Wenn ab dem 21. April die Bälle wieder übers satte Grün rollen, steht ein Mann im Fokus: Ronnie O’Sullivan. Der Engländer wird bei der Snooker-Weltmeisterschaft in Sheffield versuchen, seinen sechsten WM-Titel zu gewinnen. Doch andere Spieler sitzen ihm im Nacken. FORUM stellt sie vor.
Der in einem kleinen Örtchen unweit von Birmingham geborene Ronnie O’Sullivan wird gerne als „most gifted player" bezeichnet, als Spieler mit der größten Veranlagung in seinem Sport. Er hat die meisten Aufnahmen, die Frames, mit mehr als 100 Punkten geschafft, Stand jetzt sind es 930 dieser sogenannten Century Breaks. Bislang 14 Mal schaffte er es, durch abwechselndes Versenken der roten und schwarzen Bälle die maximale Punktzahl von 147 zu erreichen. Einsam und für die Ewigkeit ist auch sein schnellstes Maximum Break 1997: fünf Minuten und 20 Sekunden. „Ich war so nervös und versuchte nur, das schnell über die Bühne zu kriegen", sagt er 20 Jahre später gegenüber dem „Daily Star". Die UK Championship, das zweitwichtigste Turnier, gewinnt er 1993 zum ersten Mal – natürlich als jüngster Spieler der Geschichte.
Der wie ein Britpop-Star aussehende Engländer sorgt damals immer wieder für Skandale und Kontroversen. So beginnt er 1996 mitten in einem Match mit der linken Hand zu spielen – beidhändig gleichwertiges Spiel ist seinerzeit ein Novum. Sein Kontrahent verweigert ihm den üblichen Handschlag, wirft ihm Respektlosigkeit vor. 1998 wird sein Titel bei den Irish Masters aberkannt, weil bei einem Drogentest Spuren von Cannabis entdeckt werden. 2008 macht er bei einer Pressekonferenz bei der China Open anzügliche Bemerkungen gegenüber einer Journalistin.
Das Genie leidet an einer depressiven Erkrankung. „Laufen ist die beste Therapie, die ich je hatte", sagt er dazu 2008 in einem BBC-Interview. Zudem ist er Autor, unter anderem seiner sehr lesenswerten Autobiografie „Ronnie", in der er auch seine Sicht auf die Verurteilung seines Vaters schildert. Dieser saß 18 Jahre wegen Mordes im Gefängnis. Wenig erstaunlich ist es, dass Ronnie O’Sullivan über großen Sachverstand in seinem Metier verfügt. So sagt er für den Sender Eurosport im vergangenen Jahr tatsächlich den späteren WM-Sieger voraus: Mark Selby.
Ein an Depressionen leidendes Genie
Seinen ersten WM-Titel erlangt der Engländer Selby 2014, ein zweiter folgt 2016. 2017 wird er neben O’Sullivan und den anderen beiden Legenden der vergangenen 30 Jahre, Steve Davis und Stephen Hendry, einer der vier Spieler, die ihren Titel verteidigen. Sein offensives Spiel zeichnet sich weniger durch spektakuläre Aktionen aus. Vielmehr besitzt er einen eisernen Willen und eine harte Wettkampfstärke.
Einer, der den Titel seinem Talent nach zu urteilen schon längst haben müsste, ist Ding Junhui. Mehr als 100 Millionen seiner Landsleute schauen 2005 im Fernsehen zu, als er sich in seinem ersten Profiturnier, den China Open, im Finale gegen Stephen Hendry durchsetzt. Nach einem Formtief 2007 zeigt seine Kurve in den vergangenen Jahren wieder merklich nach oben, derzeit belegt er Platz drei der Weltrangliste. Ihm im Nacken sitzt der zwei Jahre jüngere Judd Trump, der durch sein aggressives Spiel überzeugt. Bei Ranglistenturnieren geht er je zweimal bei den China Open und den European Masters als Sieger hervor. Die UK Championship gewinnt er 2011.
Immer im Auge muss man John Higgins haben. Der viermalige Weltmeister ist ein ziemlich perfekter Allrounder, der Stellungsspiel, Angriff und Verteidigung wie ein Schweizer Uhrwerk beherrscht. Abseits des Tisches macht er 2010 Schlagzeilen, als er auf ein gefaktes Angebot von Journalisten des Boulevardblattes „News of the week" hereinfällt. Er soll für einen Wettgewinn ein Spiel manipulieren. Vor Gericht sagt er später aus, er sei nur zum Schein auf das Angebot eingegangen, weil er dachte, er stehe der russischen Mafia gegenüber. Im Endeffekt wird die Klage fallengelassen, und er darf in der Folgesaison wieder spielen – diese schließt er mit seinem vierten Weltmeistertitel furios ab.
Eher Außenseiterchancen aus den Top 16 haben die ehemaligen Weltmeister Mark Williams, Shaun Murphy, Neil Robertson und Stuart Bingham. Der Waliser Williams wird 2000 und 2003 Weltmeister, sackt danach ab, meldet sich in den vergangenen zwei Jahren mit dem ein oder anderen Turniersieg aber wieder zurück. Der Engländer Murphy ist erst der zweite Snookerspieler überhaupt, der ungesetzt das Finale siegreich bestreitet. Das war 2005, seitdem ist er immer mal wieder erfolgreich – oder auch nicht. Robertson schreibt 2010 Sportgeschichte, als er als erster Australier die WM gewinnt, und sammelt Ende vergangenen Jahres viele Sympathiepunkte, als er bekanntgibt, dass er seine Frau im Kampf gegen ihre Depression unterstützte. „Snooker war da leider nicht der Fokus", twitterte er. Bingham dürfte seinen Zenit erreicht haben, als er 2015 WM-Sieger wurde.
Ein riesiges Talent im Vorwärtsgang ist Luca Brecel. Die große Chance des 23-jährigen Belgiers ist es, als erster Festland-Europäer der Beste der Welt zu werden. Seit vergangenem Jahr ist er bereits der erste Kontinentaleuropäer, der ein Weltranglisten-Turnier gewinnt, die China Championship. „Es war kein gutes Spiel", sagt er danach selbstkritisch zu Eurosport. „Ich hatte Glück, dass Shaun Murphy nicht so gut wie sonst gespielt hat."
Kämpfer für einen faszinierenden Sport
Wie Snooker theoretisch zu spielen ist, zeichnet Rolf Kalb in seinem 2006 erschienenen Buch „Snooker: der intelligente Weg zum besseren Spiel" nach. Man darf wohl mit Fug und Recht sagen, dass der Sport hierzulande ohne den 58-jährigen Sportjournalisten, Moderator und Kommentator nicht den TV-Erfolg hätte, den er hat. Seit gut 20 Jahren schon kommentiert der Mann mit der angenehm sonoren Stimme für Eurosport, immer ziemlich perfekt die Waage haltend zwischen dozieren und unterhalten. Das ist oftmals reichlich nah am Oberlehrerhaften, und bei einigen wenigen Gelegenheiten meint man, er habe einen VHS-Kurs in Fußballfloskeln absolviert. Doch eines ist immer spürbar: „Ich muss gestehen, dass mich der Sport fasziniert. Und ich halte es nicht für verkehrt, wenn die Zuschauer etwas von dieser Faszination mitbekommen", sagt er in einem „Spiegel"-Interview.
Immer wieder erklärt er mit beinahe einschüchternder Professionalität die Regeln des komplexen Sports. Immer wieder schüttelt er, wie ein perfekt austarierter Roboter, Anekdoten zu Spielern und Spielen aus dem Ärmel, erläutert Statistiken und tritt als ultimativer Botschafter für den Sport auf und ein.
In seinem Blog auf Eurosport.de und auf seinem Twitter-Account „@Rolf_Kalb" übt er gerne mal Kritik – natürlich immer sachlich. So schreibt er Mitte März, dass es für Snooker-Deutschland keinen Anlass gebe, sich zurückzulehnen. Bei den Gibraltar Open waren drei deutsche Spieler an einem Tag bei einem Turnier der Main-Tour im Einsatz. Da habe man auch deutlich die Mängel sehen können: „Es fehlt an Erfahrung, es fehlt an Selbstbewusstsein, es fehlt an Matchhärte." Dabei setzte er sich dafür ein, dass die Deutsche Billard Union Mitglied in der World Snooker Federation werden solle, die kostenlos sei und für die Teilnahme an den großen Turnieren berechtige. Ansonsten würden Talente aus Deutschland wie Simon Lichtenberg „kaputtgemacht".
Neben der Stimme Rolf Kalbs trägt sicherlich die Hartnäckigkeit des Spartensenders Eurosport zur Beliebtheit der Snooker-Übertragungen in Deutschland bei. Dominieren dort sonst gerne mal Tennis oder Wintersport, kommen an den 17 Spieltagen der Snooker-Weltmeisterschaft mehr als 130 Stunden an Live-Übertragung zusammen. Die Aktualität der anstehenden und übertragenen Begegnungen auf deren Internetpräsenz und im Videotext ist mitunter ein Graus. Doch Rolf Kalb bemüht sich per Twitter, stets Aktuelles zu verkünden. Sehr gute Dienste hingegen leistet Sofascore.com/de. Deren App ist im Play Store kostenlos erhältlich und verfügt über einen zuverlässigen Live-Ticker.