Kein Berufsverkehr, keine nervigen Kollegen, keine Ablenkung: Arbeiten im Homeoffice lohnt sich nicht nur für Eltern. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland bei flexiblen Arbeitszeitmodellen aber hinterher.
Zwei Bildschirme, ein Laptop und ein Kind auf dem Schoß: So sieht Monika Brauns Arbeitsplatz aus, zumindest an manchen Tagen. Die junge Mutter aus dem baden-württembergischen Offenburg arbeitet beim Klebeband-Hersteller Tesa. Seit der Geburt ihrer Tochter Lina, die heute ein Jahr alt ist, befindet sich Braun in Elternzeit. Ganz aufhören wollte sie nie; stattdessen hat sie ihr Arbeitspensum auf 20 Stunden im Monat heruntergeschraubt – eine Arbeit, die sie vom heimischen Schreibtisch aus erledigt.
„Für mich ist das Homeoffice super, weil ich während der Elternzeit weiter nah an meinen Themen dran bin", sagt die 35-Jährige. „Wenn ich anderthalb Jahre draußen wäre, würde mir der Wiedereinstieg sicher schwerer fallen." Als Mitarbeiterin der Personalabteilung kann sich Monika Braun ihre Zeit einteilen: Bewerbungen sichten, Kandidaten anrufen, Gesprächstermine vereinbaren – all das geht auch dann, wenn Lina gerade schläft oder sich ihr Vater um sie kümmert. Praktischerweise arbeitet er als Selbstständiger ebenfalls von zu Hause aus.
Viel mehr als ein Telefon und eine schnelle Internetverbindung braucht Monika Braun nicht, um ihre Aufgaben zu erledigen. „Meine Kollegen können mich jederzeit erreichen", sagt die Heimarbeiterin. „Wenn mal was nicht klappt, kann ich die IT anrufen. Die helfen sofort." Ganz so locker-fröhlich, wie sich manche das Homeoffice vorstellen, sei es aber nicht, betont Braun, denn arbeiten müsse man ja trotzdem. „Selbstdisziplin gehört dazu. Man muss sich entscheiden, ob man abends mit dem Partner auf dem Sofa liegt oder den PC noch mal hochfährt."
Mit ihrem Modell ist Braun nicht allein. Längst nicht nur Eltern wünschen sich mehr Flexibilität, was Präsenzarbeit anbelangt. Auch für pflegende Angehörige kann Homeoffice eine Entlastung darstellen, genau wie für alle anderen, die nicht zwingend in einem Büro-Komplex sitzen müssen. Auch die deutsche Wirtschaft scheint dieses Bedürfnis zunehmend zu erkennen. Bei einer Umfrage des Personaldienstleisters Manpower vom März 2017 gaben 23 Prozent der Befragten an, dass ihr Unternehmen die Heimarbeit erlaubt. Der Branchenverband Bitkom geht in einer eigenen Umfrage sogar von 30 Prozent aus. Gefragt wurde allerdings nach der reinen Möglichkeit von Homeoffice. Die Zahl derjenigen, die tatsächlich das Büro gegen die eigene Wohnung tauschen, ist deutlich niedriger. Im Vergleich zu anderen Staaten liegt Deutschland sogar unter dem EU-Durchschnitt.
Wichtig ist das schnelle Internet
Selbst in Betrieben, die flexibles Arbeiten fördern, können nie alle Angestellten davon profitieren. Wer als Wachmann patrouilliert oder Autos zusammenschraubt, kann das schlecht vom Sofa aus tun. Zumal längst nicht alle Betriebe, die sich nach außen als modern geben, diesem Anspruch auch gerecht werden. „Es reicht nicht, dass die Möglichkeit zum Homeoffice besteht", sagt Nina Junker, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpsychologie der Uni Frankfurt. „Viel wichtiger ist die Erwartungshaltung. Werden Arbeitnehmer aufs Abstellgleis geschoben, wenn sie die Angebote wahrnehmen? Tuscheln die Kollegen? Oder ist es den Unternehmen wirklich ernst?"
Dass es gravierende Unterschiede gibt, zeigt eine Studie, die Junker derzeit auswertet. Bei der nicht-repräsentativen Umfrage wurden deutschlandweit 250 berufstätige Eltern nach ihren Erfahrungen gefragt. Zwar lag der Schwerpunkt der Studie auf neu gewonnenen Kompetenzen (Gelassenheit, Multitasking, Konflikt-Management). Die Möglichkeit zum Homeoffice spielte jedoch ebenfalls eine Rolle. Ein erster Trend lässt sich laut Junker bereits erkennen: „Je ernster die Angebote, desto eher werden sie angenommen."
Auch der Weg zum Arbeitsplatz spielt eine Rolle. So auch bei Martina Pfundstein, die als Beamtin im Landratsamt Ortenau arbeitet. Für die Betreuung ihrer Kinder ist gesorgt: Ihre vierjährige Tochter geht in den Kindergarten, ihr einjähriger Sohn bleibt meist bei den Großeltern – die allerdings in entgegengesetzter Richtung vom Arbeitsplatz wohnen. „Wenn ich morgens mein Kind zu den Großeltern bringe, bin ich fast eine Stunde unterwegs", sagt Pfundstein. „Es war klar, dass das nicht jeden Tag geht."
Die Lösung: weniger Arbeit (20 Stunden pro Woche) bei flexibler Aufteilung. Immer montags nutzt Pfundstein ihr heimisches Arbeitszimmer; dienstags und donnerstags geht sie ins Büro. „Die Arbeit geht gut von zu Hause aus", sagt die 33-Jährige, die im Bereich Con-trolling und Organisationsentwicklung tätig ist. „Es klingelt nicht ständig das Telefon. Es kommt kein Kollege zur Tür rein. Die Konzentration ist einfach besser." Weil das Landratsamt digitale Akten nutzt, entfällt lästiger Papierkram. „So muss ich nicht jedes Mal zwei Leitz-Ordner mit nach Hause schleppen", freut sich Pfundstein.
In der Behörde ist die mobile Telearbeit (wie das Homeoffice im Amtsdeutsch heißt) seit dem Jahr 2010 möglich. Aktuell arbeiten von 2.082 Beschäftigten 71 an manchen Tagen zu Hause, Tendenz steigend. Eine Dienstvereinbarung regelt die Details: Bildschirme, Rechner und Tastaturen werden gestellt, Zugänge zum Server eingerichtet. Das Landratsamt profitiert nach eigener Aussage von den ausgelagerten Arbeitsplätzen: „So bleibt Fachwissen erhalten, und es können durch Desk-Sharing (Nutzung eines Arbeitsplatzes durch mehrere Personen) Raumressourcen effektiv genutzt werden", heißt es aus der Behörde.
Homeoffice braucht klare Regeln
Dennoch ist es zu früh, um von einem klaren Trend in der Arbeitswelt zu sprechen. So sehr es viele Unternehmen reizt, ihren Mitarbeitern zusätzliche Freiräume zuzugestehen, so sehr fürchten sich andere vor Chaos und Kontrollverlust. Oder die erhofften Vorteile treten eben doch nicht ein, so wie beim amerikanischen IT-Konzern IBM: Jahrelang hatte sich der Homeoffice-Anteil im Unternehmen stetig erhöht; zuletzt arbeiteten rund 40 Prozent der weltweit 386.000 Mitarbeiter zumindest teilweise von zu Hause aus.
Doch im vergangenen Jahr ruderte die Chefetage plötzlich zurück: 2.600 Beschäftigte aus der Marketing-Abteilung müssen künftig wieder im Firmenbüro sitzen – um sich „Schulter an Schulter" besser auszutauschen, wie es in einer Erklärung hieß. Der Technik-Riese Yahoo hatte bereits 2013 einen noch radikaleren Schritt unternommen: Ausnahmslos alle Mitarbeiter wurden ins Büro zurückbeordert. Einige der besten Ideen entstünden auf dem Flur, in der Cafeteria oder bei spontanen Team-Meetings, hieß es damals zur Begründung.
Wie die aktuelle Situation in Deutschland aussieht, lässt sich nur schwer einschätzen, da die meisten Statistiken schon mehrere Jahre alt sind. Vordergründig spricht sich kaum jemand gegen Homeoffice aus. Trotzdem wollen sich viele Betriebe entweder gar nicht oder nur unter der Hand dazu äußern. Der Tenor ist klar: im Einzelfall gerne, regulär lieber nicht. Selbst in Unternehmen mit mehreren Hundert Beschäftigten ist flexibles Arbeiten oft nicht geregelt. Statt konkreter Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Belegschaft geschieht vieles auf Zuruf.
Der Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden (WVIB) sieht das kritisch. „Einzelfalllösungen aus gutem Willen haben sich als nicht tragfähig erwiesen, da diese ganz schnell eine Eigendynamik entwickelten und Mitarbeiter unerwartet nicht mehr erreichbar waren", sagt die stellvertretende WVIB-Hauptgeschäftsführerin Heidrun Riehle. Homeoffice bedeute für die Stammbelegschaft eben nicht „einfach freitags mit dem Laptop vom heimischen Schreibtisch aus seinen Beitrag zu leisten." Stattdessen brauche es klare Regelungen zu IT-Sicherheit, Datenschutz und Arbeitssicherheit.
So sieht es auch Landratsamt-Mitarbeiterin Marina Pfundstein. Komplett im Homeoffice zu arbeiten, könnte sie sich nicht vorstellen. „Ich brauche die Präsenz, den Buschfunk, die direkte Rückmeldung", sagt die 33-Jährige. Die jetzige Lösung – einen Tag daheim, zwei Tage im Büro – findet sie genau richtig. Bei Tesa-Mitarbeiterin Monika Braun sieht es etwas anders aus. Nach der Elternzeit wird sie wieder komplett ins Tesa-Werk zurückkehren. „Wenn ich aus dem Büro nach Hause gehe, versuche ich keine Arbeit mitzunehmen und bewusst Feierabend zu machen", sagt die 35-Jährige. Für sie ist die Sache klar: „Beides hat Vor- und Nachteile."