Ende 2018 ist auch in Nordrhein-Westfalen endgültig Schicht im Schacht. In großen Teilen gleichen die Herausforderungen der Erblasten denen im Saarland, aber NRW hat auch mit einigen Besonderheiten zu kämpfen.
Wenn in Nordrhein-Westfalen Ende dieses Jahres die letzten Zechen schließen, wird der Bergbau in dieser Region ein schweres Erbe hinterlassen: die sogenannten „Ewigkeitslasten". Bei mehr als 1100 verlassenen Schächten muss nach den aktuellen Feststellungen der Landesregierung mit Tagesbrüchen gerechnet werden. An vielen Stellen des Ruhrgebiets kommt es zu plötzlichen Bodensenkungen. Teile des bevölkerungsreichsten Bundeslandes seien durch den Bergbau „durchlöchert wie ein Schweizer Käse", klagt die energiepolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Wibke Brems. Beunruhigend sei, „dass wir bei vielen Risiken wissen, was wir nicht wissen."
Zu den „Gefährdungen durch Altbergbau" hatten die Landtags-Grünen Ende vergangenen Jahres eine große Anfrage an die schwarz-gelbe Landesregierung gestellt. Von den 396 Kommunen in NRW sind mehr als die Hälfte von den Hinterlassenschaften des Bergbaus in irgendeiner Form tangiert, heißt es in der 65-seitigen Regierungsantwort. Bei 40 Prozent der verlassenen Schächte und Stollenmundlöcher muss nach Einschätzung der Landesregierung mit Reaktionen früher oder später an der Oberfläche in Form von Rissen und Kratern gerechnet werden, die im Fachjargon „Tagesbrüche" heißen.
Die Bergbaubehörde geht davon aus, dass an Rhein und Ruhr insgesamt 267 Quadratkilometer „von Einwirkungen des tages- und oberflächennahen Bergbaus betroffen sein können". In Bochum ist sogar das halbe Stadtgebiet von gefährlichen Hohlräumen bedroht. In der Revierstadt sind in den Katastern insgesamt 2529 Schächte registriert. „Ein langfristig nicht zu akzeptierendes Risiko", urteilt die Landesregierung.
Großes Risiko für die Stadt Bochum
Im Bochumer Stadtteil Wattenscheid sackten im Jahre 2000 drei Garagen und ein Auto binnen weniger Minuten in einen Tagesbruch ab. Nach starken Regenfällen entstand auf der Autobahn 45 zwischen Olpe und Freudenberg ein regelrechter Krater mit 11 Metern Tiefe und 1,5 Metern Durchmesser als Ausläufer stillgelegter Schachtanlagen. Im November 2013 musste der Zugverkehr im Essener Hauptbahnhof teilweise eingestellt werden, weil die dortigen Gleise im Boden zu versinken drohten. Die offenkundigen Hohlräume eines ehemaligen Zechgeländes mussten daraufhin wochenlang mit zig Tonnen Beton ausgegossen werden.
Wenn Ende dieses Jahres endgültig Schicht im Schacht ist, sind die Arbeiten unter Tage längst nicht vorbei. Dauerhaft muss in riesigen Mengen Wasser abgepumpt werden, damit die umliegende Region nicht versinkt. Ohne regelmäßiges Pumpen läge der Essener Hauptbahnhof zwölf Meter unter Wasser. Zudem müssen die Bergbaubetreiber durch das Abpumpen die Sicherung des Grundwassers sicherstellen. Die Kosten dafür werden gegenwärtig bei etwa 200 Millionen Euro pro Jahr veranschlagt.
Zwischen der rot-grünen Vorgängerregierung und der Ruhrkohle AG (RAG) war es zum Streit darüber gekommen, inwieweit das hochgiftige PCB aus dem Grubenwasser entfernt werden muss. Die RAG hatte stets argumentiert, dass sich nach dem Auslaufen der Kohleproduktion das Grubenwasserniveau anheben und damit die PCB-Belastung deutlich reduzieren werde. Die nicht brennbare Chemikalie wurde früher in Hydraulikölen von Förderbändern und Abbaufräsen unter Tage eingesetzt. Seiher liegt mutmaßlich auch das krebserregende PCB als Altlast in den meisten stillgelegten Schächten.
Der frühere NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) wies noch in seiner Amtszeit die Bergbaubehörde des Landes an, bei der RAG entsprechende Pilotversuche zur PCB-Bekämpfung anzuordnen. An drei Standorten in NRW, an denen Grubenwasser aus Steinkohlzechen gepumpt wird, sollen hochwirksame Filteranlagen entstehen. Während die RAG die Sinnhaftigkeit solcher Pilotversuche bezweifelt, stützte sich Remmel auf ein Gutachten, wonach 90 Prozent des gefährlichen Stoffes aus den Grubenwässern entfernt werden kann.
Die neue Landesregierung hat die Anordnung Remmels bisher nicht kassiert. Demnach muss die RAG für die drei Testanlagen etwa 550.000 Euro investieren. Deutlich teurer würde es, falls nach einer erfolgreichen Testphase an allen acht Einleitungsstellen großtechnische Reinigungsanlagen installiert werden müssen. Dann lägen die jährlichen Kosten nach Berechnungen des Düsseldorfer Umweltministeriums bei 13,5 Millionen Euro.
Immerhin will die RAG den sogenannten Nachbergbau zu ihrem künftigen Markenzeichen machen. „Auf uns ist Verlass. Jederzeit", lautet die neue Werbelinie des Unternehmens. Die RAG versichert, auch nach 2018 die volle Verantwortung für bergbauliche Altlasten zu übernehmen. Dazu zählten die Grubenwasserhaltung, die Grubenwasserreinigung an einigen ehemaligen Kokerei-Standorten oder Poldermaßnahmen in übertägigen Bergsenkungsarealen, erläutert eine RAG-Sprecherin. Dies alles werde „im Einklang mit den Umweltanforderungen" ungesetzt.
Die Kosten für die Bewältigung dieser Ewigkeitslasten sollen aus der RAG Stiftung finanziert werden. Die 2007 gegründete Stiftung finanziert sich aus Industriebeteiligungen vor allem an dem Essener Chemiekonzern Evonik, dem Wohnungsbauunternehmen Vivavest und diversen Finanzanlagen. Alleine die Dividenden-Zuflüsse aus der 68-prozentigen Evonik-Beteiligung liegen bei über 300 Millionen Euro pro Jahr.
Vermögen der RAG nicht unbegrenzt
Dennoch befürchten Politiker, dass der Steuerzahler neben dem milliardenschweren Ausstieg aus der Steinkohle am Ende womöglich auch für die Altlasten des Bergbaus in Anspruch genommen werden könnte. Das Vermögen der RAG Stiftung ist schließlich nicht unbegrenzt. Die Risiken unter Tage scheinen derzeit aber unkalkulierbar. Bei 65 Schächten sei die exakte Lage bis heute gar nicht bekannt, erklärt Grünen-Abgeordnete Brems. Zudem gebe es für das ehemalige Kohlerevier in der Aachener Region bis heute keine generelle Risikoanalyse. Hier werde bisher nur im Fall von Tagesbrüchen reagiert.
Dabei werden die Gefahren von Tagesbrüchen nach den Befürchtungen der Grünen in den kommenden Jahren massiv zunehmen. Viele alte Schächte seien noch zu einer Zeit gesichert worden, in der eine „Vollverfüllung mit Lockermasse" vollzogen wurde. Diese Lockermassen stellten ein unkalkulierbares Gefährdungspotenzial dar. Zudem könnten Einstürze durch Erosion und Verwitterung bei tagesnahen Hohlräumen ausgelöst werden, etwa durch Wassereintritt. Dadurch seien auch benachbarte Grubenbaue beeinträchtigt.
Die Grünen kritisieren, dass es für die Bergbautreibenden bislang keine Anzeigepflicht für durchgeführte oder geplante Sicherungsmaßnahmen gebe. Deshalb sei nicht ausgeschlossen, dass mit diesen Arbeiten „unerfahrene Dritte" beauftragt und somit neue Gefahren herauf beschworen würden, sagt die grüne Energie-Expertin Brems. Ihr Szenario bei der Altlastenbewältigung des Bergbaus ist düster. „Bis in alle Ewigkeit muss Grundwasser im Ruhgebiet abgepumpt werden, da sonst riesige Bereich überflutet wären."