Der Durchmarsch von Emmanuel Macron verschaffte den alten und neuen Oppositionsparteien in Frankreich mehr oder weniger freiwillig Raum zum Nachdenken. Wie stellen sich die Parteien und Bewegungen der „Grande Nation“ für die Zukunft auf? Bis zur Europawahl im Frühjahr 2019 bleibt noch etwas Zeit für die Neuorientierung.
Während Staatspräsident Emmanuel Macron und seine Partei „La République en Marche“ (LREM) in Frankreichs Politik ganz klar den Takt bestimmen, leckt die Opposition noch immer ihre Wunden. Zu deutlich waren die Wahlniederlagen im vergangenen Jahr: Ob nun für das nach wie vor zerstrittene bürgerlich konservative Lager, die auf etwas mehr als sieben Prozent pulverisierten Sozialisten, den frustrierten Front National oder den aufmüpfigen Altlinken Jean-Luc Mélenchon mit seiner Partei La France insoumise. Die französischen Grünen, die vielen kleinen Parteien aus der Mitte sowie die Kommunisten spielen ohnehin keine allzu große Rolle in der Politik unseres Nachbarlands. Geschickt hat es Macron verstanden, Politiker sowohl aus dem bürgerlichen als auch aus dem linken Lager in die Verantwortung zu nehmen wie den amtierenden Premierminister Edouard Philippe. Ein gelungener Schachzug, um der Opposition von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Noch bleibt den Parteien und Bewegungen allerdings genügend Zeit, sich neu zu formieren, überzeugende Kandidaten zu finden und Parteiprogramme zu schärfen. Die Europawahl findet im Frühjahr 2019 statt, die Kommunalwahlen 2020. Die eine oder andere Partei versucht jedenfalls, sich schon einmal vorsichtig in Stellung zu bringen.
Rechtsruck statt Einheit
So haben die Republikaner, Les Républicains (LR), Nicolas Sarkozys politischen Ziehsohn Laurent Wauquiez zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Der 42-Jährige ist Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes, sammelte bereits Erfahrung in der Regierung von François Fillon als Minister für Hochschulen und Wissenschaft sowie für Europaangelegenheiten. Er gilt in der bürgerlich-konservativen Partei als Rechtsaußen. Mit Parolen wie „Die Rechte ist zurück“, und Forderungen wie nach der Rückkehr Frankreichs zu christlichen Wurzeln und kultureller Identität, der Abschaffung der EU-Kommission, der Aufkündigung des Schengen-Abkommens oder der Reduzierung der EU auf wenige Staaten macht er von sich reden. Seine Kritiker in den eigenen Reihen werfen ihm vor, er wildere wie schon sein Vorgänger Nicolas Sarkozy im Wählerreservoir des Front National.
Konservative wildern im rechtsnationalen Lager
Als wäre das nicht schon einmal schief gegangen. Die Mehrheit der Franzosen ist allerdings laut jüngsten Umfragen für den Verbleib Frankreichs in der EU. Selbst der Konservative Alain Juppé als amtierender Bürgermeister von Bordeaux und ehemaliger Premierminister fühlt sich von Wauquiez‘ Rechtsruck überrascht und nannte seine Äußerungen im Hinblick auf die Europawahlen alles andere als förderlich. Ist Wauquiez also eher ein Spalter als jemand, der das bürgerliche Lager wieder zusammenführt? Das Jahr 2018 wird es zeigen. Die Zeit heilt bekanntlich Wunden.
Adieu les socialistes
Richtig trostlos sieht es bei den französischen Sozialisten, der Parti socialiste (PS), aus. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung rauschte die Partei von 281 Sitzen auf nunmehr 31 Sitze direkt in den Keller. Einige Politpromis der PS haben sich auf die Seite Macrons geschlagen, andere sind ganz abgetaucht oder gründeten wie der gescheiterte Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon eine eigene Bewegung („Générations“). Längst überwunden geglaubte ideologische Grabenkämpfe stellen die einst so stolze sozialistische Partei, die mit François Mitterand und François Hollande immerhin zwei Präsidenten in der V. Republik stellte, vor eine Zerreißprobe. Die Partei steht vor einem Neuanfang. Im April soll in Paris der neue Kurs abgesteckt werden und ein Generationswechsel an der Parteispitze erfolgen. Mit Olivier Faure wurde zumindest ein neuer Parteivorsitzender gewählt. Sollten die Sozialisten endlich neue Themen besetzen, ihre Kernforderung nach sozialer Gerechtigkeit mit Leben erfüllen und nach außen als eine schlagkräftige Einheit auftreten, könnten sie bei vielen Wählern und bei den Gewerkschaften verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Aber Umfragen sprechen eine andere Sprache. Drei Viertel der von der Tageszeitung „Le Figaro“ und dem Nachrichtensender „Franceinfo“ befragten Franzosen halten den Untergang der PS für möglich und selbst mehr als 60 Prozent der PS-Anhänger sind dieser Meinung. Das ist kein gutes Omen für die einst so mächtige und stolze Traditionspartei Frankreichs. Ein „Weiter so“ mit Durchwurschteln wäre wohl das bittere Ende der PS; ein Neubeginn die einzige Möglichkeit, den Verfall aufzuhalten. Vielleicht kommen die Sozialisten 2018 noch einmal nach vorne wie Phönix aus der Asche?
Ein Rudel alter Wölfe
Eine Hängepartie macht auch der Front National (FN) durch. Die Wahlziele wurden 2017 von Marine Le Pen klar verfehlt. Nicht mal den Fraktionsstatus mit mindestens 15 Abgeordneten in der Nationalversammlung erreichte der FN. Er errang acht Sitze. Die Entdämonisierung des FN und damit seine Wählbarkeit sowie der Ausschluss des Parteigründers Jean-Marie Le Pen durch die eigene Tochter brachten bei den Wählern nicht den erwünschten Erfolg. Hinzu kamen ein Zickzackkurs zu Europa und dem Euro von einer müde wirkenden Marine Le Pen im entscheidenden zweiten Wahldurchgang gegen Macron. Die Schuld am Wahldesaster gab die schwächelnde Vorsitzende dem zweiten starken Mann im FN, Florian Philippot. Dieser hat den FN inzwischen verlassen und seine eigene rechtsextreme Partei Les Patriotes gegründet.
Selbst Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal wendete sich von ihrer Tante ab und legte alle Parteiämter nieder. Es rumort kräftig in den eigenen Reihen und die Gegner freuen sich schon über die Selbstzerfleischung der Rechtsextremen.
Marine Le Pen versucht die Flucht nach vorn und will der Partei einen neuen Namen geben, der das nationale Gedankengut kaschiert. Quasi als Bonbon stellte die frisch gewählte Parteivorsitzende auf dem Kongress Mitte März im nordfranzösischen Lille den neuen Namen „Rassemblement National“ („Nationale Sammlungsbewegung“) vor. Er soll mit dafür sorgen, dass die Franzosen die extreme Rechte zur Regierungspartei machen könnten. Und auch den Ehrenvorsitz, den der alte Haudegen Jean-Marie Le Pen innehat, will die neue alte Partei einkassieren. Damit hätte man nach außen hin die alten Bande gekappt. Doch im Prinzip steht die Partei – neuer Name hin oder her – in Frankreich für Rassismus und Faschismus. Das unterstreicht unter anderem der Auftritt des Ultranationalisten Steve Bannon, ehemaliger Chefstratege Donalds Trumps, auf dem Parteikongress der Ewiggestrigen. Die alten Wölfe in der Partei halten sich immer noch an ihre Lieblingsthemen Immigration und Anti-EU-Kurs. Das wurde in Lille deutlich.
Der Druck der Straße
Die wohl derzeit aktivste Oppositionspartei ist La France insoumise („Das unbeugsame Frankreich“) um den Europaskeptiker Jean-Luc Mélenchon. Der linke Politiker erhielt bei den Präsidentschaftswahlen fast 20 Prozent der Stimmen und sitzt heute als Abgeordneter in der Französischen Nationalversammlung. Immer wieder versucht er mit den Gewerkschaften und anderen linken Bewegungen gegen die Politik Macrons mobil zu machen. Er läuft Sturm gegen Macrons Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Reformen und versucht durch den Druck der Straße, politischen Einfluss zu nehmen. Bisher ist das kaum gelungen. Zu stark ist die Aura Macrons als leuchtender Stern am französischen Polithimmel. Vielleicht ist es aber auch die Erkenntnis vieler Franzosen, Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in der Rentenpolitik endlich zuzulassen und zu akzeptieren. Die Erholung der französischen Wirtschaft spielt wohl eher Macron zu. Doch Vorsicht ist auch für „Das unbeugsame Frankreich“ geboten: Der französische Staatspräsident sollte seine Landsleute gut genug kennen und wissen, wozu sie imstande sind. Schon so mancher Politiker Frankreichs hat seine ehrgeizigen Pläne auf der Straße begraben müssen.