Seit einem Jahr ist Emmanuel Macron Frankreichs neuer Staatspräsident. Sein Reformeifer trifft auf teils harte Gegenwehr. Dass er bestehende Strukturen umkrempeln kann, hat er bereits mit Gründung seiner Bewegung „La République en Marche“ gezeigt. Damit ist er weltweit nicht alleine.
Partei, das klingt nach festem Fahrplan und Proporz, nach Flügelkampf oder Akklamationsmaschine. Teil einer Bewegung zu sein kommt da doch viel dynamischer und hipper daher. Nicht nur dass sich etwas rührt, vorzugsweise in Vorwärtsrichtung, in eine neue Zukunft, es kommt scheinbar Leben in einen in altbackenen Traditionen gefangenen Politbetrieb. Bewegungen sind die neuen Parteien, mehr politischer Club als institutionalisierte Machtbasis. Aber stimmt das? Ist dies eine neue Form der Politik?
Der Begriff der politischen Bewegung ist so alt wie die moderne Demokratie selbst: in den USA etwa der Abolitionismus, der Kampf gegen die Sklaverei; die Arbeiterbewegung, aus der die SPD emporstieg; der Kampf der Frauen für ihr Wahlrecht; die Friedensbewegung; Feminismus, Occupy, Liberalismus und Nationalismus. Besonders die beiden Letztgenannten werden in diesen Tagen zum Kristallisationspunkt neuer Bewegungen – im Spannungsfeld der Globalisierung stellen sich viele Menschen die Frage, ob sie die voranschreitende weltweite Öffnung von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen unterstützen oder bekämpfen wollen. Die traditionellen Parteien in Europa scheinen für viele in dieser Frage keine Heimat mehr zu bieten. Deshalb stehen diese nahezu überall im Europa der britisch geprägten Demokratie in der Kritik, ja, werden mehr oder weniger schleichend umgebaut oder gar durch neue Bewegungen und Parteien ersetzt. Soziologisch gesehen manifestiert sich darin ein Widerspruch gegen die herrschende Realität, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufklafft.
Eine neue Form der Politik
Emmanuel Macron hat seine Bewegung „La République en Marche“ in Frankreich hoffähig gemacht. Donald Trump hat die „Bewegung“ während des US-Präsidentschaftswahlkampfes aufgegriffen, Sebastian Kurz als Wahlkampf-Vehikel und zum Durchsetzen seines Machtanspruchs in der eigenen Partei in Österreich genutzt, die eurokritische „Fünf-Sterne-Bewegung“ wurde stärkste Partei bei der Parlamentswahl in Italien. 2017 titelte die britische „Times“ „Lernen von Macron“: Chris Coghlan wollte es genauso machen wie der französische Shootingstar. Seine Bewegung „Renew Britain“ hat mittlerweile über 400 Kandidaten rekrutiert, die in einem der 650 Wahlkreise in Großbritannien bei der Unterhauswahl antreten wollen. Ihr Ziel: ein zweites Brexit-Referendum nach Abschluss der Verhandlungen mit der EU, damit es eine Chance gibt, dass die Briten Teil der Union bleiben; außerdem Investitionen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Wohnraum.
In Deutschland macht vor allem die „Identitäre Bewegung“ von sich reden. Ihr Online-Auftritt suggeriert eine Größe, die sie nach Angaben des Verfassungsschutzes gar nicht hat: „Bundesweit werden ihr etwa 500 Personen zugerechnet“, so Holger Stahlknecht, Innenminister von Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der Innenministerkonferenz. Ihre wichtigste Aufgabe sieht die „Identitäre Bewegung“ in der Bewahrung von „Heimat und Tradition“. Diese Begriffe münden letztlich in ihrer „Identität“. Diese gilt es nach Auffassung der „Identitären Bewegung“ mit Wort und Tat zu verteidigen. An erster Stelle steht die „ethnokulturelle Identität“, eine modernisierte Variante völkischer Ideologie. Eine Zuwanderung von „Fremden“, die nicht Teil dieser „ethnokulturellen Identität“ sind, wird grundsätzlich abgelehnt. „Die Identitären inszenieren sich dabei als Verteidiger von Vielfalt und Freiheit gegen die angebliche Gleichmacherei vermeintlich linker Ideologen. In ihrer Kritik zeigt sich jedoch ein übersteigerter Nationalismus, der das Individuum weitgehend negiert und stattdessen kollektivistisch die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt stellt“, so der Vorsitzende der Innenministerkonferenz. Die Gefahr sei, dass durch die neuen Begrifflichkeiten Ethnie oder Kultur alte, rechtsextreme Begrifflichkeiten wie Rasse oder Volksgemeinschaft einfach umbenannt und dadurch scheinbar verharmlost werden. Bevor eine Bewegung zur Partei wird, geht sie jedoch unterschiedliche Wege, wie Prof. Dr. Thomas König (siehe Seite 26) erklärt: diese hängen vom politischen System ab, so der Mannheimer Politikwissenschaftler. Im Spannungsfeld zwischen ihren politischen und sozialen Vorstellungen, den Wählerinteressen und Mandatsträgern müssen sie wie in Frankreich und wohl bald Italien beweisen, wie tragfähig ihre Reformideen sein mögen.