Britische Fußball-Fans hatten jahrelang einen fürchterlichen Ruf. Und doch gibt es zahlreiche Filme und Bücher, die die Gewalt-Exzesse der Hooligans romantisieren.
Elijah Wood ist als US-Amerikaner im Grunde unverdächtig, allzu viel über Fußball und dessen Randerscheinungen zu wissen. Doch kurz nachdem er in der Rolle des Frodo Beutlin in der Verfilmung des „Herrn der Ringe" zu Weltruhm kam, ließ es sich Wood nicht nehmen, beruflich ganz tief in die europäische Fußballkultur einzutauchen. Im Streifen „Hooligans" spielt er den Amerikaner Matt Buckner, der bei einem Besuch in London zum Mitglied einer Schlägertruppe von West Ham United wird. Buckner begeistert sich immer mehr für die Kameradschaft und den Zusammenhalt der Gruppe und verirrt sich so in der Faszination des Prügelns.
Kein Film für die Szene
Der Film ist ein Kind seiner Zeit. „Hooligans" wurde im Jahre 2005 produziert und kam damit pünktlich zu jenem Zeitpunkt ins Kino, als die Popkultur den Hooliganismus eng umschlang und glorifizierte. Immer neue Bücher deckten den Hunger nach rohen Geschichten.
Zu einem der erfolgreichsten Autoren mit Prügelhintergrund gehört Cass Pennant. Pennant zählte jahrelang zu den Köpfen der Intercity Firm (ICF), den Schlägern von West Ham United. In der Welt der Hooligans war die ICF eine ziemlich große Nummer, gleichermaßen gefürchtet und geachtet für ihre Kämpfe quer durch England und Europa. Längst schon ist Pennants Leben verfilmt, „Cass" lief unter anderem auf dem renommierten Fußball-Filmfestival „11 Millimeter" in Berlin. Für Pennant – der stolz darauf verweist, als erster Hooligan Englands zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden zu sein – ist das Erzählen von seinem früheren Leben längst zum Beruf geworden. Mit Erfolg. Ohne nennenswerten Marketingaufwand landete seine im Jahr 2002 erschienene Autobiografie auf Rang sechs der britischen Bestsellerliste. Mit der Gewalt selbst hat der mittlerweile 60-Jährige abgeschlossen, sie „gibt es für mich nur noch in meinen Büchern".
Für das rege Interesse an den Prügelgeschichten hat Pennant eine simple Erklärung: „Es geht darin um echte Personen und echtes Leben. Die normalen Leute kaufen die Bücher. Nicht die Hooligans! Was wollen die schon über sich selbst lesen? Nichts! Die kennen die Szene. Aber die normalen Leute eben nicht. Sie gehen in den Buchladen und kaufen diese Titel, weil sie sich ein Urteil bilden möchten. Sie können dadurch ein Teil der Vergangenheit werden".
Mit dem Erfolg seiner Biografie ebnete Pennant den Weg für ein ganzes Genre, nach dem ein ganzes Land zu lechzen scheint. Es folgen Bücher von einstigen Hooligans aus dem Umfeld des FC Chelsea, des FC Liverpool, von Cardiff City und vielen weiteren. Ein Anachronismus. Denn während die durchkommerzialisierte Premier League zum sterilen Mittelschichtsvergnügen wird, lassen die Erzählungen von Pennant und anderen ehemaligen Hooligans die raue Vergangenheit des englischen Fußballs lebendig werden. Es sind Blicke zurück in eine Zeit von Anarchie und Working Class, von Außenseitern wie Pennant, die sich Respekt auf ihre Weise erkämpfen. Doch nach einigen Jahren war der Hype um die Hool-Literatur vorbei. Anfangs durch die neuartige, unverblümte Erzählung wie in Bill Bufords „Geil auf Gewalt" noch überaus erfrischend, wurde der Markt schließlich von literarisch grenzwertigen Werken überflutet. Die (Auto-)Biografien von Hooligans der 70er- und 80er-Jahre folgten dem ständig gleichen Schema, in dem die guten, alten Zeiten verherrlicht wurden.
Von der Thematik geht Faszination aus
Verglichen mit der Situation in England sind die Memoiren deutscher Hooligans rar gesät. Umso spezieller stellt sich die Geschichte von Stefan Schubert dar. Schubert war Polizist, Klassenbester seines Ausbildungsjahrgangs beim Bundesgrenzschutz und schirmte sogar den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl ab. Doch Schubert lebte acht Jahre lang ein Doppelleben. Tagsüber war er Polizist, in seiner Freizeit Hooligan im Umfeld von Arminia Bielefeld. Als ihn ein Fernsehteam 1996 bei Ausschreitungen zufällig filmte, flog Schubert auf und die Karriere bei der Polizei war dahin. „Gewalt ist eine Lösung" heißt das Buch, in dem Schubert seine Geschichte öffentlich macht. Die üblichen Zutaten: Jugend, Alkohol, Testosteron, Adrenalin, Kameradschaft. Schubert schildert schonungslos: „Ein wilder Haufen Fleisch gewordener Waffen mit durchtrainierten, tätowierten Oberkörpern war entsichert. Ein falsches Wort, eine dumme Geste – und das Feuer würde eröffnet werden" heißt es in „Gewalt ist eine Lösung". Schubert zeichnet eindrücklich den Weg nach, der ihn zum Hooligan machte und wie er dieses Hobby als Alltagsventil benötigte. Mittlerweile hat Schubert mit seinem einstigen Hobby nichts mehr zu tun. Als er den Polizeidienst verlassen musste, brach er auch mit dem Fußball. Reue empfindet er nicht, er hat Frieden mit seiner Vergangenheit gemacht. Mittlerweile ist er Experte für Banden- und Clankriminalität.
Auch für Heiko Kolbe ist Gewalt eine Lösung. Heiko Kolbe ist der Protagonist in „Hool", dem Debütroman von Philipp Winkler. So lesenswert wie Winkler, der stets betont, dass alle Figuren in seiner Erzählung fiktiv sind, hat noch niemand in Deutschland über Hooliganismus geschrieben. Winkler hat für sein Erstlingswerk intensiv recherchiert, Hooligans und Fanbetreuer interviewt und so einen authentischen Blick kreiert, hinein in ein unterprivilegiertes Milieu voller verzweifelter Männlichkeit, wo niemand seine Energie sinnvoll zu kanalisieren weiß. Dort geht es schnell zur Sache: „Der Glatzkopf vor mir hat ordentliche Pakete. Egal. Deckung hoch. Linksbewegung antäuschen. Er hatte den gleichen Gedanken. Ist überrascht. Sein Schlag kommt hastig. Gehe dran vorbei. Lande einen Jab gegen seinen Kiefer. Ich springe vor. Täusche rechts. Hat der nicht mit gerechnet. Er reißt die Arme hoch. Nierentreffer. Ich kloppe ihm einen Schwinger direkt in seine Drecksfresse. Macht den Klappmann, krümmt sich und stöhnt. Spuckt den Schutz in den Sand. Zähne verklebt mit Blut." Winklers Geschichte ist fiktiv und doch furchtbar plausibel. Kein Wunder, dass „Hool" 2016 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand. Und sollte „Hool" demnächst verfilmt werden, wäre das doch sicher etwas für Elijah Wood.