Emmanuel Macron hat Ideen für Europa. Gemeinsam mit der neuen Bundesregierung will er die starke Achse Paris-Berlin wieder aktivieren – die Probleme in der EU sind groß, Stabilität ist gefragt. Die grüne Europapolitikerin Ska Keller sieht Macron dennoch kritisch.
Vor einem Jahr wurde Emmanuel Macron zum Staatspräsidenten von Frankreich gewählt und machte gleich neue Vorschläge für Europa. Was halten die Grünen im EU-Parlament davon?
Macron ist pro-europäisch, das finden wir auf jeden Fall gut. Aber in vielen Punkten fährt er nicht wirklich eine grüne Linie, so wie wir sie verstehen. Natürlich hat er Schwung in die ganze Europa-Debatte gebracht. Er hat auch das ganze Denken über Europa neu angeregt. Wenn ich mir jedoch die Umweltpolitik von Macron anschaue, gibt es ganz große Defizite, mit denen wir Grünen überhaupt nicht leben können.
Momentan hat Macron in seinem eigenen Land ganz erhebliche Probleme, seine Ziele umzusetzen zu können…
Ja, natürlich ist es nicht einfach, so festgefahrene Strukturen zu verändern. Aber man muss auch sehen: Viel wirklich Sinnvolles, das Macron vorgeschlagen hat, haben wir schon im Europäischen Parlament vorgeschlagen. Trotz alledem ist es wirklich gut, dass er nochmals Druck macht und gerade jetzt den europäischen Gedanken so neu belebt.
Hat es eine große Rolle gespielt, dass Deutschland seine Bundesregierung erst nach einem halben Jahr zustande bekam?
Europa hat nicht wirklich auf eine neue Bundesregierung gewartet, das haben einige Initiativen von Emmanuel Macron gezeigt. Aber klar ist, ohne ein abgestimmtes Verhalten der deutschen Regierung ist keine einheitliche Linie in Europa zu erreichen. Denn es kommt nicht nur auf Deutschland an. Sondern da sind die vielen kleinen Mitgliedsstaaten, die sich in bestimmten Fragen gegenseitig blockieren. Und diese kleinen Mitgliedsstaaten schauen schon sehr genau: Wie verhält sich Deutschland? Wir Deutschen spielen allein schon vom Finanziellen her eine bedeutende Rolle. Darum ist es gut, dass nun endlich eine neue Regierung die Arbeit aufgenommen hat.
Aber in Sachen Europa ist die neue Bundesregierung noch nicht so richtig in Erscheinung getreten.
Nein, das nicht, aber das wird sich vermutlich noch finden. Doch bei den Grundpositionen werden wir Grünen natürlich anderer Meinung sein. Zum Beispiel bei der Eurozonen-Reform: Da will die neue Bundesregierung Macron entgegenkommen, soweit ich das zumindest verstanden habe. Wenn aber eine konservative Bundeskanzlerin einem sozialistischen Regierungschef entgegenkommt, kann das aus grüner Sicht nicht wirklich zielführend sein.
Ein weiterer wichtiger Punkt in der künftigen europäischen Politik ist der Umgang mit Flüchtlingen. Innenminister Seehofer gibt den Hardliner. Das wird in Osteuropa zu Applaus führen. Aber ist man in den südeuropäischen Staaten nicht mehr als irritiert?
Ich bin sehr besorgt über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, denn bei dem, was ich wahrnehme, wird eines klar: Die Bundesregierung ist überhaupt nicht mehr interessiert an einer solidarischen Verteilung der Flüchtlinge. Das ist mehr als bedauerlich. Denn das heißt nichts anderes, als dass die europäischen Staaten mit einer Außengrenze in die volle Verantwortung für Flüchtlinge genommen werden, während dies für die Staaten innerhalb der EU bedeutet, dass diese keine Verantwortung übernehmen sollen. So funktioniert Integration nun mal nicht. Wir dürfen doch eines nicht vergessen: Wir sind eine Europäische Union. Wir tragen alle gemeinsam die Verantwortung auch für Flüchtlinge. Es können sich nicht einzelne aus der Verantwortung stehlen, und die andern müssen sehen, wie sie klarkommen.
Als weitere große EU-Aufgabe steht der Brexit an. Das muss für Sie als überzeugte Europäerin doch eine absolute Zumutung sein. So richtig klar ist der Weg zum Brexit doch weiterhin nicht, oder?
Ich kann verstehen, dass Premierministerin Theresa May in gewisser Weise herumlaviert, wenn es um die Scheidung von der EU geht. Denn die Briten selber sind sich mehrheitlich nicht mehr so sicher, und sie will schließlich wiedergewählt werden. Aber dieses Lavieren muss ein Ende haben. Denn die Fortschritte bei den Rechten für die Bürger beider Seiten täuschen nicht darüber hinweg, dass die Nordirland-Frage noch offen ist. Ebenso wie die Fragen der Rechte von Drittstaatsangehörigen, das Wahlrecht, der Status künftiger Ehepartner und die Rechte europäischer Bürger mit Behinderungen. Die Rechte der Bürger dürfen nicht zur Verhandlungsmasse werden. Die Uhr tickt, Premierministerin Theresa May muss sich jetzt festlegen.
Ein Knackpunkt innerhalb der EU ist auch die Justizreform in Polen. Die Mehrheit des Europäischen Parlaments ist der Auffassung, dass diese Reform teils schwere Verletzungen westeuropäischer Rechtsauffassungen beinhaltet. Trotzdem hält die polnische Regierung an der Justizreform fest.
Die polnische Regierung will den Rechtsstaat aushöhlen und ignoriert die Proteste polnischer Richter, Staatsanwälte und Tausender polnischer Bürger. Die EU-Regierungen dürfen sich nicht wegducken und müssen ohne Rücksicht aufs Parteibuch gegen die Gefährdung des polnischen Rechtsstaats vorgehen. Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union steht auf dem Spiel.
Und dann droht der Europäischen Union noch ein Handelskrieg, ausgelöst vom US-Präsidenten Donald Trump. Wie kann man diesen Handelskrieg vermeiden und die Interessen der Europäischen Union vertreten, wenn es dem US-Präsidenten egal ist, wie die Staaten untereinander vernetzt sind?
Der amerikanische Präsident droht, den Multilateralismus seiner eigenen Agenda unterzuordnen und die internationale Ordnung auf den Kopf zu stellen. Donald Trump schert sich nicht um internationales Recht. Die Europäische Union sollte mit einem Verfahren vor der Welthandelsorganisation reagieren. Die Europäische Union kann sich bis zu einer Entscheidung der Welthandelsorganisation wehren, sollte aber eine Eskalation vermeiden. Langfristig würden in einem Handelskrieg alle verlieren. Die Europäische Union muss den Multilateralismus entschlossen verteidigen.
In einem Jahr, Ende Mai 2019, ist Europawahl – bis dahin gibt es viel zu tun. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben des EU-Parlaments bis dahin?
Gerade die Eurozonenreform ist ein Megaprojekt, das muss auf jeden Fall auf den Weg gebracht werden. Mit den jetzigen Mehrheiten ist dies noch möglich. Ob da in einem Jahr noch etwas zu machen ist, weiß niemand, denn die Rechten drohen stärker zu werden. Wichtig ist auch der Umgang mit den Rechtstaatlichkeitsverstößen einzelner Mitglieder. Und, nicht zu vergessen: Wie wollen wir als Europäer gegen den Klimawandel vorgehen? Deutschland allein als Vorreiter genügt da nicht. Das sind große Themen, die wir bewältigen müssen.