Tim Don als einen Kämpfer zu beschreiben, wäre fast schon untertrieben. Nur sechs Monate und fünf Tage nach einem Genickbruch war der Triathlet zurück in seinem Alltag – und in seinem Sport. Ein Folterinstrument und seine Familie halfen ihm dabei.
Menschen, die in der Lage sind, einen Ironman abzuspulen, sind von Grund auf sehr ehrgeizig und diszipliniert. Als Weltrekordhalter im Triathlon hat auch Tim Don unter diesen Ausnahmesportlern eine Sonderstellung. In sieben Stunden, 43 Minuten und 23 Sekunden riss der Brite vor fast genau einem Jahr in Brasilien die Ironman-Distanz ab, bestehend aus 3,86 Kilometern Schwimmen, 180 Kilometern Radfahren und danach 42 Kilometer Laufen. Tim Don kennt durch seinen Sport Schmerzen zur Genüge, weiß, was es heißt, sich zu quälen. Doch kein Iron-man und keine andere sportliche Disziplin hätte ihn darauf vorbereiten können, was ihn vor gut einem halben Jahr erwartete.
Wir schreiben den 12. Oktober 2017: In der Kleinstadt Kailua-Kona auf Hawaii, ist der zu diesem Zeitpunkt 39-Jährige auf seinem Rennrad unterwegs. Wenn in drei Tagen der Ironman auf Hawaii startet, hat der Brite ein großes Ziel: den Sieg. Doch als wäre das nicht genug, setzt er sich ein noch größeres Ziel. Er will den Weltrekord der Ironman-Serie unterbieten. Den, den er selbst aufgestellt hatte. Doch in diesem Jahr sollte es nicht sein. Ein kurzer Augenblick zerstörte diesen Traum – und fast sein ganzes Leben. Ein Lieferwagen wendet auf offener Straße hastig und übersieht den Athleten. Nach dem Zusammenprall erwacht Don mit einer Halskrause und einem riesengroßen Schutzengel an seiner Seite. „Tim hatte Glück, dass er nicht gestorben ist", sagte der behandelnde Arzt Alan Villavicencio. Die Art des Wirbelbruchs, die Don erleidet, ist auch bei Menschen zu sehen, die sich erhängen. „Ich bin nach dem Unfall auf dem Boden aufgewacht", erzählt er in einer Dokumentation, „ich hatte eine Halsmanschette um, konnte mich nicht bewegen." Aber er lebt.
In dieser Ausnahmesituation gab es für den Triathleten nun drei Möglichkeiten. Eine Halskrause, eine Operation oder der sogenannte Heiligenschein. Nur bei dieser dritten Methode wäre Don in der Lage, wieder eine Art beschwerdefreies Leben zu führen – dafür musste er aber einmal durch die Hölle und wieder zurück. Denn so sanft das Wort Heiligenschein klingt, schön ist daran überhaupt nichts. Doch anstatt einfach nur gesund zu werden, fasst der Ausnahmesportler einen Entschluss: Er will wieder zurück an die Weltspitze. Gesund werden alleine reicht ihm nicht. Er nimmt den „Halo" – und damit den qualvollsten dieser drei Wege.
Nach dem Unfall durch die Hölle
Der Halo ist nämlich ein Gestell, das den Kopf mit der Halswirbelsäule fixiert und in einer Stellung hält, die zur Heilung dieser komplizierten Fraktur notwendig ist. Um den Kopf befindet sich ein Metallring, der dem Konstrukt seinen Namen gibt. Dieser wird mit vier Titanschrauben durch die Haut am Kopf befestigt. Wer sich jetzt fragt, wo diese Schrauben sitzen: durch die Haut in der Schädeldecke. Von einer Einschränkung zu reden, wäre demnach noch untertrieben. Die Schmerzen sind höllisch, und eine Bewegungsmöglichkeit ist durch dieses Korsett einfach nicht vorhanden. Zudem wiegt das Gestell satte zwei Kilogramm. Ganze drei Monate wird Don sich diesen Qualen aussetzen müssen.
Diese dreimonatige Leidensprüfung wird zur größten Aufgabe seines Lebens. Für ihn selbst, aber auch für seine Familie. Die unfassbaren Schmerzen lassen es nicht zu, dass der Brite schläft. Drei Wochen am Stück sitzt er einfach aufrecht im Wohnzimmer. Und die längsten Schlafphasen dauern wenn überhaupt 90 Minuten an. Kleine selbstverständliche Alltagsdinge werden zu unglaublichen Herausforderungen. Der Weltrekordhalter auf der Ironman-Distanz, ein Ausnahmetriathlet, hat jetzt einen ganz eigenen Triathlon für sich selbst erschaffen. Niesen, Nase putzen und Husten heißen nun seine größten Herausforderungen. Doch das ist nicht alles.
Aufgrund der Schrauben, die in seine Schädeldecke gebohrt wurden, muss Don starke Schmerztabletten nehmen. Doch eine Unverträglichkeit sorgt dafür, dass er sich übergeben muss, und er übergibt sich, so oft, dass er es selbst nicht mehr zählen kann. „Versuch mal, dich zu übergeben mit diesen Schrauben im Kopf", sagt er heute. „Ich sagte meiner Frau, ich gehe jetzt in die Garage und hole einen Schlüssel, um mir das Teil abzuschrauben." Doch wer glaubt, dass es das schon war, der irrt. Der Halo wurde vor Ewigkeiten nicht umsonst als Folterinstrument eingesetzt. Während seine Frau die Schrauben an der Schädeldecke säuberte, fiel der Brite fast ihn Ohnmacht.
Unglaubliche Schmerzen
Doch der Kampfgeist des Weltrekordhalters scheint mit den wachsenden Schmerzen und dem immer größeren Leidfaktor zu konkurrieren. Denn der Wille, beim Boston Marathon im April 2018 dabei zu sein, ist ungebrochen. Selbst mit diesem Konstrukt auf Schultern und Kopf beginnt Don zu Hause in seinem Wohnzimmer mit Beintraining auf dem Hometrainer, wobei die größte Aufgabe ist, nicht nach vorne umzukippen und den Kopf aufrecht zu halten. Doch er pusht sich weiter. Irgendwann ist er täglich im Fitnessstudio. Im Dezember vergangenen Jahres kollabiert er sogar. Die Schrauben seines Heiligenscheins, die nach und nach immer nachjustiert werden mussten, waren zu fest angezogen. Vergleichbar mit einer Zahnspange, bei der die Drähte nachgezogen werden.
Als der Ring nun endlich entfernt wurde, schraubte Don sein Pensum auf 20 Stunden in der Woche nach oben. Vorher waren es 30, aber es war ja immerhin ein Anfang. Sein großes Ziel hieß, den Boston Marathon in zwei Stunden und 50 Minuten zu laufen, so lange brauchte er bei seinem Weltrekord in Brasilien. Und das, obwohl er vorher schon 3,8 Kilometer Schwimmen und 180 Kilometer Radfahren hinter sich gebracht hatte.
Dabei gab es auch viele mahnende Stimmen, die sagten, dieses gesamte Unterfangen wäre zu risikoreich, der menschliche Körper wäre nicht dafür
ausgelegt, nur knapp ein halbes Jahr nach einer solchen Verletzung wieder 42 Kilometer zu laufen. Don sagte selbst, er hatte damals „keine Ahnung ob es klappen wird". Er musste es einfach probieren, erklärte er. Sein kurzfristiges Ziel war zwar die Teilnahme in Boston, doch diese sollte nur als Vorbereitung dienen: Die im Hinterkopf ist die Teilnahme am Ironman. Und dort will er seinen eigenen Rekord brechen, auf Hawaii, wo vor sechs Monaten eine unglaubliche Leidensgeschichte mit unvorstellbaren Schmerzen begann. Übrigens: Den Boston-Marathon beendete der Brite nach zwei Stunden und 49 Minuten. Auch dieses Ziel hat der Ausnahmesportler erreicht. Und jetzt? „Möchte ich auf Hawaii gewinnen", sagt er und lacht. „Warum nicht? Du musst doch hohe Ziele haben." Das seitliche Atmen beim Schwimmen, will er bis dahin wieder gelernt haben, momentan muss er sich mit einem Schnorchel behelfen. Dinge, die im Gegensatz zu den vorherigen Monaten wie eine Kleinigkeit wirken.
Der Wille versetzte Berge
Die Geschichte dieses Ausnahmesportlers berührt weltweit die Menschen und zeigt, dass der Spruch „der Wille kann Berge versetzen", eben doch nicht nur so dahergesagt ist. Tim Don hat gelitten, unmenschliche Qualen durchgemacht. Qualen, die früher Menschen erlebten, die gefoltert wurden. Das alles für seinen Sport. Gemeinsam mit seiner Familie hat er es geschafft, sich wieder zurückzukämpfen. Niesen, Nase putzen und Husten machen ihm nun wohl keine Probleme mehr, jetzt heißt es wieder Schwimmen, Radfahren und Laufen. Über wahnsinnige Distanzen. „Fühlst Du Dich glücklich … ich sicherlich", twitterte Tim Don noch kurz vor seinem Comeback beim Boston-Marathon Mitte April. Sein nächstes Ziel ist einer der Ironman-Wettkämpfe im Juli – entweder Hamburg oder Zürich. Denn auch für ihn gelten die Regeln, dass er sich für Hawaii erst einmal qualifizieren muss. Dass ihm dieses Kunststück gelingen wird, bezweifelt wahrscheinlich niemand. Wer so durch die Hölle marschiert, kann alles schaffen.