Kirgisistan, die demokratische Vorzeigerepublik Zentralasiens, fällt zunehmend mit umstrittenen Klagen gegen Journalisten auf.
ischkek City, Hinterhof, 1. Etage, ein Raum mit 15 Schreibtischen – zu Besuch bei Kaktus Media: Dina Maslowa (33) schaut einem ihrer Mitarbeiter über die Schulter. Wie soll die Headline lauten? Wie weit können wir zuspitzen? Sind auch alle Fakten doppelt gecheckt? Journalistische Alltagsfragen, die in deutschen Redaktionen womöglich mit zunehmendem Zeitdruck nicht mehr ganz so wichtig genommen werden, entscheiden beim Nachrichtenportal Kaktus über Sein oder Nichtsein.
Im aktuellen Welt-Pressefreiheit-Index von Reporter ohne Grenzen ist Kirgisistan von Rang 89 (2017) auf 98 (2018) gerutscht. Wobei sich die letzten Erhebungen noch auf die Amtszeit von Präsident Almasbek Atambajew beziehen, der im November 2017 von Sooronbaj Dscheenbekow abgelöst wurde.
Wenngleich die journalistische Vielfalt in der parlamentarischen Republik Kirgisistan nach Einschätzung von Reporter ohne Grenzen nach wie vor außergewöhnlich für Zentralasien ist, so wurden im Vorfeld der Wahlen 2017 gleich mehrere kritische Medien ausgeschaltet oder mit Strafen belegt. Der private Fernsehsender Sentyabr wurde geschlossen, die Moskauer Nachrichtenagentur Ferghana News für Kirgisistan gesperrt und das unabhängige Nachrichtenportal Zanoza zu einer Strafe von umgerechnet etwa 400.000 US-Dollar (27 Millionen Som) wegen „Beleidigung des Präsidenten" verurteilt. Eine astronomische Summe für ein Start-up in einer der ärmsten Ex-Sowjetrepubliken.
Zanoza war der Vorgänger von Kaktus Media im Bischkeker Hinterhof, 2015 mitgegründet und geleitet von Dina Maslowa. „Unsere Fälle haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Kirgisistan so im Pressefreiheitsindex gesunken ist", sagt sie. „Binnen kurzer Zeit hat der Präsident gleich fünf Verleumdungsklagen gegen uns geführt, dabei wurden zum Teil Formfehler an den Haaren herbeigezogen." Mittlerweile würden viele Journalisten in Kirgisistan nicht mehr wagen, kritisch über das Land zu berichten.
Doch Maslowa und ihr Team lassen sich nicht einschüchtern und machen als Kaktus Media weiter. Sie spielen auf Zeit und hoffen auf den neuen Präsidenten: Zwar habe er das Urteil zu Zanoza bislang nicht revidiert, aber er werde vermutlich auch erst einmal nicht gegen sie und andere Medien vorgehen, hofft die Chefredakteurin.
Protest von 30 Organisationen
Unter der Federführung des Komitees zum Schutz der Journalisten (Commitee to Protect Journalists, New York) haben sich 30 Pressefreiheitsorganisationen weltweit zusammengetan und Mitte März die kirgisischen Machthaber in einem offenen Brief dazu aufgefordert, die verhängten Verleumdungsklagen fallen zu lassen – und damit die Praxis der „harten Strafen" für kritische Medien und Reporter 2018 endgültig zu beenden. In dem Brief geht es auch um Zanoza, Dina und die anderen Gründer. Die Prozesse seien durch erhebliche Verfahrensfehler und die Verletzung der Rechte der Angeklagten auf eine Verteidigung beeinträchtigt worden.
Doch offensichtlich wird die Praxis des vorigen Präsidenten auch unter Dscheenbekow fortgesetzt: So berichtete eine Moskauer Nachrichtenagentur im Februar, dass ihre freiberufliche Korrespondentin Elnura Alkanova in Kirgisistan angeklagt wurde, das Bankgeheimnis verletzt und vertrauliche Geschäftsinformationen veröffentlicht zu haben. Sie hatte Ende 2017 über den Verkauf von Staatseigentum in der Hauptstadt Bischkek recherchiert und geschrieben.
Und Reporter ohne Grenzen weisen auf den Investigativ-Journalisten Kabaj Karabekow hin, dem nun gar eine Haftstrafe droht, weil er das hohe Strafgeld für eine angebliche Verleumdung Dscheenbekows nicht auf einmal bezahlen kann.
Da die Reaktion des Präsidenten auf die Forderungen der 30 Pressefreiheitsorganisationen auf sich warten lässt, haben Dina und Team nun vorsorglich das UN-Menschenrechtskomitee um Hilfe gebeten. Denn wie es mit ihrem Strafverfahren wegen der nicht gezahlten 27 Millionen Som weitergehen wird, ist unklar. Klar ist aber eines: Dina Maslowa wäre nicht Dina Maslowa, wenn sie aufgeben würde. Der Kaktus hat seine Stacheln – noch.