Das „Golvet" in der Potsdamer Straße ist bekannt für seine Sterneküche. Aber auch die Bar zieht Gäste an. Am Tresen zaubert Andreas Andricopoulos mit seinem Team flüssige Köstlichkeiten ins Glas. Die Küche ergänzt den Trinkgenuss mit Barfood de luxe.
Ein zartgrün schillerndes, transparentes Getränk schwimmt unter getrockneten Limettenscheibchen. Es ist ein Mix aus Aquavit mit einer Infusion aus roter Paprika und selbstgemachtem Minz-Ingwer-Kefir. „Du wirst es nicht mögen, das ist überhaupt nicht dein Ding", spricht die eher herb-gemüsige Cocktails bevorzugende Begleiterin. Sie ist entzückt vom Drink, den Andreas Andricopoulos ihr in der Bar vom „Golvet" ins Glas gezaubert hat. Und: „Du musst diesen Drink unbedingt probieren!" Aber ja. Wozu bin ich schließlich professionelle Gastronomiebesucherin?
Wir waren uns bereits vor dem Besuch einig, dass uns „sterneverdächtige Drinks", so sagt die Begleiterin, erwarten würden. Hatten wir uns doch bald nach der Eröffnung des „Golvet" vor knapp einem Jahr und noch vor der Dekoration mit einem Michelin-Stern hoch über der Potsdamer Straße zum Dinner eingefunden. Die maritim inspirierten Kaltgetränke hatten uns bereits damals auf eine Nord-Ostsee-Reise im Glas und zu einem Absacker an der Bar verführt. Passend zum schwedischen Namen „Golvet", der auf Deutsch „Boden" bedeutet. Wie es sich für einen Barchef gehört, hat Andreas Andricopoulus größte Freude daran, maßgeschneiderte Drinks zu kreieren oder uns Passendes zu empfehlen.
Ich trete an diesem Abend deshalb eine Fernreise in die Karibik an und erhalte einen „Kreuzfahrt-Drink" von der Karte. Ich wähne mich auf dem Sonnendeck mit meinem „Strawberry Daiquiri". „Tante Hilde Strawberry Rum", Limette, Beeren-Cordial und Zucker vereinen sich zu einem Daiquiri der anderen Art. Eine unerwartet leichte, süffige und eisfrei abgeseihte Spielart des häufig sorbetartigen Klassikers wird mir in einer schwarz-goldenen Schale mit angeklippter Limettenscheibe gereicht.
Tapas von der regulären Karte
Ich nippe von der mit weißem Rum verflüssigten Erdbeere und fühle mich fruchtig-froh. Natürlich probiere ich auch vom Gemüse im Glas bei der Begleiterin. Bestätige, dass ihr Drink nichts für mich ist. Und sage: Ein Hoch auf die unterschiedlichen Geschmäcker!
Wir sind neugieriges Publikum beim „Cocktail-TV" an der „Arbeitskante", dem schmalen Absatz am Tresen, an dem der Barchef und Barkeeperin Nicole Brunner die Gläser füllen und dekorieren. Letzteres gern auch mit den selbstgetrockneten Frucht- und Gemüse-Scheibchen aus vielen, vielen Einweckgläsern.
Wir beobachten fasziniert die Herstellung eines alkoholfreien „Gin" Tonic. Nicole Brunner lässt einen Beutel Sencha-Tee mitspielen, rührt mit dem „Zauberlöffel", einem überlangen, metallenen Messlöffel, im Shaker um. Voilà: Der „Gin" und sein Aroma sind da. Er wird rasch eingeschenkt, ein Rosmarin-Zweig mit Bonsai-Holzklammer und Zitronenstreifen am langen Glasstiel befestigt. Der Tonic-Mix ist nun auch optisch elegant „aromatisiert".
„Wir sitzen in der ersten Reihe", stellt die Begleiterin, am gereichten Sauerteig-Brot mit der umwerfenden, „Golvet"-eigenen salzigen Karamellbutter knabbernd, fest. Wir müssen aufpassen, uns daran nicht satt zu essen. Schließlich befinden wir uns im Tanzbereich der Küchenchefs Björn Swanson und Michael Schulz!
Die Ankündigung aus der Küche nehmen wir ernst: „Wir schicken euch ‚Flights‘ mit Kleinigkeiten von unserer Karte. Wir stellen gerade auf Tapas davon um." Was die Gäste am Tresen erwartet, ist nichts weniger als Barfood de luxe aus der selbstbewusst unaufgeregten und produktbetonten Sterneküche. Es grüßt ein Schälchen mit Tofucreme, Blumenkohl, Walnüssen, Cranberrys und einer Blumenkohl-Vinaigrette. „Fin de Claire"-Austern verstecken sich „à la plancha" gegrillt unter einer Litschi-Espuma und verbreiten leichte Meerigkeit zwischen marinierten Gurken, Kalamansi-Gel und Aniskresse. Eine Taubenleber-Pastete mit Dreierlei von der Roten Bete bezieht Finesse von einem Meerrettich-Eis mit frischer Schärfe und zarter Cremigkeit. Der Schwanz einer Königskrabbe macht erst auf rosafarbene Schleife auf einem orangebraunen Dal mit Butternut-Kürbis und Kochbanane, dann auf milde Meeresfrucht im Kontrast zu angeschärftem Linsengemüse.
Wir dürfen anschließend ein neues „Nordlicht" probieren. Arbeitstitel: „Scandinavian Smash". „Einen Namen zu finden, ist das Schwierigste", sagt Andreas Andricopoulos. Der Drink aus Aquavit, Gin, Rosmarin, Multebeeren, Zucker, Zitrone und ein paar Tropfen Olivenöl, „um den Rosmarin zu intensivieren", erfreut die Begleiterin und mich gleichermaßen. Der Aquavit gebe lediglich die Würze an den Drink, erklärt Andricopoulos. Der Barchef spielt gern mit seinen 24 Sorten Gin. Üblich seien um die sechs, verrät er uns.
In ein Restaurant mit starker nordischer Ausrichtung passen die skandinavischen „Lebenswässerchen" besonders gut hinein. Trinkt man die nicht üblicherweise als „Schnäpperken" pur, aus eisgekühlten Gläsern? „Ja, man denkt erst mal altertümlich an Opa beim Kegeln", gibt er zu. Aber ob Opa an der Kegelbahn schon wusste, welche Geschmacksvielfalt in der kümmelbasierten Spirituose stecken kann? Je nach Zugabe von Dill und Sternanis zu dem aus Neutral-Alkohol destillierten Aquavit und je nach Lagerung zeigen sich sehr unterschiedliche Nuancen.
Ehe wir uns versehen, stecken wir in einem kleinen, inoffiziellen Aquavit-Tasting. „Dill-Aquavite sind süßlicher", erläutert Andreas Andricopoulos. „Wenn man frischen Dill püriert, bekommt er eine süßlich-fruchtige Note." Das stellen wir beim Nippen am „Nordgold" der norwegischen Brennerei Arcus in der Praxis fest. Das helle „Wässerchen" entfaltet einen zitronigen Duft in der Nase und feine, dillige Aromen im Mund. Zum Gegentrinken gibt’s einen dunkelrosafarbenen „Linie"-Aquavit: Er ist wärmer, „schokoladiger" und vollmundiger. „Der wurde in einem Portweinfass gelagert", verrät Andricopoulos. Nicht nur das Über-den-Äquator-Hin-und-Herfahren mit unterschiedlichen Klimazonen und Seegang, sondern vor allem die Lagerung in benutzten Eichenholzfässern beeinflusst den Geschmack.
Von manchen Marken gibt es limitierte Editionen, manche exportieren noch nicht einmal. „ ,Copenhagen‘ ist so eine Mini-Destille", erzählt er. „Da musst du schon persönlich vorbeikommen." Der Barchef reiste hin, probierte und organisierte den Transport einiger Kisten mit dem Jahresbedarf selbst. Wir stellen fest: Die Aquavitologie ist eine Wissenschaft für sich.
Neue Disziplin: „Aquavitologie"
In Andreas Andricopoulos haben wir für deren Erforschung einen Fachmann an unserer Seite. Der 34-Jährige, „natürlich in einem griechischen Restaurant aufgewachsen", lernte Hotel- und Restaurantfachmann. Er spezialisierte sich im Düsseldorfer „Riva" und im Bonner Hotel „Kameha Grand" auf den Barbereich und leitete die „ganz kleine Bar" im Hotel „Adina" als Barchef.
„Ich gehe gern kreativ mit verschiedenen Komponenten und Nuancen um", sagt er. „Ein bisschen Show muss auch dabei sein." Spricht’s und parfümiert einen Drink mit einem Sprühstoß Gin, der das Kaltgetränk auf seinem Weg zum Gast umweht.
Wer nicht am metallbekleideten 13-Meter-Tresen auf Barhockern sitzen will, kann einen der 30 Plätze auf Sesselchen in der Lounge bevölkern. In der Bar gibt es keine festen Schließzeiten; meist ist Betrieb bis 1 oder 2 Uhr. Die Drinks sind zudem ein bezahlbares Vergnügen – sie kosten 12 bis 15 Euro. Im „Golvet" greifen Bar und Restaurant ineinander: Restaurantleiter und Sommelier Benjamin Becker ist der Mann für experimentelle alkoholfreie Getränkebegleitungen. Er experimentiert gern mit Kombuchas und Wasserkefir. Andricopoulos und sein dreiköpfiges Bar-Team besorgen sich Zutaten aus der Küche; man scherzt und inspiriert einander. Wer sich mit einem Aperitif aufs Dinner einstimmen will, bekommt seinen Drink von der Bar auch an den Restaurant-Tisch serviert.
Nach einer weiteren schmackhaften kleinen Teller-Attacke mit geräuchertem Stör auf eingelegtem Wirsing und Crème fraîche und mit einem in Salzteig gegarten Sellerie mit Selleriecreme, Perigord-Trüffel und Rinder-Mark sind wir reif für einen „After-Dinner-Drink": Ein „Brøndby Alexander", eine Abwandlung des sahnigen „Brandy Alexander", findet seinen Weg ins Glas: „Copenhagen"-Dill-Aquavit ersetzt den klassischen Brandy und vereinigt sich mit „Mozart- Dry"-Schokoladengeist, einem Crème de Cacao von „1885 Giffard" und mit „richtiger" Konditor-Sahne, die aus der Küche herübergeholt wird. Ein verflüssigtes Schokodessert mit leichter Kräuternote schwipst uns aus diesem überaus erfreulichen – aber gewiss nicht letzten – Abend an der „Golvet"-Bar heraus.