Asiatisch inspiriert geht es auf den Tellern im „Grace" zu. Martin Bruhn prägt seit drei Jahren den Küchenstil in dem urban-eleganten Restaurant des „Hotel Zoo". Der Küchenchef nimmt seine Gäste mit auf eine kulinarische Reise, die von New York bis Japan führt.
Wir haben’s uns im „Grace" ganz in Grün gemütlich gemacht. Das geht dort auf die urban-elegante Art besonders gut. Schimmernde Samtpolster, Sitzbankbezüge und Kissen, aber auch so einige Speisen auf den Tellern sind in der Farbe gehalten. Ob Kopfsalat, Avocado, Edamame- und Flügelbohnen von Designerin Dayna Lee gleich ins Konzept miteingeplant wurden? Nein, natürlich nicht. Fürs Grün auf den Tellern ist allein Küchenchef Martin Bruhn verantwortlich. Er entwickelte die asiatisch inspirierten, „gracigen" Gerichte für das Restaurant des „Hotel Zoo", an denen wir uns bei unserem Dinner erfreuen.
Der sich über einen langen Leoparden-Teppich, durch Lobby, Bar und eine tunnelartige Passage mäandernde Weg zum „Grace"-Eingang im Hotel-Inneren ist Bestandteil einer Transformation. Wir treten am Kurfürstendamm in das „dienstälteste" Hotelgebäude Berlins, das seit 1911 in Betrieb ist, ein, und landen am gegenüberliegenden Ende in einem weitläufigen New Yorker Townhouse. Es versteht sich, dass wir in diesem durchdesignten Ambiente gleich einen Avocado-Kopfsalat „Little Gem" mit einem „kleinen Juwel" serviert bekommen. Kronleuchter hängen in überdimensionalen Vogelkäfigen über dem Lederbank-Geviert in der Raummitte. Sie geben dem „Grace" mit ihrem Lichtergefunkel einen unverwechselbaren Look. Auf der Platte vor uns werden Salatherzen von Avocadoscheiben und großen, frittierten Zwiebelringen getoppt sowie von einer Limetten-Vinaigrette, Zitronengras und Sesam-Mayonnaise aromatisiert. Optisch eher auf der dezenten Seite hat das maiengrüne Arrangement geschmacklich die Anmutung eines zeitgenössisch interpretierten Cesar’s Salad. „In diesem Salat sind alle unsere Hausaromen enthalten", sagt Martin Bruhn. Limette, Zitronengras und eine nussige Cremigkeit. Sie werden uns im Laufe des Abends noch häufiger begegnen.
Die Teller sind zum Teilen gedacht und so angerichtet, dass jeder nehmen, zusammenfügen oder weglassen kann, wie es ihm beliebt. Alles ist geradezu kalifornisch zwanglos kombiniert.
Sommelier Ben Weidenberg schenkt uns mit der formvollendeten Lässigkeit eines Surfers einen Sauvignon Blanc von Dr. von Bassermann-Jordan dazu ein. Der trocken ausgebaute jugendliche Weiße von 2017 passt mit wenig Säure, feinem Prickeln und grünen Beeren-Tönen hervorragend zu den leichten Gerichten. „Den müssen wir nicht aus Neuseeland einfliegen", erklärt Weidenberg. „Das geht auch aus der Pfalz."
Essen ohne Bedienungsanleitung
Als „Signatures" sind die markantesten und beliebtesten Gerichte auf der Karte zusammengefasst. Wir bekommen Italien, Mexiko, Vietnam, Japan und Kalifornien im Laufe des Abends auf die Teller. Hallo „Pork Belly"! Wir heißen die geschmorten und mit roter Misopaste fein gemachten Schweinebauch-Würfel vom Duroc-Schwein auf der Gabel und im Mund willkommen. Überzogen sind sie mit einer würzigen Salsa mit Schalotten, Chili und Zitronensaft und lehren einen, dass dieses in Deutschland oft wenig geschätzte Fleisch auch anders als fettiger Eintopf kann. Die Begleiterin nimmt dieweil die in Sesamöl geschwenkten Edamame-Bohnen mit Stäbchen in die Zange und ist insbesondere von der durch Chilisoße und Ingwer erzeugten Schärfe beim Naschen entzückt. Eine Panko-Panade lässt die Böhnchen angezogener wirken. „Sie ist dazu da, dass man nicht an den nackten Bohnen rumzuzelt", sagt Martin Bruhn.
Vom Scheitern am asiatischen Esswerkzeug weiß der Fotograf ein Lied zu singen, als ihm die „Grace Tacos", kleine, mit Thunfisch, Hummer oder Beef gefüllten Mais-Hüllen zwischen den Stäbchen entgleiten. „Man kann alles auch mit der Gabel nehmen", merkt Bruhn an. „Man muss kein Stäbchenkünstler sein, um bei uns zu essen." Ganz einfach und aus der Hand lässt sich dagegen die schnieke „Midway Oyster" mit Wachtelei, Saiblingskaviar, Tomate und Ponzu-Sauce verspeisen. Der Fotograf ist spätestens wieder in seinem Element, als er einer „Asia Burrata" mit der Gabel zu Leibe rücken kann. Der Käse kommt zwar aus Brandenburg, aber der Mix mit frischer Feige, Rucola und Rauchmandeln bringt mediterranen Schwung und Knack an den cremigen Salat. „Die Säure von der Yuzu im Dressing passt super zum Käse", kommentiert der italienische Feinschmecker-Fotograf wohlwollend.
Martin Bruhn behält die Gäste, ihre Wünsche und ihr Wohlbefinden stets im Blick. Auch wenn die Karte von Russland bis Japan und ein bisschen weiter bis sogar nach Kalifornien herüber länderübergreifend asiatisch geprägt ist, soll jeder etwas Passendes finden.
„Wir wollen niemandem etwas aufdrängen", betont Bruhn. Wem nach Hummer mit Pommes frites zumute sei, bekomme das auch. Oder wem beim Anblick zu vieler Hummerbeine unwohl wird, der erhält das Fleisch vom „Maine Lobster" ohne Schale serviert. „Man kann bei uns essen, ohne vorher eine Bedienungsanleitung studieren zu müssen." Wir nehmen einen halben Hummer wie er in seiner Schale, ebenfalls ausgelöst und einfach gabelbar, daherkommt: mit seinem feinen Geschmack, der durch das Anbraten in Olivenöl und Butter sowie mit einem bisschen Salz unterstützt wird. Eine stückige Guacamole mit Tomate erfrischt dazu, und gebackene Wan-Tan-Segel weisen im Verbund mit Kalamansi-Mayonnaise knusprig den Weg.
Unverkünstelt soll das Essen sein, alles so schmecken wie es ist und wie es aussieht. Eine ausgeprägte Qualitätsversessenheit habe er sich in den vier Jahren angeeignet, in denen er für Christian Lohse arbeitete, sagt der 32-Jährige. Vom „Fischer’s Fritz" aus wechselte er vor drei Jahren auf seine erste Stelle als Küchenchef im „Grace". Ein anspruchsvoller Job: Im Restaurant wollen an fünf Abenden in der Woche 115 Plätze bespielt werden. Dazu kommen das Frühstücks- und Bankettgeschäft sowie im Sommer die Terrasse. Martin Bruhn legt Wert auf Planung und ausgefeilte Logistik. Nur so ist das 18-köpfige Küchenteam in der Lage, alle Anforderungen in gleichbleibender Qualität zu erfüllen.
Flügelbohnen werden eigens eingeflogen
Die hochgradige Organisation schafft auch Freiräume für Kreativität und hält die Neugier lebendig. „Meine asiatischstämmigen Mitarbeiter lassen sich von Verwandten Produkte schicken und bringen sie mit zu uns." Dann wird herumgefragt, was und wie etwas damit machbar ist, und experimentiert. Ob Yuzu-Schalen, Zitronengraspulver oder frische Tamarinden – alles wird in Berlin nur dort eingekauft, wo es in bester Qualität erhältlich ist. „Ich fahre zu sieben Asia-Läden in der Stadt, damit ich genau das bekomme, was ich will", erzählt Bruhn.
Ein Händler lässt regelmäßig einen Karton Flügelbohnen fürs „Grace" einfliegen. Diese „Goa Beans" finden wir in einer Kokoscreme gekocht als Begleitung für ein „Lemongrass Spring Chicken" mit Thai-Basilikum wieder. Das vietnamesische Zitronengraspulver toppt die in Basilikum und Zitronengras marinierten und goldbraun gebratenen Stubenküken-Stücke. Das Huhn eignet sich perfekt für Asia-Einsteiger. Es ist sanft, cremig und aromatisch, ohne durch ungewohnte Aroma-Spitzen oder Schärfen zu überfordern. Das Konzept geht auf: An diesem ganz gewöhnlichen Donnerstagabend unseres Besuchs, ohne Messen oder Festivals in der Stadt, ist das Restaurant um 20 Uhr voll. Zwei, drei Gruppen sind darunter, doch selbst die fallen kaum auf. Die Tische sind luftig gruppiert; jeder hat Freiraum und sitzt seinem Nachbarn nicht auf der Pelle.
Als wir denken, dass wirklich nichts mehr geht, haben wir die Rechnung ohne den Küchenchef gemacht. Martin Bruhn trägt die Desserts herein. Nicht nur zum Fotografieren – wir sollen selbstverständlich auch die „Sweets" probieren. Oh, wir bekommen Orgelpfeifen in Pflaumensoße! Die entpuppen sich als fruchtig-pflaumige „Poppy Seed Namelaka" mit Mohn und weißer Schokolade. Japanische Ume-Pflaumen, „normale" europäische Pflaumen, Choya-Sorbet und Goa-Curry spielen in den aufgestellten Filoteig-Röllchen im Pflaumensud mit – ein geradezu leichtes Dessert mit herben Anklängen, das mir ausnehmend gut gefällt. Ein „Pekan Chocolate Cake" ist wiederum genau das, was er ist: ein warmes Schokoküchlein mit schmelzigem Kern, Tonkabohnen-Vanilleeis und Passionsfrucht. Ideal zum Wohlfühlen für die Momente, in denen es nicht zu experimentell werden soll.
Wir lassen uns von Ben Weidenberg gern einen Dessertwein aus dem „Cérons" dem kleinsten Anbaugebiet im Bordeaux, dazu empfehlen. Die Cuvee aus Semillon-, Sauvignon-Blanc- und ein paar Muskatellertrauben durfte zum richtigen Zeitpunkt mit einem Botrytis-Edelfäule-Pilz kuscheln, um sich in einen leichten, zitrusfrischen und honigdichten Süßwein zu verwandeln. Der mundet gut gekühlt am ausdrucksstärksten. „Der Wein stammt von dem kleinen Gut ‚Chateaux de Cérons‘, das ich auf einer Messe kennengelernt habe", verrät Ben Weidenberg. Die Begleiterin ist vom „Guanaja-Shock" und dem Aufwand, der zur Herstellung des mit Guanaja-Schokolade ummantelten Schokomousse-Törtchens mit Blaubeeren, Nüssen und Limette betrieben wird, tatsächlich beinah schockiert. Der knusprige Karamel-Flakes-Boden liegt auf einer – selbstredend hellgrünen – Soße aus Granny-Smith-Äpfeln auf. Es sei gar nicht so einfach, die mit dem goldenen Schriftzug des „Grace" bedruckte Folie auf die Schokokringel „abzupausen", verrät Bruhn. Man arbeite noch etwas daran. „Ihr seid aber schon ein bisschen besessen?", fragt die vom Essen angetane Begleiterin. „Ich würde sagen, wir sind einfach nur detailverliebt", antwortet Bruhn.