Der Berliner Dialekt ist ja allenthalben auf dem Rückzug, in Berlin ist er immer seltener zu hören. Wer kennt noch den Eckensteher Nante, den Rixdorfer oder Bolle, der gerne zu Pfingsten reiste? Der richtige Zeitpunkt also für diese Anthologie, die erste, die sich der berlinerischen volksnahen Sprache widmet. Mit 250 Gedichten wird hier sozusagen die Berliner Kulturgeschichte „von unten" geschrieben.
Nebenbei zeichnet sie auch die deutsche Geschichte der letzten 200 Jahre nach. Zumal Berlin wirklich alles erlebt hat: von der Monarchie über die Republik, vom Faschismus über Kommunismus bis zur Demokratie. Im Vorwort kommt ein „Zugezogener" zu Wort, der schnell lernen musste, dass es in Berlin nicht Brötchen, sondern Schrippe heißt, und dass ein Berliner hier Pfannkuchen genannt wird. Er dürfte beileibe nicht der einzige sein, der eine „Hassliebe" zum Berliner Dialekt entwickelte, der „nur im ersten Moment Lächeln erregt, auf die Dauer aber das Ohr beleidigt", wie Fontanes Freund Willibald Alexis schrieb. Um dann auszuführen, dass das Berlinische kein Dialekt sei, sondern streng linguistisch einen Metrolekt bildet, also eine Metropolensprache, die in den ortsüblichen Dialekt eingebettet ist.
Versammelt sind im Buch Klassiker wie Theodor Fontane, Otto Reutter, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky, Erich Kästner, aber auch moderne Dichter wie Wolf Biermann, Tanja Dückers, Katja Lange-Müller und Helga Hahnemann. Adolf Glaßbrenner, Friedrich Eduard Moll oder Julius Lohmeyer dürften dagegen eher wenigen bekannt sein. Für Berlin-Neulinge gibt es am Ende ein Glossar, das aufklärt über Wörter wie „Fettluke" (Imbissbude), „aus’m Mustopp" (schwer von Begriff), „Lorke" (dünner Kaffee) oder „knülle" (völlig betrunken). Ein Buch, von der ersten bis zur letzten Seite vergnüglich zu lesen – und laut vorlesen bringt hier noch einmal zusätzlichen Spaß!