Mit dem 2:1-Sieg gegen Köln vermeidet Hertha BSC negative Stimmung und kann sich unbeschwert in den Saisonendspurt begeben.
Wie schmal der Grat zwischen Wohl und Wehe in der Bundesliga sein kann, musste Hertha BSC beim Gastspiel in Mönchengladbach vor 14 Tagen in negativer Hinsicht erleben. Lange Zeit dominierten die Hauptstädter die Partie, verspielten ihre Führung innerhalb weniger Minuten in der Schlussphase und verloren dann doch mit 1:2. Vergangenen Sonnabend dann wendete sich das Blatt aber für das Team von Pal Dardai – schließlich lagen die Blau-Weißen zur Halbzeit gegen den 1. FC Köln zu Hause zurück, und die Lunte am Pulverfass schien zu glimmen. Ein deutlich vernehmbares Pfeifkonzert schallte jedenfalls durch das Rund des Olympiastadions, als der Schiedsrichter zur Pause bat – nicht ganz unverständlich angesichts des 0:1 auf eigenem Platz gegen den Tabellenletzten.
Dem einen oder anderen mögen gar ungute Erinnerungen gekommen sein an den Herbst 2017. Damals waren die Kölner in der zweiten Runde des DFB-Pokals in Berlin zu Gast – mit der horrenden Bilanz von nur einem Sieg aus 13 Pflichtspielen. Dieser resultierte aus einem 5:0-Sieg in der ersten Runde des Wettbewerbs beim Bremer Fünftligisten Leher TS. Bei Hertha BSC führte die Geißbock-Elf zur Halbzeit dann aber sogar 2:0 und kegelte den Gastgeber am Ende mit einem 3:1 frühzeitig aus dem Pokal. Danach mussten sich die Spieler und Trainer Pal Dardai wüste Beschimpfungen aus der Fankurve gefallen lassen, und die Stimmung rund um den Verein war auf einem vorübergehenden Tiefpunkt angelangt.
Nun drohte also eine Wiederholung dieses Szenarios. „Wir haben dieses Jahr zu Hause noch nicht gewonnen – langsam ist es ein Muss, der Druck nimmt zu", hatte Dardai schon vor dem Heimspiel gegen das Schlusslicht die Ausgangsposition zusammengefasst. Auch deshalb bot der Ungar nach längerer Zeit wieder die Doppelspitze mit Davie Selke und Vedad Ibisevic auf – letztmals hatten die beiden am 15. Spieltag in Augsburg gemeinsam in der Startelf gestanden. Neben dem Bosnier war auch Per Skjelbred im Vergleich zur Vorwoche neu in die Mannschaft gerückt, da Fabian Lustenberger Knieprobleme plagten – und Arne Maier diesmal auf der Ersatzbank Platz nehmen musste.
Doppelspitze mit Selke und Ibisevic
Ganz klar: Herthas Trainer wollte mit größtmöglichem Erfahrungsschatz in die schwierige Partie gehen. „Die ersten 20 Minuten werden enorm wichtig, da werden wir unsere Chance haben, um in Führung zu gehen", hatte Dardai dazu vorhergesagt. Die beste Gelegenheit hatten die Blau-Weißen dann sogar schon nach 20 Sekunden, doch Salomon Kalou fand in Kölns Torwart Timo Horn seinen Meister. Als die Gäste dann nach einer knappen halben Stunde durch Leonardo Bittencourt in Führung gingen, machte das den Hausherren doch zu schaffen. Jedenfalls war danach von Hertha bis zur Pause nicht mehr viel zu sehen.
Pal Dardai musste reagieren und wechselte: Mathew Leckie kam zur zweiten Halbzeit neu in die Partie, Mitchell Weiser blieb draußen. Vor allem aber der Gegner kam den Berlinern in dieser schwierigen Situation förmlich entgegen: Der 1. FC Köln präsentierte sich trotz Führung zu Beginn der zweiten Hälfte unsortiert, wie es wohl nur einem Abstiegskandidaten bei einem solchen Spielstand passieren kann. So konnte Hertha BSC seine Qualitäten innerhalb von drei Minuten unter Beweis stellen – vor allem in Person von Davie Selke. Der teuerste Einkauf in Herthas Vereinsgeschichte hatte zunächst nach 49 Minuten im Kölner Strafraum alle Zeit der Welt, sich den Ball zum Ausgleichstreffer zurechtzulegen. Eine Tonnenlast schien zu diesem Zeitpunkt von den Berlinern abzufallen – aber auch von Selke, der zuvor zehn Einsätze ohne Erfolgserlebnis geblieben war. Nun hatte man den FC am Wickel und kam folgerichtig gleich zum 2:1. Eine scharfe Hereingabe von Marvin Plattenhardt verwertete wieder Selke –
so, als habe es nie eine Flaute gegeben. Begünstigt wurde dieses Tor allerdings nicht nur durch die „verlängerte Pause", die sich die Geißbock-Elf genommen hatte, sondern auch durch eine falsche Entscheidung des Unparteiischen: bei der vorhergehenden Situation hätte es Einwurf für den FC – und nicht für Hertha – geben müssen. Das war allerdings auch nur in der Zeitlupe der TV-Bilder zu erkennen.
So nah lagen Wohl und Wehe also auch an diesem Nachmittag wieder zusammen – diesmal in positiver Hinsicht für die Hauptstädter. Denn Hertha und Selke hatten damit nicht nur ihre Durststrecken überwunden, sondern ganz nebenbei auch noch eine Marke für die Vereinschronik gesetzt. Es waren die Heimtreffer Nummer 999 und 1.000 in der Bundesligageschichte – auf die die Berliner Zuschauer immerhin aber auch seit beinahe sechs Stunden Spielzeit warten mussten. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt auch noch eine gute halbe Stunde zu absolvieren – und die Blau-Weißen schalteten bald wieder von Dominanz auf Spielkontrolle um.
Schrecksekunde kurz vor Spielende
Die mögliche Vorentscheidung verpasste man – „Doppelpacker" Selke und der eingewechselte Julian Schieber ließen die Möglichkeit dazu jeweils aus. Und so mussten die Berliner noch eine Schrecksekunde überstehen, als FC-Stürmer Jhon Cordoba kurz vor Spielende nach einem Ballverlust von Niklas Stark das Hertha-Tor nur knapp verfehlte. Am Ende sollte es also reichen zum Sieg gegen den Tabellenletzten, Pal Dardai aber zeigte sich vor allem mit der Leistung nach dem 2:1 nicht sonderlich zufrieden. Frei nach der Trainer-Maxime: milde im Misserfolg, kritisch im Erfolg.
Was so ein Dreier aber auch bewirken kann: Plötzlich ist Hertha BSC vier Spiele vor Ende der Saison nur noch einen Zähler von seinem absoluten Mindestziel (40 Punkte) entfernt und darf in der Tabelle nach einiger Zeit sogar etwas Höhenluft schnuppern. Zum ersten Mal seit dem 6. Spieltag jedenfalls rangieren die Blau-Weißen wieder in der oberen Hälfte des Klassements. Wenn man dann nochmal so punktet wie gegen Ende der Hinrunde, könnte es sogar noch unerwartet nah an die zunächst ausgegebene Marke von 48 Punkten gehen. Mit der Eintracht aus Frankfurt – dem nächsten Gegner an diesem Sonnabend – hat Hertha ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen. Das Hinspiel in Berlin konnten die Hessen nämlich seinerzeit mit 2:1 für sich entscheiden – das entscheidende Tor erzielte ausgerechnet der frühere Herthaner Kevin-Prince Boateng. Danach aber holte man gegen Augsburg, Hannover und Leipzig noch stolze sieben Punkte. Um nun schon aus der Mainmetropole etwas mitzunehmen, griff Pal Dardai sogar zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Er gab seinen Schützlingen nach dem Köln-Spiel bis zum Dienstag frei.