Seit Jahrzehnten schon haben in italienischen Stadien die Ultras das Sagen. Doch die gute Stimmung auf den Rängen, die einst Scharen von Fußballtouristen anlockte, hat sich gewandelt in Duelle mit Geisterspielcharakter.
Die Älteren werden sich sicher daran erinnern, dass Italien einmal das Eldorado des Fußballs war. Die Serie A setzte bis etwa zum Jahrtausendwechsel die finanziellen und sportlichen Standards des Weltfußballs und wer als Spieler etwas auf sich hielt, war scharf auf einen Vertrag in Mailand, Turin oder Rom. Doch auch abseits des Rasens war der italienische Fußball lange Zeit etwas Besonderes. Die Ultras prägen hier schon seit rund 50 Jahren die Fankurven der Stadien, sind gleichermaßen Fluch und Segen und Vorbild für Fußballanhänger in aller Herren Länder.
Rassistisch, antisemitisch und unbelehrbar
Nicht zuletzt auch in Deutschland, von wo sich in den 90er-Jahren Scharen von Fußballtouristen gen Süden aufmachten, um sich von der Stimmung in italienischen Stadien beeindrucken zu lassen. Die Folge ist bekannt: Längst sind Ultras auch in den deutschen Arenen tonangebend und nehmen für sich in Anspruch, die Avantgarde zu sein. Zu den besonders einflussreichen Fangruppen im Mutterland der Ultras zählen diejenigen von Lazio Rom. Gleichwohl genießen sie keinen allzu guten Ruf in Italien. Die „Irriducibili", die „Unbeugsamen", gelten als rassistisch, antisemitisch und unbelehrbar. Immer wieder sind sie für schlechte Schlagzeilen gut und sonnen sich in ihrem Image als böse Jungs, die mit Wonne das Establishment provozieren. So wie im Herbst vergangenen Jahres, als sie geschmacklose Aufkleber in die Fankurve ihres verhassten Lokalrivalen AS Rom klebten. Die Sticker zeigten eine Fotomontage des im Konzentrationslager Bergen-Belsen getöteten deutsch-jüdischen Mädchens Anne Frank im Trikot des AS Rom. Eine Provokation, die ihre Wirkung nicht verfehlte und wenige Tage später Thema im EU-Parlament war: „Ich komme nicht umhin, das nachdrücklich zu verurteilen, was geschehen ist in Rom, in Italien, wo eine Gruppe von Hooligans ein Bild von Anne Frank verwendet hat, um Anhänger eines anderen Sportteams zu verunglimpfen", sagte Parlamentspräsident Antonio Tajani im Rahmen einer Plenarsitzung in Straßburg. Auch Italiens Ex-Premier Matteo Renzi meldete sich per Twitter zu Wort und meinte: „Wenn ich Präsident eines Fußballvereins wäre, würde ich morgen mit einem Davidstern statt mit dem Logo des Sponsors auflaufen." Immerhin führte die Aktion der „Irriducibili" zu einer reflektierten Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Antisemitismus in den italienischen Fankurven.
Doch die „Irriducibili", seit jeher ein Sammelbecken auch für Kleinkriminelle, Drogendealer und Delinquenten aller Art, hatten nicht nur die Provokation des Lokalrivalen im Sinn. Sie liegen seit Jahren auch mit dem eigenen Club über Kreuz, besser gesagt mit dem Besitzer von Lazio, Claudio Lotito. Der Reinigungsunternehmer hatte Lazio im Jahre 2004 übernommen, in einer Zeit, in der die Laziali finanziell am Boden lagen und wenig Aussicht auf Besserung hatten. Die Finanzen bekam der geschickte Geschäftsmann schnell in den Griff, doch mit den Ultras des Clubs wurde Lotito bislang nicht warm. Vor einigen Jahren setzten sie ihn sogar mit Morddrohungen unter Druck. Ein Camorra-Clan wollte Lazio erwerben und als Geldwaschmaschine nutzen. Ein Kollektiv von Strohmännern, unter ihnen die langjährige Lazio-Ikone Giorgio Chinaglia, sollte den Deal nach außen seriös wirken lassen. Um ihrem Wunsch Ausdruck zu verleihen, setzten die Mafiosi auf die „Irriducibili" und deren „Argumente". Doch Lotito widerstand. Er entzog den Ultras deren Sonderrechte, darunter die Lizenzen zum Handel mit Fanartikeln des Clubs und kostenlose Eintrittskarten. Solche Vereinbarungen sind alltäglich in Italien. Vereinsbosse sichern sich damit das Wohlwollen der Kurve und festigen damit letztlich ihre eigene Position. Eine Hand wäscht eben die andere, schließlich ist es durchaus attraktiv, einem Fußballclub vorzustehen, bedeutet es doch viel Renommee und enormen Einfluss.
Immerhin kann sich Lotito, der sich nur mit Leibwächtern in der Öffentlichkeit sehen lässt, damit trösten, dass er Lazio zu einem der sportlich und finanziell krisenfesteren Clubs des Landes gemacht hat. Auf der anderen Seite ist die Stimmung bei Lazio-Spielen nahe dem Gefrierpunkt.
Angst vor der Macht der Ultras
Denn die herausgeforderten Ultras nutzen ihre Möglichkeiten, sich gegen den ungeliebten Vereinsboss zu wehren. Mit Randalen und geschmacklosen Aktionen sorgen sie für schlechte Presse sowie hohe Strafen des Verbandes.
Lotitos Weg ist ungewöhnlich. Dabei versuchen Sicherheitsbehörden und Fußballverbände seit Jahren, die Macht der Ultras zu kappen. Vor allem dann, wenn etwas Schlimmes passiert, ist der Ruf nach Repressalien groß. Doch letztlich obsiegt die Angst vor der Macht der Ultras. Davor, dass sie weiter an der Gewaltspirale drehen, dass sie nicht mehr ins Stadion kommen, einen Stimmungsboykott organisieren oder auf andere Weise das Image des Clubs ruinieren. Denn eigentlich ist der Schulterschluss der Vereinsbosse mit den führenden Fanvertretern unerlässlich. Man arrangiert sich miteinander und zieht jeweils Vorteile daraus. Bis zu 70.000 Ultras gibt es schätzungsweise in Italien. Da ist es durchaus lukrativ, an der Spitze dieses Fangefüges zu stehen. Der Handel mit Tickets, Auswärtsreisen und Fanartikeln ist entsprechend einträglich. Damit das so bleibt, bedarf es ab und an auch einer Machtdemonstration, wie sie Gennaro de Tommaso anlässlich des Pokalfinals 2014 dargeboten hat.
De Tommaso ist tief in der Unterwelt Neapels verankert, war schon wegen verschiedener Delikte im Gefängnis und gilt als Kopf der Fanszene des SSC Neapel. Nachdem sich Fans des SSC und des Finalgegners AC Florenz im Umfeld des Stadions wüste Prügeleien lieferten, stand die Austragung des Spiels ernsthaft auf der Kippe. Doch de Tommaso machte dem Spuk ein Ende. Mit einer einfachen Handbewegung forderte er seine Mitstreiter auf, sich von nun an ruhig zu verhalten.
Der Block gehorchte und das Spiel konnte stattfinden. Die Autorität eines einzelnen Ultras wurde zum Zünglein an der Waage. Ein Sinnbild für den Zustand des italienischen Fußballs.