Schon seit einigen Jahren bemühen sich diverse Designer um ein Comebackdes Hawaiihemdes. Diesen Sommer soll das knallbunte, kurzärmelige Aloha-Shirt mit seinen tropischen Prints auch in Deutschland wieder den Status als Modesünde verlieren.
Es ist mehr als ungewöhnlich, dass ein junger, aufstrebender Popsänger, der sich vom vormals aalglatten Boyband-Image verabschieden möchte, ausgerechnet das Hawaiihemd zu seinem Bekleidungs-Markenzeichen erhoben hat. So derzeit staunend zu besichtigen bei dem 24-jährigen Engländer Harry Styles, dem Ex-Mitglied von One Direction und der neuen Streetstyle-Ikone. Das internationale Männermagazin „GQ“ hat den Musiker denn auch gleich zum „Prince of Prints“ gekürt. Übrigens ohne jegliche satirischen Hintergedanken.
Die Harry-Styles-Statur ist dem Tragen des kurzärmeligen Freizeithemdes förderlicher als diejenige eines Homer Simpson, der als übergewichtiger Protagonist der Zeichentrick-Serie „Die Simpsons“ und bekennender Aloha-Fan seiner Frau eines Nachts im Bett erklärt: „Es gibt nur zwei Arten von Kerlen, die Hawaiihemden tragen: Schwule und dicke, fette Partytiere.“ Zu viel Wölbung unter dem Palmenprint wird jedenfalls unweigerlich Erinnerungen an dickbäuchige Touristen wecken.
Und dass die Jugendlichkeit eine ganz zentrale Rolle beim perfekten Aloha-Outfit spielt, hatte bereits das „Honolulu Magazine“ im Jahr 1967 erkannt: „Die Wahrheit ist, dass fast kein Mann über 30 in einem Aloha-Shirt gut aussieht.“
Das ist vielen Hawaii-Hemden-Trägern im Rentenalter weltweit offenbar egal. Speziell in Deutschland hat das Hawaiihemd stets ein modisches Randdasein gepflegt und war lange Zeit als schlimme Modesünde verrufen. Spätestens diesen Sommer soll damit Schluss sein – zumindest nach Meinung der „Vogue“, die allen modebewussten Herren der Schöpfung quasi die Anschaffung eines Hawaiihemdes zur obersten Pflicht erklärt.
Motive von Ozeanwellen über Vulkanausbrüche
Raffinesse ist nicht gerade ein besonderes Kennzeichen des Hawaiihemdes. Der Schnitt ist einfach, gerade, weit, keinesfalls tailliert. Auch der Saum verläuft gerade, weil das Hemd traditionell über der Hose getragen werden soll. Das wollten aktuell einige Designerlabels wie Louis Vuitton oder Balenciaga offenbar ändern, jedenfalls ließen sie ihre Models auf dem Laufsteg für den Sommer mit in die Hose gestopften Shirts posieren. Die Hemdtaschen sollten das Muster keinesfalls unterbrechen, die Knöpfe sollten bei hochkarätigen Teilen auf jeden Fall aus Kokosnussschalen gefertigt sein. An Materialien werden heute wieder vor allem Seide, Baumwolle, Baumwollmischgewebe oder Viskose verwendet, nachdem zwischen den 60er- und 80er-Jahren häufig Polyester, Acryl oder synthetische Mischgewebe verarbeitet worden waren. Die ersten Hawaiihemden überhaupt wurden in den 30er-Jahren vornehmlich aus Seide, Crêpe de Chine oder Baumwolle in Handarbeit geschneidert, bald schon kam die Kunstfaser Viskose hinzu, mit deren Hilfe die Farbtiefe der Prints deutlich gesteigert werden konnte.
Was die Motive betrifft, so gibt es eigentlich kaum Beschränkungen. Exotische Blumen, Blätter, Früchte, Tiere, Landschaften, Boote, Fischernetze, Ozeanwellen, Vulkanausbrüche – das alles ist möglich. Je bunter und auffälliger, desto besser. Zurückhaltung ist anderswo, die Shirts sollen knallen. Das gilt diesen Sommer auch für neue Modelle von Paul Smith, Dsquared2, Sandro, Cerutti, Palm Angels oder Antonio Marras, während die Hemden von Balenciaga und vor allem von Louis Vuitton farblich etwas dezenter gehalten sind.
Gangster-Look in älteren Filmen
Die diversen Vorläufer des Hawaiihemdes stammen aus dem 19. Jahrhundert, als unter den zahlreichen Einwanderern aus Asien jede Menge Schneider waren. Angeblich tauchten bereits um 1840 erstmals bunte Hemden auf den Straßen Honolulus auf. Allerdings dürfte es sich dabei noch nicht um Aloha-Shirts gehandelt haben. Erst im Laufe der Zeit vermischten sich abstrakte Blüten- und Blumenmuster des tahitianischen Pareos, einer Art Südsee-Sarong, mit den Schnitten von Arbeitshemden chinesischer Plantagenarbeiter und den Berg-, Wasserfall- und Kirschblütenmotiven japanischer Kimonos. Um das Jahr 1930 wurde dann das erste Hawaiihemd zusammengenäht.
Mit den Hemden wurde von Anfang an der Sehnsuchtstraum des unberührten Paradieses und das Lebensgefühl der ewigen Freiheit verkauft. Die immer zahlreicher einfallenden Touristen waren ganz wild auf die bunt gemusterten Teile. Die auf Hawaii stationierten US-Soldaten trugen sie als Freizeitkluft und brachten sie nach Ablauf ihrer Dienstzeit mit nach Hause. Die Popularität der Hawaiihemden in Amerika wurde aber auch durch Film- und Musikstars wie Bing Crosby, Montgomery Cliff und Frank Sinatra, Elvis Presley oder Tom Selleck gefördert. Nicht zu schweigen von den beiden US-Präsidenten Truman und Eisenhower, die sich im Vorfeld der Aufnahme der Inseln als 50. Staat der USA 1959 in Hawaiihemden fotografieren ließen. Die lokale Surferlegende Duke Kahanomoku, der auch im Schwimmen dreimal olympisches Gold gewonnen hatte, steigerte fortan als offizieller Botschafter Hawaiis den Bekanntheitsgrad der Hemden. In seiner Heimat selbst wurden sie nach und nach sogar als Business-Dress akzeptiert. Zunächst ab 1948 am „Aloha Wednesday“, wenig später am „Aloha Friday“, dem direkten Vorbild für den heutigen „Casual Friday“, in den 50er-Jahren schließlich als Businesskleidung für den gesamten Sommer.
Ausgerechnet die bunt-flippigen Hippies wollten mit den Hemden nichts am Hut haben. Alles, was die Vätergeneration für gut befunden hatte, stand plötzlich für Spießertum. Gene Hackman stolperte 1974 in „French Connection 2“ auf Bullen-Mission mit blau-gelbem Shirt als Tarnung durch Marseille. Auch später haftete dem Hemd auf der Leinwand häufiger noch ein Gangster- oder Desperado-Image an, beispielsweise bei „Scarface“ mit Al Pacino 1983, bei „Arizona Junior“ mit Nicolas Cage 1987, bei „Romeo und Julia“ mit Leonardo DiCaprio 1996 oder bei „Fear and Loathing in Las Vegas“ mit Johnny Depp 1998.
Während Tom Selleck dem Hawaiihemd in den 80er-Jahren seinen vorerst letzten Höhepunkt beschert hatte, dürfte es seinen absoluten Tiefpunkt 2002 erlebt haben: Als ein Polizeifoto den zugedröhnten Schauspieler Nick Nolte nach seiner Festnahme im Hawaiihemd zeigte. Seit 2011 haben verschiedene Menswear-Designer Sommer für Sommer immer wieder versucht, das traditionsreiche Shirt in der Modeszene neu zu etablieren. Man darf gespannt sein, ob es ihnen 2018 endlich gelingen wird. Bürotauglichkeit wird dem schrillen Hemd hierzulande noch immer nicht bescheinigt werden können.
Auch für Frauen wird eine dringende Kaufempfehlung für das Tropical-Shirt ausgesprochen, schließlich sind die 80er mega-angesagt und die Hawaiihemden, vor allem die originellen Modelle aus der Herrenabteilung in kleineren Größen, könnten als perfekte Alternative zu sexy Blusen mit Gute-Laune-Garantie eingesetzt werden. Paradebeispiel ist Diane Kruger, die zu ihrem 40. Geburtstag im Juli 2016 in einem aufsehenerregenden Aloha-Shirt aufgetreten war. Deshalb klassifizierte das Münchener Mode-Portal „Stylight“ die Hawaiihemden gleich als „absolut fashiontauglich“ für Menschen „ohne Bierbauch und behaarte Brust“, sprich für Damen. Letzten Sommer waren tropische Prints vor allem in den Kollektionen von Max Mara, Alexander Wang (Hoodies) und House of Hollands (Schlaghosen und Slip-Dresses) aufgetaucht.
Und nun, im Frühjahr und Sommer, geht es in Sachen Tropicana in der Damenmode munter weiter. Einige Designer, beispielsweise Isabel Marant, Michael Kors, Jacquemus, Gucci, Baja East, No. 21 oder Kate Spade, haben offenbar Hibiskusblüten oder Palmenblätter als willkommene Abwechslung zu den üblichen Blumenmotiven für sich entdeckt. Das bedeutet aber keineswegs, dass die genannten Labels eigene Hawaiihemden entworfen hätten. Wozu auch? Die gibt es ja schließlich diesen Sommer für interessierte Ladys zuhauf in der Herrenabteilung zu kaufen.