Wenn es keine Chancen auf Heilung gibt, bleibt vielen schwerkranken Menschen nur noch die Palliativmedizin. Neben den medizinischen Möglichkeiten sind es vor allem die Mitarbeiter, die den Patienten Halt und Trost geben. Wie zum Beispiel am Caritas-Klinikum Saarbrücken St. Theresia.
Das unser Leben reicher macht" steht auf der Pinnwand auf der Palliativstation des Caritas-Klinikums Saarbrücken St. Theresia auf dem Rastpfuhl. „Meine Familie", „Ehrlichkeit", „Zeit mit Menschen", „Warten auf meinen Ur-Enkel", haben Patienten darunter vermerkt.
„Reichtum", „Geld", „Luxus" sind nicht aufgezählt. Weil sie am Ende eines Lebens nicht mehr wichtig sind? Weil plötzlich nur noch das Zwischenmenschliche zählt?
Häufig kreisen Fragen von Palliativpatienten, denen die Ärzte keine Heilung mehr versprechen können, um existentielle, spirituelle oder alltägliche Dinge, aber selten um Aktienkurse, Entwicklungen von Fonds oder Wertsteigerungen von Immobilien.
Es geht um Fragen, mit denen das multiprofessionelle Team der Palliativstation regelmäßig konfrontiert wird und auf deren Beantwortung die Patienten von den Ärzten, vom Pflegepersonal, den Psychologen, Seelsorgern, Musik- und Kunsttherapeuten, Physiotherapeuten und Mitarbeitern des Sozialdienstes glaubwürdige und entlastende Antworten erhoffen:
Warum ich? Was habe ich bloß verbrochen, dass ich so leiden muss? Warum lässt Gott das zu? Bleibt mir noch genügend Zeit, mich mit meiner Tochter auszusöhnen? Wann hören endlich diese höllischen Schmerzen auf? Was mache ich gegen meinen trockenen Mund oder gegen Verstopfung?
Als Krankenhausseelsorgerin kann Ursula Kaspar diesbezüglich viel erzählen. „Viele hadern mit ihrem Schicksal, oft blicken sie auf ihr Leben zurück und wägen ab, was war bedeutsam, was nicht", erzählt die Diplom-Theologin. „Eine Frau erzählte mir voller Traurigkeit, dass sie eigentlich nicht viel in ihrem Leben geleistet habe. Keine Berufsausbildung, ‚nur‘ Hausfrau und Mutter. Ich habe sie weiter nach ihrem Leben gefragt, und sie erzählte, dass sie ihren Mann im Krieg verloren und die Kinder alleine großgezogen habe. Und da wurde ihr bewusst, dass das doch eine enorme Lebensleistung ist, auf die sie stolz sein kann. Das hat sie zufrieden gestimmt."
„Es ist uns wichtig, am Bett unserer Patienten zu sitzen"
Blicken Männer und Frauen unterschiedlich auf ihr Leben zurück?
„Oh ja, Männer reden viel über ihre berufliche Entwicklung", sagt Ursula Kaspar. „Frauen sprechen über familiäre Schicksalsschläge, wie zum Beispiel verschwiegene Fehlgeburten, und wagen sich erstmals einzugestehen, was der Verlust des Kindes für sie bedeutet hat. Ältere Patienten erinnern sich häufig an traumatische Kriegserlebnisse, wie zum Beispiel Bombenangriffe, Flucht, extreme Gewalt und in manchen Fällen auch verheimlichte Vergewaltigungen. Aber auch Schuldgedanken und der Wunsch auf Aussöhnung mit nahen Verwandten beschäftigen viele Patienten."
Angst vor der Hölle spielt in den Gesprächen kaum eine Rolle „Aber viele philosophieren über ihre Vorstellung von einem Leben nach dem Tod", sagt Marina Schwoll. Die 31-jährige Fachkrankenschwester für Schmerztherapie, Onkologie und Palliativmedizin sieht ihre Aufgabe auf der Palliativstation nicht nur in der Körperpflege und medizinischen Versorgung der Patienten. „Hier auf der Palliativstation habe ich mehr Zeit für alle Belange der Patienten. Gerade deshalb bin ich vor vier Jahren von der Inneren Abteilung auf die Palliativstation gewechselt. Früher hatte ich das Gefühl, meine Arbeit am Patienten nicht zu Ende gebracht zu haben."
In den anderen Abteilungen des Klinikums stehen an erster Stelle die schnelle Gesundung und die Entlassung des Patienten. Auf der Palliativstation geht es darum, die körperlichen Beschwerden einer unheilbaren, fortgeschrittenen Erkrankung zu lindern und zugleich auch die damit verbundenen psychosozialen Probleme zu mildern.
„Ich weiß, dass es keine Heilung mehr für unsere Patienten gibt. Aber ich kann den Patienten die Möglichkeit geben, den Rest ihres Lebens – Monate, Wochen oder Tage – in bestmöglicher Lebensqualität selbstbestimmt und ohne unnötiges Leid zu verbringen", so Marina Schwoll.
„Es ist uns wichtig, am Bett unserer Patienten zu sitzen, dabei ihre Hand zu halten und ihnen zuzuhören, wenn sie aus ihrem Leben, von ihren Sorgen und ihren Ängsten erzählen. Patienten geben uns Einblicke in ihr Leben, die sie sonst keinem gewähren. Ich habe schon erlebt, dass sich auf unserer Station Mutter und Sohn nach vielen Jahren versöhnt haben oder dass sich Vater und Tochter per Zufall auf dem Flur begegnet sind und sich nach jahrelanger Funkstille in die Arme gefallen sind. Aber auch das Gegenteil ist schon vorgekommen. So hat eine schwer krebskranke Frau ihre Schwester abgewiesen, die sich mit ihr aussprechen wollte. Da war nur noch Hartherzigkeit."
„Es gibt immer wieder Ereignisse, aus denen wir Kraft schöpfen"
Wie geht man mit so vielen Emotionen um? „Auch wenn wir mit den familiären Problemen unserer Patienten konfrontiert werden, können wir sie nicht lösen. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein", sagt Marina Schwoll.
„Außenstehende denken vermutlich, dass wir viel von unserer Arbeit mit nach Hause nehmen", ergänzt Oberärztin Dr. Frauke Backes. „Aber es ist nicht unser Schicksal. Wir tauschen uns im Team aus, können mit Psychologen sprechen, haben Supervision. Sicherlich, unsere Arbeit ist anstrengend", sagt die 53-jährige Internistin, Onkologin und Palliativmedizinerin. „Ich bin nach der Arbeit oft müde. Aber es gibt immer wieder besondere Ereignisse, aus denen wir Kraft schöpfen, wie zum Beispiel das Erfüllen spezieller Wünsche. So fragte kürzlich eine Patientin, ob sie denn ihr Eheversprechen nochmals bekräftigen könne. Wir haben daraufhin eine kleine Trauerfeier organisiert. Dem Ehemann habe ich geraten, den gleichen Brautstrauß wie zur Hochzeit vor 30 Jahren zu besorgen. Als seine Frau den Strauß sah, war sie sehr gerührt. Das war auch für uns herzerweichend."
Ihre Arbeit erlebt die gebürtige Braunschweigerin trotz der Aussichtslosigkeit auf Heilung ihrer Patienten als erfüllend und sinnstiftend. „Ich kann viel tun, damit es den Patienten besser geht, dass sie schmerzfrei sind, dass ihre Betreuung nach der Entlassung von der Palliativstation bestens geregelt ist, sei es in der eigenen Familie oder im Hospiz. Mit diesem Wissen kann ich abends gut nach Hause gehen."
Der Alltag auf der Palliativstation ist vielseitig. Man spürt sofort, dass diese Station weniger hektisch ist als andere Krankenhausstationen. Selten sieht man Pflegekräfte im Laufschritt über die Flure hetzen. Das liegt auch daran, dass der Personalschlüssel auf der Palliativstation den Bedürfnissen der Schwerkranken und Sterbenden angepasst wird.
„Bei uns werden Patienten nicht um sieben Uhr geweckt, sie dürfen frühstücken, wann sie wollen. Wir haben ausschließlich Ein- und Zweibettzimmer", so Frauke Backes. „In der Regel wissen wir, welche Patienten zu uns kommen, haben sie bestenfalls schon im Rahmen des Palliativdienstes kennengelernt und sie über unsere Behandlungsangebote informiert. Bei der stationären Aufnahme lernen die Patienten Ärzte und Pflegepersonal gemeinsam kennen. Wir erkundigen uns über die familiäre Situation: Welche nahen Angehörigen gibt es? Wie sieht die Wohnsituation des Patienten aus? Wir erklären, dass wir dafür da sind, ihre Symptome, wie zum Beispiel Schmerzen, zu lindern. Angehörige spielen eine wichtige Rolle, daher ermöglichen wir ihnen eine intensive Unterstützung. Unsere Ehrenamtlichen bieten Kaffeenachmittage an, an denen sie sich untereinander austauschen könne", so Frauke Backes.
„Ich muss nun abwarten, wie es mit mir weitergeht"
„Es kommt vor, dass Angehörige nach dem Tod ihres Verwandten uns besuchen. Es hilft ihnen in ihrer Trauer, mit Menschen zu sprechen, die ihren Angehörigen in den letzten Tagen begleitet haben", erzählt Seelsorgerin Ursula Kaspar.
„Dass in solchen Situationen auch bei uns mal Tränen fließen, bleibt nicht aus. Das Schicksal unserer Patienten lässt uns nicht kalt", sagt Krankenschwester Marina Schwoll, die den Schritt von der „Normal"-Station auf die Palliativstation nicht bereut hat. „Ob ich mit 50 oder 60 noch in gleichem Maße belastbar bin, kann ich nicht abschätzen. Der Pflegeberuf ist körperlich sehr anstrengend. Vorstellbar für mich wäre dann nur ein Wechsel in einen Bereich des Hospizwesens. Ich empfinde meine Arbeit als lohnenswert, als wertvoll. Ich spüre, dass die Patienten unser Engagement sehr schätzen. Ihr Lächeln, wenn die Schmerzen vergessen sind, begleitet mich und gibt mir Kraft, auch die vielen Abschiede auszuhalten."
Mit jedem Patienten, den sie entlassen, verbinden die Mitarbeiter der Palliativstation auch die Hoffnung, dass er etwas gelassener und vor allem schmerzfrei seinem Lebensende entgegensehen kann.
Eine Hoffnung, mit der auch Aloisius S. auf die Palliativstation kam. Bei dem 66-jährigen wurde vor zwei Jahren Speiseröhrenkrebs diagnostiziert. Nach der Operation fühlte sich der gelernte Stahlbauschlosser wieder fit, schöpfte Hoffnung, doch dann kam der Krebs zurück. Sieben Chemotherapien hat er über sich ergehen lassen, doch der Krebs war hartnäckiger. Seit einer Woche ist er nun auf der Palliativstation, seine Schmerzen habe er dank einer Schmerzmittelpumpe im Griff, die angenehme Atmosphäre in seinem Einbett-Zimmer, die Gespräche mit Schwester Marina und den Ärzten haben ihm geholfen, sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass seine Lebenszeit begrenzt ist. „Ich muss nun abwarten, wie es mit mir weitergeht. Ich freue mich darauf, nach Hause zu meiner Frau und meiner Familie zu kommen. Spezialisierte ambulante Palliativversorgung wird mich dort weiter betreuen. Auf der Palliativstation konnte ich viel mit dem Pflegepersonal über mein Leben reden. Mir wurde dabei bewusst, dass ich alles erreicht habe, was ich wollte. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Ich habe es beruflich und privat zu etwas gebracht. Ich kann sagen, ich hatte ein gutes Leben. Drei Enkelinder warten auf mich. Mit ihnen will ich noch Zeit verbringen."