Die vor 100 Jahren geborene Betty Ford begnügte sich nicht damit, die brave Frau an der Seite des US-Präsidenten zu sein. Als First Lady brach sie eine Reihe von Tabus, vertrat kontroverse Meinungen und gründete eine berühmte Sucht-Entziehungsklinik.
Elizabeth Ann Bloomer, besser bekannt unter ihrem späteren Namen Betty Ford, war als First Lady der USA bei Weitem nicht so glamourös wie Jacqueline Kennedy und strahlte auch nicht die kühle Eleganz ihrer unmittelbaren Vorgängerinnen Patricia Nixon und Lady Bird Johnson aus. Aber wegen ihres selbstbewussten Auftretens wurde ihr häufig etwas Majestätisches nachgesagt.
Dazu passte, dass sie ihre Rolle als US-Präsidentengattin ganz anders interpretierte als sämtliche First Ladys vor ihr. Sie wollte eben nicht nur die brave, stille Frau an der Seite des mächtigsten Mannes der Welt sein. Sie sprach öffentlich Themen an, die damals in den Vereinigten Staaten noch Tabus waren, und vertrat politische oder gesellschaftliche Standpunkte, die von der Mehrheit der republikanischen Partei ihres Mannes und auch von größeren Teilen der amerikanischen Gesellschaft abgelehnt wurden. Vom „Time"-Magazin wurde sie daher als die „kämpfende First Lady" charakterisiert.
Als ihr größtes Verdienst gilt aber die Gründung des nach ihr benannten Betty Ford Centers, einer inzwischen weltberühmten Drogen- und Alkohol-Entzugsklinik im kalifornischen Rancho Mirage. Betty Ford war selbst jahrelang schwer tabletten- und alkoholsüchtig. Dadurch, dass sie es wagte, ihre persönlichen Probleme mit Medikamenten und Alkohol sowie eine Brustkrebserkrankung öffentlich zu machen, löste sie in der US-Gesellschaft eine Diskussion über diese und ähnliche Tabuthemen aus, was letztlich zu deutlichen Verbesserungen im Umgang mit diesen Krankheiten geführt hat.
Modeljobs zur Studiumsfinanzierung
Im Alter von drei Jahren zog die am 8. April 1918 in Chicago geborene Elisabeth Ann Bloomer mit ihren Eltern und ihren beiden älteren Brüdern nach Grand Rapids in Michigan um. Ihr Vater war Handelsvertreter, ihre Mutter stammte aus einer gut betuchten Möbelverarbeitungs-Dynastie. Schon mit acht Jahren wurde Betty, wie sie zum eigenen Missfallen schon früh genannt wurde, von ihrer Mutter Hortense im örtlichen Calla Travis Dance Studio angemeldet, um Ballett und modernen Tanz zu erlernen. Das Tanzen wurde für sie zur Passion. Um ihr Taschengeld aufzubessern, gab sie schon mit 14 Jahren Übungsstunden für jüngere Kinder.
Nach Abschluss der Highschool 1936 besuchte die junge Dame 1937 und 1938 Kurse der Bennington College School of Dance in Vermont, wo sie unter anderem von der legendären Pionierin des Modern Dance – Martha Graham – unterrichtet wurde. Um das Geld für die Kurse aufzubringen, jobbte sie als Model für ein renommiertes Bekleidungsgeschäft ihres Wohnortes Grand Rapids. 1940 zog es sie nach New York, weil Martha Graham sie zum Studium in ihre dortige Dance Company aufgenommen hatte. Auch während ihrer Zeit im Big Apple musste sie ihre Kursgebühren durch Modeln verdienen. Sie ging zwar nicht auf landesweite Touren mit der Dance Company, trat aber häufiger auf New Yorker Bühnen auf, darunter auch in der Carnegie Hall. 1941 kehrte sie nach Grand Rapids zurück und heiratete ein Jahr später den Handlungsreisenden William Gustavas Warren, von dem sie sich 1947 wieder scheiden ließ.
Schon wenige Monate später lernte sie in Grand Rapids ihren künftigen zweiten Ehemann Gerald Ford kennen – damals ein junger Rechtsanwalt und lokaler Ex-Footballstar, der sich als republikanischer Kandidat Hoffnungen auf einen Sitz im US-Repräsentantenhaus machte. Nach der Hochzeit im Oktober 1948 folgte der Umzug nach Washington, denn ihr Ehemann hatte die Wahl gewonnen. Bis 1955 wohnten die beiden im Herzen der Hauptstadt, ehe sie ein Haus im nahen Städtchen Alexandria bezogen. Seit den frühen 60er-Jahren schluckte Betty Ford Opioide wegen eines eingeklemmten Nackenmuskels. Sie wurde von den Schmerzmitteln abhängig und konsumierte zusätzlich immer größere Mengen Alkohol.
Als ihr zum US-Vizepräsidenten aufgestiegener Ehemann Gerald 1974 völlig unerwartet nach Richard Nixons Rücktritt infolge des Watergate-Skandals Staatsoberhaupt wurde, gelang es Betty perfekt, ihren Drogenkonsum zu verheimlichen. Stattdessen sprach sie 1974 ganz offen, sogar in der legendären Talkshow von Larry King, über ihre Brustkrebserkrankung und forderte ihre Geschlechtsgenossinnen auf, sich einer Mammografie und anderen Vorsorgeuntersuchungen zu unterziehen. Sie ging öffentlich auf Distanz zur Abtreibungskritik der Republikaner und setzte sich gegen sämtliche konservativen Kräfte für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Auch mit ihrer toleranten Einstellung zu Marihuana-Konsum oder vorehelichem Sex stieß sie manchem US-Bürger vor den Kopf. 896 Tage blieb Gerald Ford im Amt, Anfang 1977 wurde Jimmy Carter US-Präsident. Es folgten der Abschied aus Washington und der Umzug nach Rancho Mirage, wo die Lage um Betty Fords Suchtprobleme in solch dramatischer Weise eskalierte, dass sie sich auf Druck der eigenen Familie einer erfolgreichen Therapie in einem Krankenhaus in Long Beach unterziehen musste.
„Ich wurde als Alkoholikerin geboren"
Nach ihrer Entlassung machte sie ihre Sucht öffentlich. Den Alkoholmissbrauch sah sie einerseits familiär bedingt, „Ich wurde als Alkoholikerin geboren", schrieb Betty Ford in ihrer 1978 veröffentlichten Autobiografie „The Times of My Life", weil Vater und ein Bruder tranken. Andererseits machte sie eigene Minderwertigkeitsgefühle dafür verantwortlich: „Ich war überzeugt, dass ich umso unwichtiger wurde, je wichtiger Gerald wurde."
Schließlich fasste Betty Ford den Entschluss, eine eigene Klinik zu gründen, die speziell auch den Bedürfnissen abhängiger Frauen gerecht werden sollte. Alkoholismus und Drogensucht wurden selbst in den 80er-Jahren in den USA noch fast ausschließlich als Männerkrankheiten angesehen. Dank Betty Fords Engagement konnten drei Millionen Dollar Startkapital zusammengebracht werden.
Am 4. Oktober 1982 konnte sie das Betty Ford Center gemeinsam mit Leonard Firestone, dem ehemaligen US-Botschafter in China, in ihrem südlich von Palm Springs gelegenen Wohnort Rancho Mirage eröffnen, der bis dahin lediglich als kalifornische Golf-Community bekannt war. Unweit ihres eigenen Ruhesitzes entstand auf einem großzügigen Gelände ein im Pavillon-Stil gebautes Behandlungszentrum für Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängige ohne zusätzliche Persönlichkeitsstörungen oder psychiatrische Erkrankungen.
Die einzelnen Pavillons – zwei für Frauen, zwei für Männer und einer für zu entgiftende Neuankömmlinge – sind vergleichsweise einfach eingerichtet und bieten Platz für jeweils 20 Personen. Dass es in jedem Pavillon neben acht Doppelzimmern auch ein Vierbettzimmer gibt, ist der Erinnerung an den Entzug der Gründerin geschuldet. Denn selbst Betty Ford musste als ehemalige First Lady bei ihrem Aufenthalt in Long Beach mit einem Vierbettzimmer vorliebnehmen. Nach Abschluss der Entgiftung dürfen die Patienten in kleine Häuser auf dem Campus umziehen und sich selbst versorgen.
Eine Verfechterin der Frauenrechte
Mehr als 250 Mitarbeiter kümmern sich im Rahmen eines sehr strengen und am Zwölf-Stufen-Programm der Anonymen Alkoholiker orientierten Konzepts um die jeweils rund 110 Patienten, die hier mindestens 30 und bis zu 90 Tage bleiben. Die Kosten sind nicht ganz unerheblich, weshalb sich das Center schnell den Ruf einer Promi-Klinik erworben hatte, obwohl angeblich mehr als 90 Prozent der Patienten der amerikanischen Mittelschicht entstammen. Mehr als 100.000 Patienten wurden inzwischen in Rancho Mirage behandelt, darunter Prominente wie Liza Minelli, Johnny Cash, Ozzy Osbourne, Elisabeth Taylor oder Lindsay Lohan, die sich allesamt eine Vorzugsbehandlung abschminken konnten.
2005 gab Betty Ford den Vorsitz ihrer Klinik an ihre Tochter Susan ab. Danach zeigte sich die Lady, die für ihre Leistungen rund um ihr Center 1991 mit der Freiheitsmedaille des US-Präsidenten, der höchsten zivilen Auszeichnung der Vereinigten Staaten, geehrt worden war, letztmals Anfang 2007 in der Öffentlichkeit. Das war anlässlich der Beerdigung ihres Mannes Gerald, mit dem sie neben ihrer Tochter auch drei Söhne hatte.
Ebenso wie ihr Gatte sollte Betty Ford stolze 93 Jahre alt werden. Als sie am 8. Juli 2011 in Rancho Mirage starb, war sie nach Bess Truman und Lady Bird Johnson, die es auf 97 und 94 Jahre gebracht hatten, die Drittälteste unter den First Ladys.
„Als First Lady unseres Landes", sagte Präsident Barack Obama, „war sie eine starke Verfechterin der Frauenrechte und der Gesundheit der Frauen." Und sie habe ganz entscheidend dazu beigetragen, das gesellschaftliche Stigma rund um die Drogenabhängigkeit zu reduzieren und Tausende Menschen inspiriert, sich professionelle Hilfe zu suchen.