Segeln auf einem traditionellen Windjammer. Das verspricht, eines der letzten großen Abenteuer zu werden. Mit der „Eye of the Wind" kann man dieses bei den Kleinen Antillen in der Karibik erleben.
Die „Eye of the Wind" ist ein Sehnsuchtsort. Eine Art Traumschiff. Nur nicht so modern. Sie vermittelt vor allem eines: Authentizität. Denn der moderne Reisende möchte immer weniger als Tourist unterwegs sein, sondern sich lieber als Nachfahre von Christoph Kolumbus fühlen, der das erobern will, was noch unberührt ist. Aber: Diese Gegenden gibt es kaum noch. Falls doch, sind sie entweder unwirtlich oder zu gefährlich. Und der Abenteurer von heute sucht ein Risiko, das kalkulierbar ist. Idealerweise. Schließlich wartet in wenigen Wochen wieder der Job zu Hause. Die Alte Dame des Meeres, die 1911 an der Weser vom Stapel lief, ist genau der richtige Ort, ganz nah dran zu sein: am Abenteuer. Und an sich selbst. Zum einen kann aktiv mitgesegelt, navigiert und in die Masten gestiegen werden. Zum anderen gibt es kein W-Lan, sondern nur das Geräusch des Windes und der Wellen. Und ein Schaukeln, das mal sanft, mal heftig sein kann, je nach Seegang! Die digitale Welt bleibt draußen. Crew wie Gäste gehören zusammen, sie sprechen eine Sprache: Die des Segelns, der Erlebnisse auf dem Ozean, der unvergesslichen Momente unter dem Nachthimmel mit den unzähligen Sternschnuppen und der ganz persönlichen Glücksmomente.
Nicht nur in ihrem realen Leben hat die „Eye of the Wind" Stürmen getrotzt, ist ausgebrannt und gestrandet. Als Königin der Meere war sie schon mehrfach in Hollywood-Produktionen dabei. Damals, Anfang der 80er, in „Die blaue Lagune" und in dem Piratenabenteuer „Savage Island", später aber auch in dem Historien-Epos „Tai Pan", in der Geschichte über den berühmten britischen Navigator Matthew Flinders in „A Desperate Fortune", in der TV-Doku „Der Längengrad" und dann in ihrer berühmtesten Rolle im Kinofilm „White Sqall" mit Jeff Bridges.
Michael Vogelsgesang erzählt, dass er schon als Dreijähriger eine Kapitänsmütze von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Heute steuert der 55-Jährige den Großsegler über die Weltmeere und sagt, dass sich damit ein Traum für ihn erfüllt habe. Die klassische Seefahrer-Karriere hat er hinter sich: Matrose, Bootsbauer, Besuch der Seefahrschule in Cuxhaven sowie der Fachhochschule Elsfleth und der unvermeidliche Weg vom dritten Offizier zum Kapitän der Handelsmarine. Dazwischen dann zum eigenen Vergnügen eine Ausbildung zum Hypnose-Therapeuten. Im Schnitt hat das Schiff bis zu zehn Crew-Mitglieder und ungefähr die gleiche Anzahl an Gästen. Ein wesentlicher Bestandteil, der Vogelsgesangs Leidenschaft zur See zu fahren ausmacht, ist die Tatsache, überall willkommen zu sein. Damit beschreibt er das Gefühl, einen Job zu machen, den er getrost als Urlaub bezeichnen kann. Dabei geht es ihm um mehr, nämlich um das Wir-Gefühl: „Ich möchte anderen etwas übermitteln, an dem wir gemeinsam wachsen können." Was aber ist eine Brigg, als die das Schiff in Fachkreisen bezeichnet wird? Er deutet auf die beiden Masten: „Eine Brigg ist ein zweimastiges Segelschiff mit Rahsegeln an beiden Masten, wobei der achtere Mast gewöhnlich höher ist als der vordere." Für die meisten ist das Seemannslatein, wie so viele andere Bezeichnungen auch. Die Bordglocke läutet. Beim Mittagessen wird gefachsimpelt und gelacht. Hier auf dem Meer gehört man zusammen.
Das Hobby zum Beruf gemacht
Auch für Matrose Lars bedeutet die Crew seine Familie. Schon seit dreieinhalb Jahren segelt der 33-Jährige mit der „Eye of the Wind" um die Welt. Geprägt wurde er schon früh. Denn mit dem Segeln ist er aufgewachsen. „Meine Familie hatte Segeljachten, und wir waren oft auf der Ostsee unterwegs", erklärt der gebürtige Lübecker. Das Schönste sei für ihn, dass er sein Hobby zum Beruf machen konnte. „Auch in Zukunft sehe ich mich auf dem Wasser und nicht in einem Büro", lacht er.
Die Zuckerrohrinsel Antigua liegt längst hinter der Alten Dame. Man sagt, sie hätte 365 Strände, einen für jeden Tag des Jahres. Nach der Entdeckung durch Christoph Kolumbus war die rund 350 Jahre dauernde britische Kolonialherrschaft prägend für das Bild der Insel, die sich durch ein Fort und Verteidigungsanlagen immer wieder vor Invasionen von See schützen musste. Rund sieben Stunden dauert die Fahrt bis Barbuda. Der Anlegesteg ist an diesem Abend vom Schwell überflutet, so muss das Schiff nach dem Bergen der Segel vor der Küste ankern. „Die Wassertiefe beträgt sieben Meter", erklärt Vogelsgesang. Rasselnd scheppert der Anker in die Tiefe. Es folgt eine unruhige Nacht, zumindest für die meisten. Einige genießen es jedoch auch, sich in den Schlaf schaukeln zu lassen.
Am nächsten Morgen werden die Segel gesetzt, und es geht weiter durch die Inselwelt der Kleinen Antillen. Der Anker wird diesmal vor St. Kitts und Nevis fallen gelassen. Ein Tender bringt die Segler an Land, um dort den Botanischen Garten oder die alte Zuckerrohrfabrik zu besuchen. Innehalten lässt sich in der historischen Inselkirche aus dem Jahr 1856. Sonnenbaden und Schwimmen an der Banana Bay mit Kokospalmen vor türkisblauem Meer. Zwischen der Traumkulisse schimmern immer noch Bilder der Zerstörung durch, die Hurrikan Irma Anfang September 2017 fast in der gesamten Karibik anrichtete. Es gibt immer noch Schlunde, die einmal Häuser waren oder karge Schneisen, wo einst Kokospalmen standen. Der Wiederaufbau geht voran, mal schneller, mal langsamer, abhängig von den Entschädigungszahlungen der Versicherungen oder der oft sehr schleppenden Hilfe durch den Staat. Das Nelson Museum in Nevis’ Hauptstadt Charlestown erzählt von Admiral Nelson, der Kommandant der Flottenbasis English Harbour auf Antigua war. Der spätere Held von Trafalgar heiratete die Nichte des Insel-Gouverneurs von Nevis, die junge und reiche Witwe Frances Nisbet. Jedoch starb sie später einsam auf ihrer Heimatinsel, da der künftige Oberbefehlshaber der britischen Flotte im Mittelmeer sich von ihr trennte und 1798/99 in Neapel Lady Emma Hamilton heiratete.
Zur Crew gehört auch Steuerfrau Dobromira, die ihre Leidenschaft fürs Segeln schon in ihrer Kindheit an der masurischen Seenplatte entdeckte. Zuerst waren es kleine ollen, dann kam die Liebe zu den Windjammern. Die ehemalige Architekturstudentin hatte die Möglichkeit, auf dem Ausbildungsschiff „Fryderyk Chopin" einen Sommer lang mitzusegeln. Auf der Nord- und Ostsee. „Ich stellte fest, dass es genau das war. Meine Liebe zu den Großseglern begann", berichtet die 31-Jährige. Die Brigg ist eine tägliche Herausforderung für die Polin, daran könne sie auch heute noch wachsen, sagt sie. „Segeln ist für mich wie Therapie", betont sie und verschwindet in die Koje, denn sie hat später Nachtwache an Bord, und da ist wach bleiben oberstes Gebot.
Am nächsten Tag lässt die Alte Dame vor St. Barth den Anker fallen. Bekannt ist die Insel als Refugium des internationalen Jetsets. Die von den karibischen Ureinwohnern „Ouanalao" genannte Insel taufte Kolumbus zu Ehren seines Bruders Bartholoméo um. Französisch wurde sie jedoch erst ab 1648, und zwar durch Siedler, die aus der Normandie über St. Kitts anreisten. Immer noch sprechen heute einige Bewohner das normannische Französisch ihrer Vorfahren. An Feiertagen tragen die Frauen Trachten wie zu Zeiten der ersten Siedler.
Von 1784 bis 1877 war die Insel unter schwedischer Kolonialherrschaft. Straßenbezeichnungen, Gebäude und Festungsanlagen erinnern neben dem Hauptort Gustavia an diese Zeit. Spektakuläre An- und Abflüge gibt es am Insel-Flughafen zu beobachten. Die Start- und Landebahn ist so kurz, dass Piloten eine spezielle Lizenz benötigen, um dort an- oder abfliegen zu dürfen. Die Flieger sind fast mit dem ausgestreckten Arm zu berühren.
Viele Seemeilen später erreicht die Alte Dame den Hafen von Marigot auf St. Martin, bevor sie sich auf den langen Segeltörn über den Atlantik macht. Kolumbus kam auf seiner zweiten Reise hierher und benannte die Insel nach dem Heiligen Martin, der auch in einigen Kirchen abgebildet ist. Der Entdecker sichtete die Insel zum ersten Mal am 11. November 1493, den Namenstag des Heiligen.
Ein blutroter Sonnenuntergang zeigt an, dass es bald dunkel wird. Statt Nachrichten und Fotos mit dem Smartphone zu versenden, genießen die Gäste die goldene Stunde mit einem Caribe-Bier oder einem trockenen Chardonnay an Bord, bevor in der Messe das Abendessen serviert wird.
Nachts ist es an Deck besonders schön. Die Augen wandern nach oben in die tiefschwarze Unendlichkeit, die nur von ein paar Wolken durchbrochen wird oder von einem alles dominierenden Vollmond, der hier draußen auf dem Meer besonders hell leuchtet. Und da oben, irgendwo jenseits unseres Wissens, muss es etwas geben, das größer ist als alles andere. Einen Gott, einen Schöpfer des Ganzen hier oder einfach eine Macht, die umfassender ist als das uns Bekannte, als das uns Vertraute. Der Mensch fühlt sich ganz klein und zugleich doch als Teil des großen Ganzen, als Rädchen im Getriebe unseres Universums. Die Planken der „Eye of the Wind" können viel erzählen, wahre Begebenheiten ebenso wie auch Legenden aus einer anderen Zeit. Die Alte Dame verspricht, gemeinsam mit ihr das ganz Besondere zu erfahren und kennenzulernen.