Der Saarbrücker Presse- und Industriefotograf Paul Hartmann dokumentierte die Warenwelt des Saarlandes der Jahre 1949 bis 1963 in ausdrucksstarker Weise. Der Fotoband „Wirtschaftswunder" präsentiert in acht Kapiteln – Schaufenster, Gebäude, Marken, Innenräume, Produkte, Autos, Geschäfte, Kino/Radio/Fernsehen – zwei Jahrzehnte als vergnüglichen Bilderbogen. Die Texte zu den Bildern verfasste Dr. Paul Burgard vom Landesarchiv Saarbrücken.
SCHAUFENSTER
In der letzten Aprilwoche 1960 feiert das „PK" in einem Schaufenster die neue deutsch-französische Freundschaft mit Michel und Marianne, den Symbolfiguren der beiden Nationen. Dass es „zusammen besser geht", wurde in jenen Tagen mit der Eröffnung des Deutsch-Französischen Gartens (DFG) und der ersten französischen Woche im Saarland symbolträchtig untermauert. Und genau deswegen waren Michel und Marianne nicht nur in den DFG, sondern auch in die Bahnhofstraße gekommen. Weil das Puppen-Pärchen die Vereinigung vor der Pariser Garnier-Oper zelebriert hatte, konnte ein nobles Bühnenbild für die Inszenierung der neusten Mode mitgeliefert werden.
GESCHÄFTE
Von den Waschmitteln zur Rechten (Sunil, Ata, Persil) über die Wahlster-Nudeln und Backfett von Edelpalm bis hin zu Wacholder, Cinzano und Cognac auf der Linken zeigt das Edeka in Merchweiler die große Bandbreite der Produkte, die man im saarländischen Wirtschaftswunder auch auf dem Land wünschte und bekam. Die friedliche Koexistenz von saarländischen, deutschen und internationalen Waren ist dabei weniger erstaunlich als das unmittelbare Aufeinandertreffen von Schokoladenartikeln mit Fleisch-, Fisch- und Wurstwaren. Ein solches Arrangement trifft man heute eher selten an; damals mussten sich solche Produkte den noch knapp bemessenen Platz in Kühlregalen teilen. Nur deswegen konnten Schokohasen und „Mohrenköpfe" die lange Zeit zwischen der Aufnahme am 5. März und dem Ostertermin 1958 (6. April) überleben.
INNENRÄUME
So sah sie aus, die legendäre Europa-Bar, die 1954 im Haus des ehemaligen Scala-Kinos ihre Pforten öffnete. Für das spacige Ambiente sorgten die Stahlrohrmöbel von Becker und glänzende Dekostoffe, vor allem aber die Weltkugel und der Sternenhimmel mit den Tierkreiszeichen an der Decke. Das Europa-Image wurde unter anderem auf den rechts und links sichtbaren Medaillons – europäische Motive wie Männeken Piss, Eiffelturm, Turm von Pisa und das Saarbrücker Rathaus (!) zeigend – betont, kam aber angeblich auch in der Mehrsprachigkeit der Bedienungen zum Ausdruck. 1955 übernahm die SR-Legende Fritz Sekula den Laden, der über viele Jahre die jeunesse dorée des Landes mit ihrem Faible für Jazzmusik an diesem Ort begeisterte.
GEBÄUDE
Wenige Monate nach der Kreissparkasse eröffnete die Stadtsparkasse Saarbrücken am 2. November 1957 eine eigene Kasse für Autokunden an der Ecke Richard Wagner-/Dudweilerstraße. Während die Kreissparkasse, die diese Innovation als erste in der Bundesrepublik einführte, sich mit einem Autoschalter begnügen musste, war die Einrichtung der Stadtsparkasse als eine von 54 „echten" Filialen konzipiert, also auch mit Personal besetzt. Die Philosophie einer „autogerechten" Abwicklung der Geldgeschäfte jenseits tatsächlicher und vermeintlicher Parkplatznöte verweist ebenso auf die Modernitätsvorstellungen der Wirtschaftswunderzeit wie die Architektur der Autokasse in „Tropfenform".
KINO, RADIO, FERNSEHEN
Die Dekorateure in der Elektroabteilung des „PK" wussten die Sehnsüchte ihrer Kunden anzusprechen: „Fernsehen müsste man haben", war hier am 14. September 1959 zu lesen. Und als ob sie damit dokumentieren wollten, dass dies für die allermeisten Menschen im Saarland auch nach der wirtschaftlichen Rückgliederung in die Bundesrepublik noch lange ein unerfüllbarer Wunschtraum bleiben musste, wurde nicht nur im Konjunktiv formuliert. Auch die Platzierung des Traums vom eigenen Pantoffelkino ausgerechnet über einem Sammelsurium von Radiogeräten zeigte symbolträchtig, dass die Mattscheibe im Wohnzimmer bis zum Ende des Wirtschaftswunders ein Privileg einer starken Minderheit blieb, in der „alten" ebenso wie in der ums Saarland vergrößerten Bundesrepublik.
MARKEN
Becker und Karlsberg, Bayer und Sinalco, Schröder, Foto Gressung und das Café Delft, deutsche und saarländische Marken nutzten genauso wie die einheimische Geschäftswelt die Gelegenheit, mit Leuchtreklame ihre Produkte und Unternehmen auch nachts zum Strahlen zu bringen. Die Aufnahme entstand in den Abendstunden des 5. April 1960 in der Saarbrücker Reichsstraße. Hartmanns Auftraggeber war der Bierverlag Köhl, der eigentlich und vor allem die hoch über dem Delft schwebende Sinalco-Werbung eingefangen haben wollte, jene Limonade also, die Köhl in saarländischen Gaststätten und Haushalten vertrieb.
PRODUKTE
Um die Qualität der von ihr vertriebenen Rechenmaschinen unter Beweis zu stellen, präsentierte Union-Zeiss auf der Saarmesse 1951 nicht nur die neuesten Exemplare dieser Apparate, sondern eine angeblich seit 1920 ununterbrochen in Betrieb befindliche Maschine. Damit war der Dauerrechner sogar älter als das Saarbrücker Unternehmen selbst, das 1923 als Ableger des Frankfurter Mutterhauses gegründet worden war und in der Eisenbahnstraße 60 Mitarbeiter beschäftigte.
AUTOS
Ein besonders putziges Kapitel der automobilen Saargeschichte wurde von Kabinenrollern geschrieben, denen von Heinkel zum Beispiel, die 1956, im gleichen Jahr wie die berühmte Isetta von BMW, auf den Markt kamen. Auf der Saarmesse wurde der Kabinenroller neben Moped-Perle und Tourist-Motorroller präsentiert, drei Produkten aus dem Angebot von Ludwig Henseler, der in der Saarbrücker Eisenbahnstraße die Generalvertretung von Heinkel im Saarland führte.