Das Modemuseum auf Schloss Meyenburg in Brandenburg beherbergt auf über 1.000 Quadratmetern eine der größten privaten Modesammlungen Europas. Gezeigt wird Frauenmode von der Jahrhundertwende bis in die 70er-Jahre. Für Gründerin Josefine Edle von Krepl ist Mode immer auch Kunst und ein Ausdruck der jeweiligen Verhältnisse.
Ihr Sohn schrie, doch Josefine Edle von Krepl hatte in diesem Moment wirklich andere Sorgen. Wie sollte sie das Kleid aus den 20er-Jahren, das sie soeben achtlos weggeworfen in einem Container entdeckt hatte, bloß zwischen all dem Bauschutt hervorbekommen? Zum Glück kam gerade eine ältere Dame vorbei, der sie kurzerhand ihr Kind anvertraute. „Könnten Sie einmal kurz den Kinderwagen schaukeln? Ich müsste mal in den Container steigen", sagte von Krepl zu ihr. Aus herumliegenden Ziegelsteinen baute sie sich ein Podest, dann kletterte sie kurzerhand in Plateauschuhen und Minirock in den Container hinein, um das kostbare Textil zu retten. Es war völlig zerrissen, doch sie reinigte es, nähte es wieder zusammen und wählte ein passendes Unterkleid dazu. Heute ist es wieder ein echter Hingucker und zusammen mit 360 weiteren Kleidern im Modemuseum auf Schloss Meyenburg zu bewundern. Im äußersten Nordwesten Brandenburgs, auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg, beherbergt es auf mehr als 1.000 Quadratmetern eine der größten privaten Modesammlungen Europas.
„Mode muss eine Geschichte Haben"
Dabei ist das, was im Schloss ausgestellt ist, nur ein kleiner Teil dessen, was Josefine Edle von Krepl in über sechs Jahrzehnten Sammelleidenschaft zusammengetragen hat. Sie hört das Wort selbst nicht so gern und redet stattdessen lieber vom Retten oder Bewahren. „Sammler wollen immer nur Anhäufen, aber mir geht es darum, meine Schätze auch zu zeigen", sagt die 74-Jährige. „Ich möchte mein Glück auch teilen." Und dass Mode für sie das größte Glück auf Erden ist, daran lässt von Krepl keinen Zweifel. Wenn sie sich zwischen einem Kleid oder einer warmen Mahlzeit entscheiden müsste, würde sie immer das Kleid vorziehen, sagt sie. „Das steht doch völlig außer Frage."
Dabei kann sie sich nicht nur für Haute Couture erwärmen oder für die Mode der Prominenz. Zwar befindet sich in ihrem Besitz unter anderem auch ein Kleid, das Jackie Kennedy einst getragen hat, doch Josefine Edle von Krepl ist es gar nicht so lieb, dass sie so häufig darauf angesprochen wird. „Für mich ist eine gestopfte Unterhose aus dem Krieg mit 20 Stopfstellen viel wertvoller", sagt sie. Ihr Kriterium lautet: Mode muss eine Geschichte haben. So wie das schlichte, creme-weiße Kleid aus dem Jahr 1914, das in der Vitrine mit all den anderen prächtigen Hochzeitskleidern erst gar nicht auffällt. Von Krepl bekam es von einer Frau geschenkt, die ihr erzählte, wie sie sich damals eben nur dieses eher schlichte Kleid aus dem Kaufhaus leisten konnte. Zur Verlobung hatte sie ein hellgrünes Unterkleid an, zur Hochzeit wollte sie ein weißes unterziehen, doch dazu kam es nicht mehr – ihr Verlobter wurde in den Krieg berufen und kam nicht wieder zurück. Somit wurde dieses Hochzeitskleid auch niemals auf einer Hochzeit getragen.
Beeindruckend ist auch die Sammlung aus den 40er-Jahren, der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Weil Mangel herrschte, und es kaum etwas gab, war Fantasie gefragt, um beispielsweise aus alter Bettwäsche ein Abendkleid zu nähen, das sich durchaus sehen lassen kann. Taschen wurden aus Holzperlen selbst gebastelt, dem einzigen Rohstoff, der noch ausreichend vorhanden war. „Ich bewundere die Menschen, die sich auch in diesen schwierigen Zeiten noch Gedanken zur Mode gemacht haben", meint von Krepl. „Auf diese Weise haben sie sich auch ein Stück Lebensmut bewahrt."
Es sind die Geschichten hinter den Exponaten, die das Modemuseum in Meyenburg so einzigartig machen. Und die die Frage aufwerfen, ob ein Stück Stoff nicht ebenso Kunst sein kann wie ein Gedicht oder ein Gemälde. Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses – gilt das nicht auch für die Mode? Josefine Edle von Krepl ist jedenfalls überzeugt: „Mode ist selbstverständlich auch Kunst." Dazu zählen für sie neben den Kleidern auch die passenden Accessoires, die in Meyenburg ebenfalls zu sehen sind: Schuhe, Taschen, Hüte und Schals – insgesamt mehr als 1.000 Objekte. Die Sammlung zeigt „Mode mit allem Drum und Dran", wie es von Krepl nennt – inklusive einer Einordnung der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse. In jedem Raum läuft dazu die für das Jahrzehnt passende Musik, vom Walzer über Elvis Presley bis hin zu Abba. „Mode ist immer auch ein Ausdruck der jeweiligen Zeit", erklärt sie. In einer Vitrine zu den 60er-Jahren befindet sich zum Beispiel ein Hut, der stark an den Helm eines Astronauten erinnert. „Das war die große Zeit der bemannten Raumfahrt. Solche Ereignisse spiegeln sich immer auch in der Mode."
Gezeigt wird in Meyenburg hauptsächlich Frauenmode. „Bei den Männern hat sich in all der Zeit einfach zu wenig verändert", sagt Josefine Edle von Krepl. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und reicht von der Jahrhundertwende bis in die 70er-Jahre. Danach ist Schluss und eine Erweiterung auch vorerst nicht geplant. „Wir mussten ja irgendwo einen Strich setzen. Und die Mode der 80er-Jahre fand ich persönlich auch überwiegend ziemlich schrecklich", sagt von Krepl. Auch die heutige Mode empfindet sie als ideenlos und meint: „Es gibt nichts wirklich Neues mehr."
Schickes aus wenig schaffen
Nichts findet sie schlimmer als modische Monotonie. Auch deshalb gründete sie in den 80erJahren in Ostberlin eine eigene private Boutique, eine der ersten in der DDR. Wenn es nach ihren Eltern gegangen wäre, dann hätte sie Medizin studieren sollen, doch damit konnte sie sich nie wirklich anfreunden. Stattdessen machte sie eine Ausbildung als Schneiderin und studierte anschließend Modegestaltung und Journalismus. Sie bekam eine Anstellung bei der Frauenillustrierten „Für Dich", eine Art ostdeutsches Pendant der „Brigitte", ehe sie sich irgendwann mit ihrer eigenen Kollektion selbstständig machte.
„Wir hatten viele Ideen, aber nicht alles war wirklich umsetzbar. Wir waren ja immer davon abhängig, welche Materialien gerade vorhanden waren. Aber ich wollte zeigen, dass man trotzdem auch mit wenigen Dingen etwas Schickeres schaffen kann als die bisherige DDR-Alltagsmode." So etwas kam bei den Ostberlinern gut an – morgens standen sie in Zweierreihen vor dem Geschäft an, am Abend waren die Regale oft völlig leergekauft. Von Krepl musste den Laden zeitweise schließen, um mit der Produktion hinterherzukommen. Einige ihrer besten Stücke hängen heute selbst im Museum, etwa im DDR-Museum oder im Deutschen Museum in Berlin.
So viel Individualität machte die DDR-Führung misstrauisch, zumal von Krepl Kontakte ins Botschaftsviertel hatte und in ihrem Geschäft auch „Ausreiser" beschäftigte, die nach einem versagten Ausreiseantrag sonst keine andere Anstellung mehr fanden. Die Stasi beobachtete die Boutique genau, drei dicke Ordner umfasst ihre Akte. Wenige Monate vor dem Mauerfall verließ Josefine Edle von Krepl die DDR, kehrte aber nach der Wende in den Berliner Bezirk Prenzlauer Berg zurück, wo sie einen Antikmodeladen betrieb. Eines Tages schaute dort auch Modeschöpfer Jean Paul Gaultier vorbei, der auf der Suche war nach Unterwäsche aus den 30er-Jahren. 120 D-Mark wollte von Krepl von ihm, doch Gaultier war offenbar nicht bereit, so viel zu zahlen. „Madame, das ist doch bloß Kunstseide", sagte er zu ihr, und sie antwortete: „Mit Verlaub, Monsieur, aber das ist echte Seide." Gaultier glaubte ihr nicht, und so kam es, dass sie eine Wette abschlossen, wer von beiden denn nun Recht hatte. „Wir haben dann mit einem Faden eine Brennprobe gemacht. Kunstseide verbrennt zu einem festen Klumpen", erklärt sie, „aber Seide wird zu Asche und verfliegt – und so war es in diesem Fall." Es können wohl nicht viele von sich behaupten, mit Gaultier gewettet und dann auch noch gewonnen zu haben. Josefine Edle von Krepl bezeichnet die Episode denn auch scherzhaft als ihren größten modischen Erfolg.
Die Leitung über das Modemuseum hat sie vor drei Jahren abgegeben. Der neue Trägerverein Modemuseum Schloss Meyenburg e. V. hatte damals ausgewählte Stücke gekauft und sichert seither den Museumsbetrieb. Regelmäßig finden dort Sonderausstellungen und Veranstaltungen statt. Von Krepl zeigt zudem einige Exponate ihrer Sammlung immer wieder bei verschiedenen Ausstellungen in ganz Deutschland. Sie meint: „Es ist ein Stück deutsches Kulturgut."