Die letzte Grube Lothringens schloss 2004. Altlasten des Bergbaus aus zwei Jahrhunderten beschäftigen unsere Nachbarn genauso wie uns – inklusive Grubenflutungen.
In Lothringen gehört der Steinkohlenbergbau längst der Vergangenheit an. 2004 schloss mit La Houve in Creutzwald die letzte Grube der Bergwerksgesellschaft Houillères du Bassin de Lorraine (HBL) und damit auch in Frankreich. Die staatliche Gesellschaft Charbonnages de France, zu der auch die HBL gehörte, existiert heute nicht mehr. Nachfolgegesellschaften zur weiteren Verwertung und Vermarktung sind an ihre Stelle getreten, um das Postzeitalter des Bergbaus „après-mine" zu verwalten. Knapp zehn Jahre später war auch im Saarland Schicht im Schacht. Die letzte verbliebene Grube Ensdorf der Deutsche Steinkohle AG DSK machte 2012 wegen der massiven Grubenbeben früher als geplant zu.
Eine Ära ging damit zu Ende, die das Saarland und Ostlothringen jahrzehntelang geprägt hat. Doch die Probleme sind geblieben. Bergsenkungen oder das Ansteigen des Grundwasserspiegels durch Grubenflutungen sind unerwünschte Hinterlassenschaften eines industriell betriebenen Steinkohlenbergbaus aus zwei Jahrhunderten.
Während über Tage die Menschen die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland gezogen haben, bestimmen unter Tage vielmehr geologische Gegebenheiten deren Verlauf. Tief unter der Erde dürfte es sowohl bei unseren direkten Nachbarn in Ostlothringen als auch im Saarland aussehen wie ein Schweizer Käse, durchlöchert mit kilometerlangen Gängen.
Unterirdischer Damm im Warndt
Und wer professionellen Bergbau betreibt, muss sich zwangsläufig mit der Wasserwirtschaft beschäftigen, und die ist grenzüberschreitend: Eine Wasserscheide trennt den Warndt vom übrigen Saarland. Er gehört unter Tage wassertechnisch gesehen zu Lothringen. Die saarländischen Gruben Luisenthal und Warndt wurden in den 90er-Jahren mit einer Verbindungsstrecke zusammengeschlossen. Mit dem Ende des Bergbaus im Warndt 2005 musste diese Strecke wieder geschlossen und mit einem Hochdruckdamm vor Grubenwasser aus Frankreich geschützt werden. Es klingt ein wenig paradox: Der Damm als eine Art „Maginot-Linie" unter Tage als Schutz vor Grubenwasser, obwohl die Grenze über Tage immer mehr an Bedeutung verliert. Wenn also die Franzosen die Gruben fluten, hat das durchaus Auswirkungen auf die saarländische Seite – ein geologisches Gesetz. Sprich, ganz gleich, was passiert, Deutschland und Frankreich bleiben im tiefsten Inneren auf immer und ewig eng verbunden, auch was das Thema Grubenflutungen angeht.
Doch im Gegensatz zum Saarland hat Lothringen bereits jahrelange Erfahrung beim Thema Grubenflutungen. Schon zu Beginn des neuen Jahrtausends begannen die ersten Vorbereitungen, um möglichst nach Schließung der letzten Grube in La Houve gewappnet zu sein. Über die Sohle des Buntsandsteins sollte auch das Grubenwasser in Frankreich nicht ansteigen. Allerdings unterscheiden sich die geologischen Gegebenheiten dies- und jenseits der Grenze. Eine Vielzahl der Kohleflöze verläuft in Lothringen vollkommen anders als im Saarland, so dass Grubenflutungen ganz andere geologische Auswirkungen haben können. Nach jahrelanger Flutung tritt heutzutage an einigen Stellen wie bei Freyming-Merlebach und L’Hôpital Grundwasser zutage. Einige Pumpen sind auf französischer Seite längst wieder in Betrieb, damit zum Beispiel der Großrosseler Ortsteil Nassweiler im Saarland nicht absäuft. Denn der Grubenwasseranstieg bei unseren Nachbarn führt dazu, dass der Grundwasserspiegel im Warndt langsam steigt.
Auf der anderen Seite verzeichnete man in Lothringen viele Jahre Probleme mit der Trinkwasserqualität. Wer vor etwa 30 Jahren in Forbach Wasser aus dem Wasserhahn getrunken hat, empfand einen fiesen Salz- und Chlorgeschmack. Der Grund: Die Franzosen setzten damals vermehrt Grubenwasser in der Trinkwasserversorgung ein. Nach dem Wegfall dieser Möglichkeit durch die Grubenflutungen setzte Forbachs ehemaliger Bürgermeister Charles Stirnweiss in den 90er-Jahren verstärkt auf Diversifizierung. So entstand die Belieferung mit Trinkwasser aus dem Warndt seitens der Energis. Eine weitere Verbindung besteht auch zu den Stadtwerken Saarbrücken. Der private französische Wasserversorger Veolia betreibt viele Wasserversorgungsanlagen im Auftrag der Kommunen oder Zweckverbände –
im Gegensatz zu Deutschland ist jenseits der Grenze die Wasserinfrastruktur seit dem 19. Jahrhundert weitestgehend in privater Hand. Die Bergwerksgesellschaft HBL hat übrigens einige neue Wassergewinnungsanlagen in jüngster Vergangenheit den französischen Kommunen „gesponsert", angeblich als Kompensation für die fehlenden Mengen an Grubenwasser.
Erfolge im Strukturwandel
Während unter Tage die Probleme nach dem Bergbau vielfach ungeklärt und verschwommen bleiben, sind Erfolge über Tage dies- und jenseits der Grenze deutlich sichtbar. So hat in Lothringen zum Beispiel die Etablissement Public Foncier de Lorraine (EPFL), eine Nachfolgeorganisation der HBL, die Vermarktung der ehemaligen Bergbauflächen übernommen. Auf dem ehemaligen Holzlagerplatz der HBL in Forbach Nord ist ein schmuckes Gewerbegebiet mit zahlreichen Start-up-Unternehmen entstanden: Eurozone Forbach Nord mit dem Gründerzentrum EURODEV. Direkt gegenüber befindet sich das Gelände der ehemaligen Schachtanlagen Simon 1 und 2. Das Konversionsgelände, das dem Stadtverband Forbach gehört, soll möglichst schnell einer neuen Nutzung zugeführt werden.
In Petite-Rosselle entstand am ehemaligen Schacht Wendel das Bergbaumuseum Les Mineurs Wendel. Die inzwischen stillgelegte Kokerei hatte die ROGESA Roheisengesellschaft Saar übernommen; das Kraftwerk in Carling kaufte der Energieversorger Eon und stieg so zum drittgrößten Stromerzeuger Frankreichs auf. Rund 16.000 Bergbauwohnungen wurden verkauft. Das Auslaufen des Bergbaus wurde mit Sozialleistungen wie Frühverrentung für ältere Arbeitnehmer erkauft; jüngere Mitarbeiter bekamen Jobs oder haben der Region für immer den Rücken gekehrt.
Unter Tage ist Stille eingekehrt. Geblieben ist in Freyming-Merlebach, dort, wo die HBL ihren Sitz hatte, lediglich das staatliche Überwachungsbüro Bureau de Recherche Géologique et Minière (BRGM): Die Mitarbeiter dort überwachen nur noch, ob es unter Tage auch ruhig bleibt.