erfahrung. Der Ansturm ist inzwischen etwas abgeebbt, den „Olympiasiegern der Herzen" wird in den knallharten Play-offs der Deutschen Eishockey Liga (DEL) nichts mehr geschenkt – im Gegenteil. Der Druck ist größer, genau wie die Lust des Gegners auf einen Check.
Doch der Sportart wurde etwas sehr Kostbares geschenkt: Aufmerksamkeit. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass das Zeitfenster dafür kurz ist. Die Verantwortlichen glauben dennoch fest an einen Aufschwung des Eishockeys. „Hoffentlich gibt es einen Boom", sagt Bundestrainer Marco Sturm. Sein Chef, DEB-Präsident Franz Reindl, versichert: „Wir sind vorbereitet. Wir sind auf einem ganz anderen Weg als 2010."
Bei der Heim-WM war die Aufregung um die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ähnlich groß, damals scheiterte das Team des früheren Bundestrainers Uwe Krupp nur denkbar knapp im Halbfinale und löste vor allem durch den 2:1-Sieg im Weltrekordspiel auf Schalke vor 77.803 Zuschauern große Euphorie aus. Auch damals hofften alle auf einen Boom, doch das deutsche Eishockey versank schnell wieder in der Versenkung. Die Leistungen konnten nicht bestätigt werden, innerhalb des Verbandes und im Zusammenspiel zwischen DEB und DEL gab es viele Reibereien.
Seit dem Amtsantritt von Verbandsboss Reindl im Sommer 2014 hat sich der Wind gedreht, mit viel Überzeugungsarbeit hat der frühere Nationalspieler auch die Skeptiker vom neuen Weg überzeugt. Der soll über eine verbesserte Nachwuchs- und Trainerarbeit zum Ziel führen. Denn bei aller Euphorie um das sensationelle Olympia-Abschneiden darf man nicht vergessen: Wären bei Olympia die NHL-Stars am Start gewesen, hätte Deutschland mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in den K.-o.-Runden gegen Schweden und Kanada kaum eine Chance gehabt. Schon bei der kommenden WM in Dänemark (4. bis 20. Mai) wird Teamgeist alleine nicht reichen, um ins Halbfinale zu stürmen.
Verbesserte Nachwuchs- und Trainerarbeit
„Wir sind nicht die große Eishockey-Nation. Wir müssen uns jetzt wieder von vorne beweisen, uns hinten anstellen", sagte Bundestrainer Sturm bei seinem Besuch im Aktuellen Sportstudio des ZDF. Auch Star-Verteidiger Ehrhoff, der bei der Schlussfeier die deutsche Olympiamannschaft als Fahnenträger anführte, warnte vor überzogenen Erwartungen: „Man muss da schon realistisch bleiben und kann nicht bei der WM wieder eine Medaille erwarten. Das wäre, denke ich, unrealistisch."
Selbst wenn Stürmerstar Leon Draisaitl wie erwartet mit den Edmonton Oilers die Play-offs verpasst und zusammen mit drei, vier anderen deutschen NHL-Profis bei der WM aufläuft, ändert das nichts am Kräfteverhältnis. Teams wie Kanada, Russland, Schweden, Finnland, Tschechien und die USA haben eine größere Qualität im Kader. Das sind auch die sechs Nationen, die in der Weltrangliste vor Deutschland liegen. Der Sprung auf Platz sieben ist bereits ein enormer Fortschritt, vor Sturms Dienstantritt hatte die DEB-Auswahl noch auf Rang 13 gelegen.
Um aber die Top 6 anzugreifen, braucht Deutschland bessere Eishockeyspieler. Und da gibt es eine Menge Arbeit. Das Nachwuchsteam der U20, das immer so etwas wie der Gradmesser für die Zukunft einer Eishockey-Nation ist, hat bei der B-WM im vergangenen Dezember erneut den Aufstieg in die Top-Gruppe verpasst – auf Platz drei hinter Aufsteiger Kasachstan
und Lettland.
Es gibt in Deutschland durchaus überragende Talente wie den Münchner Dominik Kahun (22), der bei Olympia mit seiner Technik und seinem Tempo für Furore gesorgt hatte. Oder Dominik Bokk, der als gerade einmal 17-Jähriger beim schwedischen Proficlub Växjö Lakers regelmäßig spielt und vielleicht schon für die WM in Dänemark infrage kommt. Doch die breite Masse an Talenten gibt es in Deutschland nicht. Noch nicht, betont Reindl. Mit im „Powerplay26" verankerten Projekten sollen Kinder und Jugendliche an die schnelle Mannschaftssportart herangeführt werden.
Nachwuchsteam hat den Aufstieg verpasst
„Wenn für jeden Verein an der Basis nur zehn Kinder mehr an unseren Sport herangeführt werden könnten, wäre das in der Masse für das deutsche Eishockey enorm", sagt Reindl. Mit Hilfe zusätzlicher Gelder durch das Bundesinnenministerium, das bei der Ausschüttung von Fördermitteln immer auch den sportlichen Erfolg bewertet, sollen die Projekte beschleunigt werden. Man wolle das Geld „gezielt und richtig einsetzen", sagte Daniel Hopp, Geschäftsführer des siebenmaligen DEL-Meisters Adler Mannheim und DEB-Vizepräsident, „damit der Erfolg keine Eintagsfliege bleibt". Hopp spricht von einer „Millenniums-Chance" für das hiesige Eishockey, „jetzt liegt es an uns Funktionären, den tollen Erfolg, den die Jungs in Pyeongchang erreicht haben, zu vergolden."
Auch in die teils marode Infrastruktur muss investiert werden, viele Eishallen haben ihre besten Tage hinter sich. „Uns ist bewusst, dass in vielen Spielstätten erheblicher Sanierungsbedarf besteht", sagt Reindl. Der DEB arbeitet mit einigen externen Experten zusammen, um den Vereinen dafür individuelle Lösungsansätze zu präsentieren.
Bundestrainer Sturm drängt derweil auf mehr Spielzeit für deutsche Spieler in der DEL. Diese Forderung ist so alt wie der Posten des Bundestrainers, doch langsam kommt es zum Umdenken in der Liga. „Junge Spieler müssen noch mehr gefördert werden", sagt Sturm. „Als nächsten Schritt muss man die Anzahl der Ausländer verringern." Seiner Meinung nach würden zu viele mittelmäßige Spieler aus dem Ausland die Kaderplätze von talentierten deutschen Spielern blockieren. „Ich kann Marco Sturm verstehen", sagt Geschäftsführer Peter-John Lee von den Eisbären Berlin, „aber so einfach ist das nicht. Von unten, im Nachwuchs, muss besser gearbeitet werden. Dann kommen auch mehr deutsche Spieler nach oben."
Je mehr Kinder und Jugendliche sich für Eishockey interessieren und den Sport ausüben, desto größer ist natürlich die Chance auf spätere Erfolge. Insofern sind die Olympia-Helden von Pyeongchang Gold wert. Der Verband versucht, das Silber so gut zu vermarkten wie es geht. Einfach ist das nicht, denn gutes Marketing kostet viel Geld – und König Fußball hat nach Olympia längst wieder die Herrschaft übernommen. „Wir mögen schon auch alle Fußball, aber wir glauben, dass Deutschland ein Land ist, wo mehr Platz ist als für eine große Sportart", sagt Moritz Müller von den Kölner Haien. „Oft ist Eishockey ja ein bisschen verrufen als Holzfällersport. Ich glaube, man hat gesehen, dass Eishockey ein ganz toller, technischer, taktisch geprägter Sport ist."
„Ein taktisch geprägter Sport"
Professor André Bühler, Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing, glaubt, dass das Eishockey im Kampf um mehr Aufmerksamkeit gegen die anderen Mannschaftssportarten wie Handball und Basketball nicht chancenlos sei. „Die Eishockeyspieler haben eine große Sensation geschafft, viele David-gegen-Goliath-Duelle gewonnen. Das sind Geschichten, die man gut erzählen kann", sagt Bühler.
Aber Eishockey hat den großen Nachteil, dass man die Gesichter der Spieler aufgrund der Helme nicht erkennt. Der Wiedererkennungswert liegt zum Beispiel deutlich unter denen der Handballer um Nationaltorwart Andreas Wolff. Mit den „Bad Boys" zitterten im EM-Finale vor zwei Jahren 13 Millionen Menschen am Fernseher mit, und auch das EM-Debakel in diesem Jahr mit den Dissonanzen zwischen Bundestrainer Christian Prokop und der Mannschaft stieß in der breiten Öffentlichkeit auf großes Interesse.
Das Endspiel im olympischen Eishockeyfinale sahen 3,19 Millionen Zuschauer in Deutschland – das allerdings zu ganz früher Stunde. Der Marktanteil von 51,2 Prozent war der höchste von allen übertragenen Sportarten während der Winterspiele. Eishockey war jahrelang ein Nischensport, ein lokales Phänomen. Jetzt gibt es die Chance, ein wenig aus dem Schatten herauszutreten.